Einführung

The Appearance of That Which Cannot Be Seen

Ein Raum im Cern Kontrollcenter

Die Erscheinung dessen, was nicht gesehen werden kann

Seit mehr als zwanzig Jahren fotografiert Armin Linke die Auswirkungen der Globalisierung, die umfassende Wandlung von Infrastrukturen und die Vernetzung der postindustriellen Gesellschaft durch digitale Informations- und Kommunikationstechnologien. In seinen Arbeiten werden die tiefgreifenden ökonomischen, ökologischen und technologischen Veränderungen festgehalten, die unsere apparatebasierte Welt im 21. Jahrhundert prägen. Armin Linkes Fotografien führen vor Augen, dass die moderne Welt eine gigantische Datenwelt ist, deren materielle Infrastruktur aus Rechenzentren, Datenhighways und Serverräumen weitgehend unsichtbar ist. Von der globalen Verschickung von Gütern bis hin zur Organisation unseres privaten Alltags hat die Infosphäre aus digitalen Daten fundamentale Auswirkungen auf sämtliche Aspekte unserer Gegenwart.

In Linkes mehr als 500.000 Aufnahmen umfassendem Bildarchiv wird die Ablösung der Produktionslogik des 20. Jahrhunderts durch die Distributionslogik des 21. Jahrhunderts und der Bedeutungszuwachs der Finanzwirtschaft gegenüber der Realwirtschaft ebenso dokumentiert, wie die zunehmende Verwandlung von realen Gegenständen in Daten. An der Schnittstelle zwischen der physischen und digitalen Welt öffnen seine Fotografien den Blick auf zentrale Themenstellungen der GLOBALE wie Digitalisierung und Globalisierung, Big Data, Klimawandel und Industrie 4.0. Zugleich lösen sie ein Nachdenken darüber aus, wie diese global vernetzten Entwicklungen und Prozesse nicht nur technologisch, sondern auch politisch und sozial das Leben auf der Erde verändern werden.
Blick aus einem Kontrollraum in einem Gefängnis
Armin Linke, Ezeiza Penitentiary, Buenos Aires, Argentina, 1999
© Armin Linke, Foto: Courtesy der Künstler
Für »The Appearance of That Which Cannot Be Seen« wurden Wissenschaftlerinnen und Theoretikerinnen dazu eingeladen, sich mit dem Bildarchiv von Armin Linke auseinanderzusetzen. Im engen Austausch mit dem Künstler wurden dabei verschiedene Auswahlen an Bildern getroffen, die in der Ausstellung in unterschiedlichen Zusammenstellungen präsentiert werden. Text, Bild und Audioaufnahmen bilden dabei keine festgefügte Einheit, sondern sind Teil von sich verändernden räumlichen Settings, in denen Kommentare der einzelnen »Akteure« unterschiedliche Blickweisen auf die Fotografien eröffnen. Die Art, wie wir durch Bilder unsere Welt lesen, wird durch die Offenlegung des Prozesses der Auswahl ebenso zum Thema gemacht wie der unterschiedliche methodische Umgang mit den Themen der GLOBALE aus der Perspektive der jeweiligen Forschungsansätze und Forschungsinteressen der einzelnen »Akteure«.
Ein Roboter geht die Treppe in einem Industriegebäude hoch
Armin Linke, Honda Research Centre, humanoid robot, Wako (Tokyo), Japan, 1999
© Armin Linke, Foto: Courtesy der Künstler
Wie in Armin Linkes interaktiven, 2007 im ZKM gezeigten Installation »Phenotypes/Limited Forms«, in der Besucherinnen eigenständig Fotografien zu einem Online-Archiv zusammenstellen konnten, wird auch in »The Appearance of That Which Cannot Be Seen« die Lesbarkeit fotografischer Archive durch eigens für die Ausstellung geschaffene Displaysysteme räumlich erfahrbar gemacht. Linke geht es dabei nicht um das einzelne Motiv, sondern um die Komposition seiner Bilder und die dadurch erzeugten Narrationen. Dass die Fotografie selbst ein Reproduktionsmedium ist, das sowohl Teil einer technologischen Mediengeschichte als auch Teil einer politischen Sozialgeschichte ist, wird durch die weißen Ränder auf den Fotografien deutlich. Diese lassen sich auf die Verwendung unterschiedlicher Kameratypen zurückführen, deren Bildformate ursprünglich für spezifische funktionale Anwendungsgebiete entwickelt wurden und die von Linke auf standardmäßig produzierte Papierformate übertragen werden. In seinen Arbeiten stellt Linke damit gleichsam die Geschichte der Fotografie mit aus und macht deutlich, dass ohne dieses Medium „die Erscheinung dessen, das nicht gesehen werden kann, nicht gesehen werden kann" (Bruno Latour).

Autor: Philipp Ziegler

Die beteiligten Akteurinnen:

  • Ariella Azoulay (*1962 in Tel Aviv) ist Kuratorin, Filmemacherin und Theoretikerin für Fotografie und visuelle Kultur. Sie unterrichtet an der Brown University, Providence. Zu ihren Publikationen gehört The »Civil Contract of Photography«, Zone Books, New York, 2008.
     
  • Bruno Latour (*1947 in Beaune) ist Soziologe und Philosoph. Er ist Mitbegründer der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und Vertreter der Wissenschaftsforschung. Zu seinen jüngsten Publikationen gehört »Existenzweisen - Eine Anthropologie der Modernen«, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2014 und die dazugehörige Website modesofexistence.org.
     
  • Peter Weibel (*1944 in Odessa) ist Künstler, Kurator und Medientheoretiker. Seit 1999 leitet er das ZKM | Karlsruhe.
     
  • Mark Wigley (*1956 in Palmerston North) ist Architekturtheoretiker, Autor und Kurator. Von 2004-2014 war er Dekan der Columbia University Graduate School of Architecture, Planning and Preservation, New York.
     
  • Jan Zalasiewicz (*1954 in Manchester) ist britischer Geologe und Vorsitzender der Anthropocene Working Group der Internationalen Kommission für Stratigrafie. 2010 erschien sein Buch »The Planet in a Pebble: A Journey into Earth's Deep History«, Oxford University Press, Oxford.