Freud 150. Immer noch Unbehagen in der Kultur?
Fr, 01.12.2006 – So, 03.12.2006, Symposium
Sigmund Freud ist vor 150 Jahre geboren worden. Anlass genug, um in einem Symposium die Fragen, die er in seinem Werk »Das Unbehagen in der Kultur« so weitsichtig gestellt hat, nochmals aufzuwerfen, zu diskutieren und das Weiterwirken der von ihm konstatierten Prozesse zu analysieren. Im Symposium Freud 150. Immer noch Unbehagen in der Kultur? diskutieren Wissenschaftler/innen und Künstler/innen unterschiedlicher Disziplinen vom 01.12.-03.12.2006 im ZKM_Medientheater die Frage, welche Mittel uns Freud gegeben hat, unsere heutige Zeit zu verstehen, zu definieren und zu charakterisieren.

Freud ist derjenige, der über unsere Zeit und die Zeit, die vergeht, berichtet, das heißt über die Geschichte und über die Möglichkeit, dieser einen Sinn zu verleihen. Im Jahr 1930, als der Schrecken anfing, spürbar zu werden, schrieb er »Das Unbehagen in der Kultur«.

Freud hat endgültig mit dem Dualismus der Ursprünge der Psychoanalyse gebrochen. Er stellt nicht mehr die Primitivität der Triebe der exzessiven Strenge der Zivilisation gegenüber. Die Gefahren der Zivilisation sucht er allein in der Zivilisation selbst. Er ist sicher einer der ersten, nach Nietzsche vielleicht, der mit dieser Sinnesschärfe die Ambivalenz des Fortschritts erkennt: Während der moderne Mensch immer mehr technische und politische Mittel des Glücks besitzt, fühlt er sich unbehaglich und träumt davon, die Zivilisation gegen sich selbst zu wenden.

Freud zeigt die Verbindungen der Kultur mit den triebhaften Kräften und den Kräften des Über-Ichs auf. Die Kultur verdankt ihre Errungenschaften sowohl der Sublimierung der Triebe als auch dem Verzicht auf deren Befriedigung, der durch das Über-Ich auferlegt wird. Nun aber funktioniert die Sublimierung nicht ohne die Mobilisierung des Todestriebs, und der Verzicht auf den Trieb verstärkt das Über-Ich in einem Teufelskreis: Je mehr man auf die Befriedigung verzichtet, desto stärker wird das Über-Ich. Diese Prozesse wiegen zu schwer auf den Schultern der Menschheit und machen das von Freud postulierte Unbehagen aus, welches jeder Einzelne im Sozialisierungsprozess verinnerlicht.

Es bleibt festzustellen, dass die Analyse Freuds weiterwirkt. Profitieren wir nicht von der »sexuellen Revolution«, die die Schlagzeilen der 1960er Jahre gefüllt hat? Sind wir nicht sozial, ökonomisch und politisch in die größte Phase des weltweiten Wohlstandes eingetreten? Lässt uns das Ende des Kalten Krieges nicht weiterhin auf eine Regulierung der internationalen Gewalt durch das Recht hoffen, trotz der offensichtlichen Ungewissheiten? Zeigt nicht die technische Revolution in der Informatik und bald auch in der Biologie, dass der Glaube an den wissenschaftlichen Fortschritt weit davon entfernt ist, verbraucht zu sein?

Es geht natürlich nicht darum, über unsere Zeit zu richten. Es geht darum, mit Freud eine Reflexion fortzuführen, die genauso von den brutalen Naivitäten des imperialistischen Humanismus befreit ist wie vom gekünstelten Schrecken, der in diesen glücklich-konfusen Zeiten im Geiste der Wachsamkeit seinen Platz hat. Denn Freud ist sicher derjenige, der mit der schärfsten und am wenigsten gefälligen Forderung den Geist der Aufklärung einem Gedanken unterworfen hat, der um die Ambivalenz des Fortschritts besorgt ist. Er gibt dem Universellen nicht nach, aber er lehrt uns, dass die Barbarei kein Überrest ist, den die Zivilisation erfolgreich absorbiert und in den Dienst ihrer idealen Ziele gestellt hätte.

Vielmehr ist die Barbarei das Produkt der Zivilisation selbst: Die Kultur mit ihrem Unbehagen, und nicht die Utopie ihrer Befreiung. Den Beitrag der verschiedenen Dimensionen der Kultur, ihre wirtschaftliche, sexuelle, politische, ästhetische, literarische Dimension als ein Menschheitsschicksal zu denken, kann eine Form der Ehrung Freuds 150 Jahre nach seiner Geburt sein.
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Bernhard Serexhe (Projektleitung)
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ZKM

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