Olaf Arndt, Rob Moonen

Camera Silens

1994

Camera Silens
Künstler/in / Künstlergruppe
Olaf Arndt, Rob Moonen
Titel
Camera Silens
Jahr
1994
Kategorie
Installation, Klanginstallation
Material / Technik
Schallisolierter Raum mit Treppe und Bodengitter (Stahl, Holz, Schalplatten, Dämm-Material), Zahnarztstuhl, Kamera, Monitor, elektrische Beleuchtung
Maße / Dauer
540 x 600 x 600 cm
Sammlung
ZKM | Zentrum für Kunst und Medien
Beschreibung

Ein Stück Konzept-Art, ein Environment, eine Installation, ein interaktives Medienkunstwerk oder das Szenarium für ein Medientheater – das »Camera-Silens«-Projekt von Olaf Arndt und Rob Moonen verschließt sich gängigen kunstkritischen Kategorisierungen durch seine hermeneutische Vieldeutigkeit und seine vielschichtige Medialität. Das Environment und ein über hundertseitiges Pandekt aus Dokumenten, erbeutet durch mühsame Recherchen in schwer zugänglichen Archiven, stellt für sich keinen Schlüssel zur Interpretation bereit. Trotzdem wird sofort deutlich, dass der Raum nicht nur einen formalen Eigensinn besitzt, sondern auf etwas verweist, das außerhalb seiner kunsträumlichen Existenz liegt.

Die Camera Silens war zuerst einmal ein neurophysiologisches Experiment, dessen Wirkung einer seiner „Erfinder“ so beschreibt:

„Die camerae obscurae et silentes eignen sich zwar auch als Folterinstrumente; ihre abschirmenden und absorbierenden Eigenschaften sind aber vor allem ein unabdingbares Handwerkszeug zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Ton-Meistern und Medien-Technikern.“

Wenn wir dies lesen, wird uns die Naivität des medientechnologischen Diskurses bewusst, der Folter durch technische Notwendigkeit entschuldigt und so die Exkulpation des dem menschlichen Forscherdrang verpflichteten Naturwissenschaftlers deutlicher diskreditiert, als es ideologiekritische Stellungnahmen geisteswissenschaftlicher Kulturkritiker vermögen. Es verwundert nicht, dass junge Künstler, die ihre Arbeit gleichermaßen von einer ästhetischen wie gesellschaftskritischen Motivation abhängig machen, gerade hier ihre skeptische Neugier verankern.

Arndts und Moonens Recherchen über dieses vorgeblich wertfreie Wissenschaftsexperiment reichen über die Frühgeschichte der apparativen Psychologie des 19. Jahrhunderts hinaus. Darstellungen zum Versuch der charakterlichen Besserung des Individuums durch sezessionistische Mediatisierung und Anfragen im Stuttgarter Landtag zu Auswirkungen auf den aktuellen Strafvollzug lesen sich nicht nur wie ein spannendes Kriminalstück der Wissenschaftsgeschichte, sondern machen, vielleicht gerade weil ihre Entdeckung nicht dem objektiven Spürsinn der Historiker, sondern der subjektiven künstlerischen Neugierde geschuldet ist, die Verflechtung von Medientechnologie, psychopathologischer Feldforschung und Strategien kooperativer Menschen-(Ver)Führung besonders deutlich.

Der dokumentarischen Recherche stellen Arndt und Moonen das auf unmittelbar körperliche Erfahrung abzielende Environment an die Seite. Jeder Benutzer soll „sein persönliches Nichts“ erfahren, wie Olaf Arndt formuliert hat. Denn eines ist für die beiden Künstler klar: „Wir wollen keine Antifa-Plastik machen.“ Die zu eindeutige Fundierung ihrer künstlerischen Arbeit auf die unselige Verflechtung von forensischer Psychologie und nationalsozialistischer Euthanasie oder auf die ebenso rasch verdrängten Geschehnisse im Deutschen Herbst des Jahres 1979, wie sie die Dokumentation nahelegen könnte, wird durch die reale Existenz der »Camera Silens« vermieden. Sie stellt eine Art von Trojanischem Pferd dar, in dessen Innerem jenes von Arndt bezeichnete ganz persönliche Nichts lauert und das die unmittelbare körperliche Erfahrung mit dem totalen Sinnesentzug zu einer Selbsterfahrung im unmittelbaren Sinn des Wortes macht.

Der Benutzer der »Camera Silens« ist nicht verpflichtet, die Rechercheergebnisse, die der produktiven Neugier der Künstler entstammen, zum Gegenstand seiner persönlichen Reflexion zu machen. Die subjektiven Obsessionen, die durch das Isolationserlebnis freigesetzt werden, sind viel zu überwältigend und drängen die assoziativen Vorgaben der Dokumente in den Hintergrund. Die Erlebnisberichte der Benutzer einer »Camera Silens« belegen, dass hier etwas entsteht, was man durchaus als eine Art Low-Tech-Cyberspace auffassen könnte: ein Raum, der kybernetisch, das heißt bis zur Perfektion vorprogrammiert ist, der totale Kontrolle suggeriert und gerade dadurch als einzige Reaktionsmöglichkeit nur die Flucht ins Innere offenlegt.



– Hans-Peter Schwartz, 1997

Über den/die Künstler/in