Beatrice Gründler: Arabische Schrift als Chiffre und Spielfeld

Dauer
1:15:06
Kategorie
Vortrag/Gespräch
Datum
19.10.2012
Beschreibung

Im Arabischen war die von semitischen Verwandten übernommene Schrift auf ungewöhnlich ideale Weise an die Sprachstruktur angepasst. Gleichzeitig ließ diese frühe Variante des Alphabets (abgad) gewisse Dinge aus. Das Weggelassene war aber rekonstruierbar: Die Folge der kurzen Vokale war großteils im Wortbau beinhaltet, und die grammatischen Endungen waren aus der Satzfolge zu entnehmen. Das in der Schrift Unsichtbare auszufüllen oblag dem Leser. Tat man dies laut, wie im Unterricht oder in literarischen Debatten, so demonstrierte man Sprach- und Stilkenntnis, bzw. enthüllte sein Unwissen derselben. Beim Schreiben wirkte die reduzierte Form als Schleier, denn der Schreiber konnte den Grad seiner Expertise verbergen. Es folgt, dass Schreiben weniger riskant war als Lesen. Literaten genossen aber gerade dieses Risiko, mit dem von der Schrift freigelassenen Raum zu spielen, in dem sie sich z.B. unpunktierte und unvokalisierte Briefe schrieben oder ganze Texte mit Buchstaben ohne diakritische Zeichen verfassten. Das Ungeschriebene wurde somit zum Spielfeld der Kreativität.

Beatrice Gruendler (D.E.U.G. Université de Strasbourg, M.A. Universität Tübingen, Ph.D. Harvard University, 1995 und ehemaliger Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin 2010-11) ist seit 1996 Professorin für Arabisch am Department of Near Eastern Languages and Civilizations der Yale University. Sie arbeitet in vier Forschungsrichtungen: der Entwicklung der arabischen Schrift, klassischer arabischer Dichtung und ihrem sozialen Umfeld, der Integration moderner Literaturtheorie ins Studium nahöstlicher Literaturen und der frühen arabischen Buchkultur unter dem Gesichtspunkt der Mediengeschichte. Neben zahlreichen Artikeln verfasste sie: The Development of the Arabic Scripts: From the Nabatean Era to the First Islamic Century, Bd. 43 der Reihe Harvard Semitic Studies, Atlanta, Scholars Press, 1993; Medieval Arabic Praise Poetry: Ibn al-Rûmî and the Patron’s Redemption, London0, Routledge Curzon 2003; als Mitautorin und Herausgeberin Classical Arabic Humanities in Their Own Terms, Leiden , Brill 2007; und als Mitherausgeberin, Understanding Near Eastern Literatures: A Spectrum of Interdisciplinary Approaches, Bd. 1 der Reihe Literaturen im Kontext: Arabisch - Persisch – Türkisch, Wiesbaden, Reichert, 2000;"Writers and Rulers: Perspectives from Abbasid to Safavid Times", Wiesbaden, Reichert, 2004. Neuere Artikel behandeln die wechselnden Anwendungen der arabischen Schrift, die Textgeschichte des vielfach übersetzten Fürstenspiegels indischer Herkunft, Kalila und Dimna, das Konzept der Heimat in der klassischen arabischen Literatur, und eine Gesamtübersicht formativer Trends der arabischen Literatur.