Heinrich Klotz: Introduction (1992)

Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe führt die Künste und die neuen Medien in Theorie und Praxis zusammen. Das ZKM hat die Aufgabe, die schöpferischen Möglichkeiten einer Verbindung zwischen den traditionellen Künsten und der Medientechnologie auszuloten, um vorausweisende Resultate zu gewinnen. Eine Bereicherung der Künste, nicht deren technologische Amputation ist das Ziel. Deshalb müssen sich das Potential der traditionellen Künste und der Medienkünste aneinander messen. Beide Seiten haben – für sich und miteinander – im ZKM einen Ort der Förderung.

Als Vorbild kann das 1919 gegründete Bauhaus in Weimar, später Dessau gelten. Das Bauhaus hat zum ersten Mal die Kunst vom Handwerk fort auf die Maschine orientiert. Das ZKM bezieht, den neuen Möglichkeiten des ausgehenden 20. Jahrhunderts entsprechend, die Künste auf die digitalen Techniken. So wie das Bauhaus vermieden hat, die Maschinenproduktion an die Stelle der künstlerischen Hervorbringung zu setzen, so wird auch das ZKM zu verhindern wissen, daß an die Stelle der Kreativität des Künstlers die Automatik technologischer Verfahren gesetzt wird. So wenig wie die Malerei durch die Computergrafik überflüssig gemacht wird, so wenig wird man den Konzertflügel fortwerfen, weil es den Synthesizer gibt.

Um den folgenden dargelegten Aufgaben gerecht zu werden, muß das Zentrum inhaltlich wie auch in seinen organisatorischen Strukturen neue Wege einschlagen. Es muß in Deutschlandeinen Ort geben, wo der Versuch unternommen wird, die künstlerischen und medientechnologischen Resultate für die Zukunft fruchtbar zu machen und unter Beteiligung der besten schöpferischen Kräfte eine Synthese der Künste und der Medientechnologie anzustreben. Die Ermöglichung des multimedialen Gesamtkunstwerks wie auch die Erforschung der speziellen Techniken, die Beförderung des Neuen wie auch die Kritik einer blinden Medieneuphorie sind das angestrebte Ziel. Das ZKM stellt Künstlern und Wissenschaftlern, aber auch den interessierten Bürgern die Einrichtungen und Instrumente zur Verfügung, um dieses Ziel erreichen zu können.

Anders als in allen bisher bestehenden Institutionen und Schulen, die auf improvisierende Weise diesen Aufgaben gerecht werden wollen, wird das ZKM die getrennten Teilbereich von Kunst und Medientechnologie zusammenfassen und die spezialisierten Programme aufheben. Besonders vielversprechende Ergebnisse sind von einer Verbindung visueller und akustischer Mediengattungen zu erwarten, wie sie sich aus einer Koppelung von elektronischer Musik, Laser, Video und Videoanimation ergeben können. Darüber hinaus müssen die Gattungen der neuen Medien wiederum auf die Gattungen der traditionellen Künste bezogen werden, so daß Reibflächen entstehen können zwischen medientechnologischen und konventionellen Herstellungsweisen von Gebrauchsprodukt und Kunstwerk.

Für die hier entwickelten Möglichkeiten und Fragestellungen muß eine institutionelle Antwort gefunden werden. Mit der Gründung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe werden zum ersten Mal Einrichtungen geschaffen, die eine schöpferische Auseinandersetzung mit den neuen Medien als künstlerische und wissenschaftliche Disziplin ermöglichen.

Die Organisationsstruktur des ZKM orientiert sich an

1. der charakteristischen Beschaffenheit unterschiedlicher Mediengattungen,
2. der Absicht einer Verbindung zwischen den traditionellen Künsten und den neuen Medien und
3. den unterschiedlichen Aufgabenstellungen der hier arbeitenden Künstler, Wissenschaftler und interessierten Bürger.

Das ZKM gliedert sich in folgende Teilbereiche

1. Institute und Studios
2. Medientheater
3. Museumsforum: Medienmuseum und Museum für Gegenwartskunst
4. Sammlungen und Dokumentation (Dienstleistungen)


1. Institute und Studios

Der Kernbereich des ZKM sind die Computerstudios. Es sind die Experimentier- und Forschungsstätten, wo Künstlern und Wissenschaftlern die nötigen Geräte zur Verfügung stehen, um die neuen Technologien ästhetischer Praxis anwenden zu können. Ein Apparatepark, der auch die komplexeren Vorstellungen realisierbar macht, ist die wesentliche Voraussetzung dafür, das gesamte Potential der digitalen Techniken tatsächlich nutzen zu können. Erst die technologische Aufstockung auf der Basis privater Vorerfahrung macht es möglich, über die auch ökonomisch gezogenen Grenzen der eigenen Apparateausstattung hinaus in neue künstlerische und technische Erfahrungsbereiche vorzustoßen.
In den Instituten des ZKM können in den Bereichen »Bild« und »Musik« sowohl einzeln arbeitende Künstler und Wissenschaftler als auch interdisziplinär arbeitende Gruppen tätig sein. Die Zusammenarbeit mit erfahrenen Technikern und Informatikern ist die Grundlage auch der künstlerischen Praxis.
Für längerfristige Installationen werden Studios benötigt, die sowohl der Herstellung von Videos, AV-Environments  etc. als auch der Vorbereitung  für Aufführungen (Performance, Multimedia-Oper etc.) dienen. Die Studios müssen über die Normalgrößen, die einem Künstler auch privat zur Verfügung stehen, hinausgehen, um auch großformatige und weite Raumdistanzen voraussetzende Installationen, Licht-, Laser-, Akustikexperimente etc. ermöglichen zu können.
Auch das allgemeine Publikum soll in den Medienwerkstätten mit den medientechnologischen Möglichkeiten vertraut gemacht werden. Für Lehr- und Tutorenveranstaltungen, für Seminare und Weiterbildungskurse werden die entsprechenden Räume benötigt. Mediendidaktische Einrichtungen, Informationsspeicher und Programme der lokalen und überregionalen Vernetzung sollen dem Publikum zur Verfügung stehen.

2. Das Medientheater

Um die in den Labors erarbeiteten Ergebnisse bis hin zur öffentlichen Darbietung auszugestalten und sie unter kritischer Anteilnahme des Publikums zu erproben, benötigt das ZKM ein Medientheater mit speziellen Aufführungseinrichtungen, die in den üblichen Veranstaltungsräumen fehlen. Neben den Eigenproduktionen des ZKM soll die Möglichkeit bestehen, »Gastspiele« stattfinden zu lassen, um an anderen Orten erarbeitete Resultate im ZKM zu präsentieren und gegebenenfalls mit den Arbeiten des ZKM zu verbinden. Die internationale Szene medientechnologischer und medienästhetischer Ereignisse muß mitreflektiert werden können, so daß ein über die Ländergrenzen hinweg reichender Erfahrungsaustausch möglich wird. Das Medientheater kann auch Produktionsort für Musikaufnahmen oder Videos sein, kann also zeitweilig an private Unternehmen vermietet werden.

3. Das Medienmuseum

In enger Verbindung mit den Studios steht das Medienmuseum. An exemplarischen  Beispielen werden dem Publikum die Geschichte der Medien und die Möglichkeiten der einzelnen Mediengattungen vor Augen gestellt. Einzelne Hands-on-Bereiche ermutigen den Besucher, von der bloßen Anschauung zur Praxis überzugehen. Die Publikumswerkstätten und Seminarräume schließen unmittelbar an.
Sieht man einmal von den beabsichtigten Sonderveranstaltungen im Wechsel-Ausstellungsbereich ab, an denen das Publikum  teilnehmen kann, so ist das Medienmuseum der für den Einstieg wichtigste Ort der Vermittlung.
Eine sich ständig erweiternde und ergänzende Dauerausstellung bietet die Gelegenheit bieten, das große Spektrum der Medien und der Medientechnologie exemplarisch kennen zu lernen. Der Überblick müßte die traditionellen Medien wie die konventionellen Drucktechniken, die Fotographie oder die Cinematsgraphie ebenso umfassen wie die neuen Medien, etwa die 3-D-Simulation, die Holographie oder die Videoanimation.

4. Das Museum für Gegenwartskunst

Das Medienmuseum leitet über zum »Museum für Gegenwartskunst«, das neben den klassischen Künsten Beispiele der neuen Medienkunst sammelt und ausstellt. Das gesamte Spektrum der Künste in seiner zeitgenössischen Ausprägung, d. h. auch die unterschiedlichen, nun sich herauskristallisierenden Gattungen der Medienkünste, wie die Video- und Klanginstallationen, die Videoskulptur, die Holographie etc. sollen in die Ausstellungen wie auch in die wissenschaftliche Arbeit des Museums einbezogen werden. Neben den klassischen »Museumskünsten«, der Malerei und der Skulptur, kommen die Architektur und das Design hinzu:  Das »Museum für Gegenwartskunst« ist also ein »Museum aller Künste«.

5. Mediathek und Bibliothek

Videothek und Audiothek im ZKM stehen wie die Kunst- und Medienbibliothek dem Publikum zur Benutzung offen. Gleichzeitig sind diese Sammlungen Aufbewahrungsort nicht nur der im ZKM produzierten Medienkonserven, sondern sie sollen zu umfassenden Dokumentationssammlungen der Videokunst und der elektronischen Musik werden.
Die Einrichtung einer Mediathek ist besonders erstrebenswert, da Video- und Musikkonserven nicht unbegrenzt haltbar sind und deshalb in bestimmten Zeitabständen erneuert werden müssen. Eine zentrale Mediathek, die sich die Erhaltung bedeutender Bild- und Tondokumente zur Aufgabe macht, besteht in der Bundesrepublik bisher nicht.
Eine Medienkünste betreffende Spezialbibliothek wie auch eine Kunstbibliothek sind  die für Forschung, Experiment und Lehre zentralen Informationsquellen am ZKM. Eine Kooperation mit der Badischen Landesbibliothek und anderen Bibliotheken wird angestrebt.