Beuys Brock Vostell – Eine Einführung in die Ausstellung

Portraits von Joseph Beuys, Bazon Brock und Wolf Vostell

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die europäischen Avantgarden die klassische Mission der Kunst, die Repräsentation der Realität, aufgegeben. Das Ergebnis war einerseits (seit Kasimir Malewitsch) die Abstraktion, die Selbstdarstellung der Darstellungsmittel, andererseits (seit Marcel Duchamp) die Selbstdarstellung der Objekte, also die Substitution der Repräsentation durch Realität. Die Neoavantgarden in der zweiten Jahrhunderthälfte haben diese Tendenzen nicht nur weitergeführt und radikalisiert, sondern die Kunst durch die massive Einführung der Medien Fotografie, Film, Video und Computer sowie der Handlung weiter transformiert. Poetische, pikturale oder plastische Handlungen – durch den Künstler oder durch das Publikum – traten an die Stelle ästhetischer Objekte und lösten die Grenzen zwischen zeitbasierter und raumbasierter Kunst sowie die Trennung von Kunst und Leben auf.


In Deutschland haben einige Künstler bereits in den 1950er-Jahren diese neuen Tendenzen erkannt und in künstlerische Praktiken umgesetzt, zum Beispiel Wolf Vostell, Bazon Brock und Joseph Beuys (um sie in der zeitlichen Reihenfolge ihres Auftretens zu nennen). Bisher hat die Kunstgeschichte die Werke dieser drei Künstler nur jeweils singulär behandelt, ohne den jeweiligen nationalen und internationalen Kontext zu berücksichtigen. Damit sind nicht nur individuell wichtige Aspekte und Leistungen der einzelnen Künstlerpersönlichkeiten vernachlässigt worden. Durch das Fehlen einer kontextuellen Zusammenschau ist insgesamt das Wissen um die Bedeutung dieser drei Künstler für die Weiterentwicklung der Moderne verloren gegangen.
 
Deshalb werden im Rahmen der Ausstellung Beuys Brock Vostell im ZKM | Museum für Neue Kunst die Aktionen, Demonstrationen und Performances dieser drei bedeutenden deutschen Künstler der Nachkriegsmoderne erstmals gemeinsam in einer groß angelegten Museumsausstellung präsentiert. Für das Zusammenbringen der drei Positionen sprechen programmatische Übereinstimmungen und die – meist übersehene – Tatsache, dass die Künstler befreundet waren und bei wichtigen Festivals und Ausstellungen in den 1960er-Jahren gemeinsam aufgetreten sind. Als Beispiele können hier das »Festival der Neuen Kunst am 20. Juli 1964« in Aachen, die Livesendung des Zweiten Deutschen Fernsehens für die Sendereihe Die Drehscheibe (1964) und das sogenannte 24 Stunden Happening in der Galerie Parnass in Wuppertal (1965) genannt werden.

Aus seinen Erfahrungen mit Krieg, Holocaust und totalitären Systemen hat jeder der drei Künstler auf Zivilisierung der Gesellschaft. Das Ziel – die radikale Emanzipation des Individuums – sollte durch Bewusstseinsveränderungen erreicht werden, ausgelöst von künstlerischen Aktionen, Bildern, Objekten und Reden. Joseph Beuys, Bazon Brock und Wolf Vostell haben grundlegende Positionen der Performativität vorgelegt und damit den Werkbegriff erweitert. Aus Literatur wurde Aktionsliteratur und multimediales und partizipatorisches Theater (Brock), aus Malerei und Collage wurden Aktionsmalerei und Dé-coll/age auf der Straße und schließlich Happenings mit Publikum (Vostell), aus Skulptur wurden »soziale Plastik«, Aktionsmusik und Demonstrationen (Beuys), in denen Interaktion und Partizipation des Publikums, Vermittlung und Lehre als Kunst im Mittelpunkt standen. Die von den Künstlern geschaffenen Skizzen, Zeichnungen und Texte, die Aktionswerkzeuge, die Relikte, Artefakte und Rekonstruktionen sowie die nach jahrelanger Recherche aufgespürten oder wiederentdeckten, zum Teil selten oder noch nie gezeigten fotografischen, filmischen oder videografischen Dokumentationen bilden in ihrer Gesamtheit ein Skript, mit dem die Aktionen erinnerbar, lesbar und sichtbar werden.
 
Die Ausstellung zeigt nicht das Gesamtwerk von Beuys, Brock und Vostell, sondern die individuellen und gemeinsamen Werkphasen der seine Weise Lehren gezogen: Zuerst wurde das Lehren selbst neu definiert. Die Lehre wurde zur Aufführungskunst mit Anschauungs- und Lehrobjekten, in deren Mittelpunkt das Vermitteln und Aufklären, das Agieren und Agitieren, die Diskussion und die Demonstration standen: das Polemische (Brock), das Pädagogische (Beuys) und das Propagandistische (Vostell). Dabei griffen sie auf europäische Traditionen wie Aufklärung, Protestantismus, Idealismus oder Romantik zurück. Johann Gottlieb Fichte beginnt 1794/1795 seine »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre mit einer Bestimmung des Ich«:

„Das Ich ist […] zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und That sind Eins und eben dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung […]."1
 

„Das Ich ist […] zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und That sind Eins und eben dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung […]."

Johann Gottlieb Fichte
Die intendierte Verschränkung von Kunst und Leben ist ein Echo der Romantik. Die programmatischen Schlachtrufe von Fluxus, Happening und Aktionskunst, vor allem das Motto „Kunst ist Leben – Leben ist Kunst“ (1961) von Wolf Vostell, lassen sich bis zu Ludwig Tieck zurückverfolgen: „Lasset uns darum unser Leben in ein Kunstwerk verwandeln […]."2

Ein gemeinsames Ziel war also die Reform beziehungsweise die Revolutionierung des gesellschaftlichen Lebens, die Demokratisierung und neuen Entwicklung der Kunst als Handlungsform. Zum besseren Verständnis werden daher auch Aspekte der Anfänge, wie Zeichnungen, Gedichte, Gemälde, Plastiken, und spätere Objekte, Installationen und Environments gezeigt, die aus den Aktionen hervorgingen. Zur Ausstellung erscheint ein Materialband, der die individuellen, vor allem aber die gemeinsamen Aktionen von Joseph Beuys, Bazon Brock und Wolf Vostell im Zeitraum von 1958 bis 1977 anhand von ausgewähltem Quellenmaterial präsentiert. Das wissenschaftliche Team erarbeitete eine Zeitleiste, die erstmals ein Verzeichnis aller Kooperationen sorgfältig und umfangreich aufzeichnet und darstellt.
 
[1] Johann Gottlieb Fichte, »Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer«, Gabler, Leipzig, 1794, S. 10.
[2] Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder, »Phantasien über die Kunst, für Freunde der Kunst«, Ludwig Tieck (Hg.), Friedrich Perthes, Hamburg, 1799, S. 130.