25 Jahre ZKM: Ein performatives Museum der zeitbasierten Künste

11.09.2014

Ein Portrait von Peter Weibel

Das ZKM wurde vor 25 Jahren, 1989, gegründet. Als seinen permanenten Ort bezog das ZKM 1997 den riesigen Hallenbau der Industriewerke Karlsruhe-Augsburg, eine ehemalige Munitionsfabrik. Anlässlich des Jahrestages der Gründung der Stiftung darf die Frage gestellt werden, warum das ZKM gegründet wurde, welchen historischen Ereignissen das ZKM seine Gründung Ende der 1980er-Jahre verdankt.

Die Ideen zum ZKM entstanden meiner Auffassung als Folge der Revolutionen der 1960er-Jahre: den politischen und sozialen Revolutionen, den künstlerischen und technischen Revolution, der feministischen Bewegung, der sexuellen Revolution und der Rock- und Pop-Bewegung. Wenn wir uns fragen, was die wichtigsten Elemente der künstlerischen und technischen Revolution der 1960er-Jahre waren, lautet die Antwort wie folgt: Die Einführung der Kunst der Handlung und der Aufstieg der neuen Medien.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die europäischen Avantgarden die klassische Mission der Kunst, die Darstellung der Realität mit den Darstellungsmitteln Punkt, Linie, Fläche, Farbe, Volumen etc. aufgegeben. Das Ergebnis war einerseits (seit Kasimir Malewitsch) die Selbstdarstellung der Darstellungsmittel, von der geometrischen Abstraktion bis zum Informel. Andererseits kam es (seit Marcel Duchamp) zur Selbstdarstellung der Objekte, die Repräsentation der Realität wurde durch die Realität selbst substituiert, von den Readymades und surrealistischen objets trouvés über die Assemblagen und Möbelskulpturen bis zur Installationskunst. Die Kunst der Objekte führte zu einer Verdoppelung der Realität. Aus Landschaftsmalerei wurde Land Art, aus gemaltem, natürlichem Licht wurde reales, künstliches Licht, aus Menschenporträts wurde Body Art. Reale Gegenstände wurden zum Medium realer Handlungen in Raum und Zeit. Die Neo-Avantgarden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben also einerseits die Handlung, aber andererseits auch die Medien in die Kunst eingeführt. Beide Transformationen des Kunstbegriff bedingen und beeinflussen sich wechselseitig.

Museumsbesucher laufen zwischen Ausstellungsstücken her
KAMUNA 2014
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Daniel Fuchs

Das Trägermedium des Bildes war über Jahrtausende die klassische Malerei, das Tafelbild und die Wandmalerei. Auf die Erfindung der Fotografie um 1840 folgten weitere, technische Trägermedien des Bildes, wie Film, Video, Computer, welche den Bildbegriff verändert haben, vom bewegten bis zum belebten Bild, vom virtuellen bis zum interaktiven Bild. Aus dem klassischen Tafelbild entstanden also die neuen Bilder der Medientechnologie, aber auch die neuen Handlungsformen.

Aus der Malerei als reine raumbasierte Kunst entwickelte sich um 1950 auch eine zeitbasierte Aktivität. Die Fotos und der Film von Hans Namuth über Jackson Pollock zeigten den Maler beim Akt des Malens. Damit wurde die Aktion des Malens ebenso wichtig wie das Malprodukt selbst. Deswegen sprach man von Action Painting. Durch die auf den Boden gelegte Leinwand bei Pollock (für das Dripping der Farbe) wurde das vertikale Tafelbild zu einer horizontalen Arena der Aktion. Der Akt des Malens wurde via Fotografie und Film zu einer Performance, zu einer Aktion vor Publikum. Georges Mathieu hat den Einfluss der Beobachtungsmedien auf den Akt der Kreation und Gestaltung zur „Schaumalerei“ vorangetrieben und auf einer Bühne vor realem Publikum gemalt (1956 schuf Mathieu im Theater Sarah-Bernhardt, Paris vor 2000 Zuschauern ein großformatiges Tafelbild von 4 × 12 Metern). Yves Klein hat 1960 in einer Kombination von Pollock und Mathieu reale Körper ebenfalls vor Publikum als Pinsel verwendet: zuerst wälzten sich nackte, weibliche Modelle auf der flachen Arena in Farbe, dann „malte“ Klein mit deren Körperabdrücken auf der vertikalen Leinwand. Die Malerei hat sich also im Dreischritt – „Aktion auf der Leinwand, Aktion vor der Leinwand, Aktion ohne Leinwand“ (P. W.) – von einer reinen Bild- und Darstellungskunst in eine zusätzliche Handlungs- und Aufführungskunst gewandelt. So hat die Malerei also bereits eine performative Wende angebahnt und vollzogen.

Auch aus der Poesie, Musik und Skulptur entstanden Handlungsformen. Poetische, pikturale oder plastische Handlungen statt ästhetischer Objekte, haben die Grenzen zwischen zeitbasierter und raumbasierter Kunst, zwischen darstellender und bildender Kunst, sowie die Trennung von Kunst und Leben aufgelöst. Der Kunstbegriff und der Werkbegriff erweiterten sich. In New York erschien ein Panorama der Expanded Arts (George Maciunas, Expanded Arts Diagram, 1966). In Europa prägte Laszlo Glozer den Begriff „Ausstieg aus dem Bild“ (Westkunst- Zeitgenössische Kunst seit 1939, Köln, 1981).

Die Handlungskunst beschränkte sich bald nicht nur auf die Performance des Künstlers allein, sondern dehnte sich auf die Partizipation des Publikums aus. Interaktivität und Beteiligung des Publikums, des Betrachters, der Besuchers bei Aktionen und Demonstrationen im Museum wie auf der Straße wurde zu einem wichtigen Instrument der künstlerischen und sozialen Rebellionen. Unterstützt wurden diese Aktionen durch die neuen Medien. Die Kunst dehnte sich durch neue Materialien, neue Medien und neue Methoden in alle Bereiche aus. Die Medien wie Foto, Film, Video und Computer spielten aber nicht nur eine dokumentierende Rolle, sie waren nicht nur Teil des erweiterten Bildbegriffs, sondern übernahmen ab 1960 und insbesondere ab 1990 eine führende Rolle bei der Veränderung des Werk- und Kunstbegriffes.

Nach dem Aufstieg der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, als zum ersten Mal Film und Video, Fernsehen und Computer künstlerischen Zwecken nutzbar gemacht werden konnten, zeichnete sich ab, dass Wissenschaft und Kunst gemeinsame Werkzeuge teilen. Angesichts dieser revolutionären Entwicklungen in der Kunst, dieses „Aufbruchs der Künste“ (eine wichtige Konferenz vom 10. bis 13. März 1988 in Vorbereitung der Gründung des ZKM trug den Titel Die Künste im Aufbruch) kamen die ersten Ideen zur Gründung des ZKM durch weitsichtige Planer in der Stadt Karlsruhe auf.

Hubwagen auf Baustelle in Lichthof
ZKM | Museum für Neue Kunst, Bauarbeiten 1999
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Christof Hierholzer

Am Standort Karlsruhe war die Universität mit ihrer Geschichte seit Heinrich Hertz (der experimentelle Nachweis der Existenz der elektromagnetischen Wellen 1886–1888) und einer der ersten Fakultäten für Informatik einer der Impulsgeber für diese Entwicklung. Wissenschaftler, Künstler, Intellektuelle und Politiker in Karlsruhe sahen die wechselseitige Beeinflussung der neuen Künste und der Gesellschaft voraus und wollten mit der Gründung eines Zentrums für Kunst und Medientechnologie den Künstlern die Möglichkeit bieten, mit den neuen Medien Werke zu schaffen, und den Bürgern die Möglichkeiten bieten, die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Entwicklung zu verstehen. Man begab sich damit auf noch unsicheres Terrain, die neuen Medien waren noch nicht im Mainstream angekommen, an Mobiltelefone für jedermann und ein öffentliches Internet war noch nicht zu denken. So vorausschauend die Gründer des ZKM waren, so sehr sollte das Zentrum für Kunst und Medientechnologie der Zukunft von Kunst und Medien verpflichtet sein. Es sollte Seismograf dieser Zukunft sein und durch die Künste die Bürger an den rasanten Entwicklungen der neuen Medien und deren künstlerisch-kritischen Reflexionen teilhaben lassen.

Flugzeug hängt an Seilen in einem Lichthof
Ausstellungsansicht "Beuys Brock Vostell"
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Felix Grünschloß

Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums entstand nun der Gedanke, im Rückblick die zentralen Ideen, die zur Gründung des ZKM führten, anhand von Künstler noch einmal vorzustellen. Mit der Ausstellung "Beuys Brock Vostell" (24. Mai–09. November 2014) zeigen wir die drei zentralen Vertreter der Aktionskunst in Deutschland, die programmatische Übereinstimmungen vorweisen und daher oft gemeinsam aufgetreten sind. Als Beispiele können hier das Festival der Neuen Kunst am 20. Juli 1964 in Aachen, die Livesendung Joseph Beuys: Fluxus Demonstration / Bazon Brock: Agit Pop / Wolf Vostell: Dé-coll/age Happening des Zweiten Deutschen Fernsehens für die Sendereihe Die Drehscheibe (1964) und das sogenannte 24 Stunden Happening in der Galerie Parnass in Wuppertal (1965) genannt werden. Aus ihren Erfahrungen mit Krieg, Holocaust und totalitären Systemen hat jeder der drei Künstler auf seine Weise Lehren gezogen: Zuerst wurde das Lehren selbst neu definiert. Die Lehre wurde zur Aufführungskunst mit Anschauungs- und Lehrobjekten, in deren Mittelpunkt das Vermitteln und Aufklären, das Agieren und Agitieren, die Diskussion und die Demonstration standen. Dabei griffen sie auf europäische Traditionen wie Aufklärung, Protestantismus, Idealismus oder Romantik zurück. Viel unbekanntes Foto- und Filmmaterial wird erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Wichtige Arbeiten werden rekonstruiert, re-enacted oder nachgebaut.

Wir zeigen in der Ausstellung "Claus Bremer: mitspiel. theater und poesie 1949−1994" (05. Juli–05. Oktober 2014) auch, wie zeitgleich zur Kunst im Theater die Idee des Mitspielens um sich greift, das heißt, die Beteiligung des Publikums. Seit 1958 konzipierte Claus Bremer parallel zur offenen Form in der Kunst neue Spielweisen des Theaters. „der autor fordert die schauspieler zum mitspielen auf. die schauspieler fordern durch ihr mitspielen die zuschauer zum mitspielen auf.“ (Claus Bremer, versuche mit festgelegten und nicht festgelegten aufführungen, 1963.) Alle genannten Künstler haben mit der Publikumsbeteiligung in der Kunst bereits die Sphäre der Bürgerbeteiligung in der Politik vorbereitet.

Frau steht vor goldenen Ausstellungsobjekten
Ausstellungsansicht »Jean-Jacques Lebel. Die höchste Kunst ist der Aufstand«
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: ONUK

Was Beuys, Brock, Vostell in Deutschland sind, verkörpert Jean-Jacques Lebel in Frankreich in einer Person. Er hat in seinen Gemälden, Collagen und Assemblagen den Nouveau Réalisme voran getrieben. Lebel hat in über sechzig Happenings seit 1960 das Spektrum des freien Ausdrucks von der Malerei und Poesie in die Aktionskunst erweitert. Ebenso hat er mit seinen Film- und Videoinstallationen den Bildbegriff aktualisiert. Besonders relevant ist in dieser Ausstellung die Installation aus Geschosshülsen, "Le cénotaphe dédié aux poilus bricoleurs anonymes de la Première Guerre mondiale" (seit 1958), die zur Hälfte aus der ehemaligen Deutschen Waffen und Munitionsfabrik AG entstammen, dem heutigen ZKM, und nun nach hundert Jahren als Kunstwerk in das ZKM zurückkehrt. Die Soldaten haben nämlich als Amateurkünstler in den Schützengräben aus den Granaten und Geschossen Kunstwerke ziseliert. Lebel ist auch Aktivist, der eine wesentliche Rolle im Mai 68 gespielt hat und in einigen revolutionären Gruppen Mitglied war. Er ist ein bedeutender Dichter und ist daher mit den Vertretern der Beat Generation von William S. Burroughs bis Allen Ginsberg befreundet, deren Werke er übersetzt hat. 2013 hat er die Ausstellung "Beat Generation / Allen Ginsberg" im ZKM kuratiert.

Für den Aspekt der Medienkunst haben wir den bedeutendsten Vertreter der amerikanischen Filmkunst ausgewählt, einen Freund von Lebel. Jonas Mekas ("Jonas Mekas. 365 Day Project", 26. Juli–09. November 2014) ist eine zentrale Figur des unabhängigen Films seit den 1960er-Jahren. Der amerikanische Avantgardefilm würde ohne ihn nicht existieren. Nicht nur wegen seiner Filme, sondern auch wegen seiner einflussreichen Kritiken, jahrzehntelang in der Zeitschrift Village Voice und in der von ihm 1954 herausgegebenen Zeitschrift Film Culture, ebenso durch die von ihm 1962 gegründete Film-Makers-Kooperative, die Vorbild war für globale Imitationen. 1970 gründete er die Institution Anthology Film Archives. Ohne Mekas gäbe es den unabhängigen amerikanischen Film nicht so wie wir ihn kennen. Ohne diesen amerikanischen „Underground Film“ gäbe es die globale Bewegung des Avantgardefilms nicht wie wir sie kennen. Deswegen zeigen wir Birth of a Nation von 1997, der alle bedeutenden Persönlichkeiten des Avantgardefilms versammelt, und auch die Installation seines Tagebuches, das sich über ein Jahr erstreckt, 365 Day Project aus dem Jahre 2007.

Im Herbst werden wir Ihnen mit Lynn Hershman ("CIVIC RADAR. Lynn Hershman Leeson − die Retrospektive", 13. Dezember 2014–29. März 2015) eine der wichtigsten Vertreterinnen der feministischen Revolution zeigen, die mit ihren Fotomontagen, Spielfilmen, (Video-)Installationen, Internetprojekten und zahlreichen medialen Performances entscheidende Beiträge zur Medienkunst geleistet hat. Sie sehen, wir führen Sie im Jubiläumsjahr des ZKM an die Wurzeln des ZKM zurück, nämlich in die Epoche der künstlerischen, technischen und sozialen Revolutionen, denen das ZKM seine Entstehung verdankt. Das ZKM ist mittlerweile eine weltweit anerkannte Institution, aber immer noch Teil der Revolutionen, denen es seine Entstehung verdankt, denken Sie an unsere Ausstellung "global aCtIVIsm" (14. Dezember 2013–30. März 2014).