Marie-Jo Lafontaine

Les larmes d'acier

1987

Les larmes d'acier
Künstler/in / Künstlergruppe
Marie-Jo Lafontaine
Titel
Les larmes d'acier
Jahr
1987
Auflage / Seriennummer
2
Kategorie
Video, Installation, Videoinstallation
Material / Technik
6-Kanal-Video-, 2-Kanal-Audioinstallation ; 27 Monitore, 6 Laserdiscs, 6 Laserdiscplayer, Holzarchitektur
Maße / Dauer
380 x 753 x 210 cm; Video: 00:08:00
Sammlung
ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe Karlsruhe, erworben mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg
Beschreibung

Gerade in diesem Spannungsverhältnis von unnachgiebiger formaler Strenge in der männlichen Haltung und emotionaler Entfesselung des seelischen Horizonts durch den weiblichen Part entfaltet sich das Spiel der Verführung, das Marie-Jo Lafontaine sowohl als erotisches wie auch als ideologisches Thema greifbar macht. »Les larmes d'acier« nimmt im Werk von Marie-Jo Lafontaine eine Schlüsselstellung ein, indem es eine komplexe Begriffskonstellation paradigmatisch auf eine stellvertretende Handlung projiziert: Mann, Maschine, Macht und Sexualität mutieren unter dem Diktat der Schönheit zu einem totalitären Entwurf. Dazu trägt die Musik entscheidend bei, sowohl als ironische Unterwanderung des leeren Pathos als auch in ihrer Komplizenschaft mit der Gesamtinszenierung. Apollo verwechselt sich mit Dionysos, Narziss schwingt sich zum Übermann auf.

Die Bomben der Deutschen, die während des Zweiten Weltkriegs auf Europa niedergingen, nannte man “Tränen aus Stahl“. Und doch ist das Werk vor dem Hintergrund dieses Titels nicht als politisches Manifest zu lesen, auch wenn der historisch-politische Bezug beabsichtigt ist. Marie-Jo Lafontaine riskiert, das stigmatisierte Ideal heroisierter Stärke und Schönheit zu berühren, indem sie die Eskalation der Faszination in den Terror einbezieht. Die Pose der Überlegenheit unterliegt der selbstgeschaffenen Ideologie. Gerade hier lässt die Macht der Musik die ideologisierte Hybris zur leeren Pose gerinnen, wo sie ihr nicht in Überwältigung entgegentritt, sondern sie in stellvertretender Spiegelung ironisiert. Betrachtet man die sakral anmutende Monumentalarchitektur des Gehäuses von »Les larmes d’acier« in ihrem Verhältnis zu den Videobildern, so wird die Installation auch als Kommentar zur Idee des Gesamtkunstwerks lesbar. Eingebettet in eine von gigantischen Strebepfeilern getragene Konstruktion, zitiert die Anordnung der Monitore die triptychonartige Form eines Altars, in dessen Aufbau sich Monumentalität und medialer Monismus selbst problematisieren. Der Verweis auf gotische Kathedralen und expressionistische Filmarchitekturen steht für den hilflos grandiosen Versuch, aus ideologisierter „Schönheit“ einen isolierten, sich autonom behauptenden Kulturanspruch zu begründen, in dem Natur und Kunst zur Rekonstruktion großer Ideale missbraucht werden. Dass die Versuche absoluter Vervollkommnung durch ihre inhärente Neigung zum Ausschluss von Abweichendem immer gewalttätiger werden und die leidenschaftliche Überhöhung der idealen Proportionen den Menschen schließlich zur manipulierbaren· Masse degradiert, ist ein Zug, den Marie-Jo Lafontaine in der Rhetorik der verschiedenen Medien und Geschlechterrollen voll zur Geltung bringt. Ihr Gegenentwurf zum „Gesamtkunstwerk“ visualisiert, wie die Barbarei mit der hochmütigen Verselbständigung der Schönheit begann.

[Erstveröffentlichung in: Heinrich Klotz (Hg.), Kunst der Gegenwart, Prestel, München, 1997]

AutorIn: Ursula Frohne

Über den/die Künstler/in