The Digital Oblivion
Substanz und Ethik in der Konservierung digitaler Medienkunst
Do, 04.11.2010 – Fr, 05.11.2010, Symposium

Im Rahmen des Forschungsprojekts »digital art conservation« stellt diese Fachkonferenz die Frage nach der Zukunft des digitalen kulturellen Erbes, dies insbesondere im Hinblick auf die Konservierung digitaler Medienkunst. Seit Jahrtausenden ist unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unser Selbst- und Weltbild durch in sich langfristig stabile Überlieferungssysteme geprägt. Wegen der möglichen Bedrohung des kulturellen Erbes durch äußere Einwirkung, durch Kriege, gezielte Zerstörungen und natürliche Zersetzungsprozesse, war das kulturelle Gedächtnis bisher grundsätzlich auf Langlebigkeit und Verlässlichkeit ausgerichtet.
Seit wenigen Jahrzehnten erlaubt die Digitalisierung eine leichtere Bearbeitung und Weitergabe der Inhalte des kulturellen Gedächtnisses; im Internet sollen sie jedem Nutzer jederzeit an jedem Ort zur Verfügung stehen. Grundsätzlich aber ist die Bewahrung von digitalisierten Inhalten einer immer kurzfristigeren Anpassung an neue technische Systeme unterworfen. In dieser funktionalen Obsoleszenz, in der Abhängigkeit der technischen Systeme von Unternehmensstrategien und Marktinteressen, liegt eine systemimmanente Bedrohung des digitalen kulturellen Gedächtnisses, die die bisher gültigen Kriterien der Langlebigkeit und Authentizität in jedem Moment ad absurdum führt. So hat die digitale Revolution Bedingungen hervorgebracht, die das Fortbestehen des kulturellen Gedächtnisses an sich zutiefst in Frage stellen. Die tief greifenden Konsequenzen dieses Systemwechsels des kulturellen Gedächtnisses sind bisher kaum reflektiert worden. Auf welche Werte aber kann sich eine Gesellschaft stützen, die nur noch über ein eventorientiertes Kurzzeitgedächtnis verfügt?
Auch in der Praxis und Theorie der Sammlung und Konservierung von Kunst hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, der Kuratoren, Sammler, Kunstwissenschaftler und Konservatoren vor bislang ungelöste Probleme stellt. Lagen die traditionellen Medien und Werkzeuge noch in der Hand des Künstlers und nachfolgend des Restaurators, so haben die digitalen Medien diesen kulturellen Akteuren ihre schöpferische Eigenständigkeit weitgehend entzogen. Parallel zum notwendigen Pragmatismus des Sammlungs- und Ausstellungsalltags stellt sich in der Konservierungstheorie – ähnlich wie in den Human- und Naturwissenschaften, in der Bioethik und der Umweltethik – eine Wertediskussion einer Ethik der Erhaltung ein, deren Ziel es ist, die aktuell empfundene Unsicherheit bei der Konservierung von digitaler Medienkunst als einen wesentlichen Teil unseres kulturellen Erbes zu überwinden.
Aus diesem Themenkomplex ergeben sich die Fragen der ersten internationalen Fachtagung des auf drei Jahre angelegten EU-Forschungsprojekts »digital art conservation«: Welche Konsequenzen wird der aktuelle Systemwechsel des kulturellen Gedächtnisses für das Zeit- und Geschichtsbewusstsein, das Selbst- und Weltbild der Menschheit haben? Sind die bisher gültigen Kriterien der Originalität, der Langlebigkeit und Werthaltigkeit von Kunstwerken und deren Sammlung auf digitale Medienkunst anwendbar? Können und sollen Standards für das konservatorische Vorgehen bei der Sammlung digitaler Medienkunst entwickelt werden?

Prof. Dr. Hans Belting Professor emeritus für Kunstwissenschaft und Medientheorie, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
Prof. Dr. Edmond Couchot Professor emeritus Université de Paris VIII
Alain Depocas Direktor, Centre de recherche et de documentation, Fondation Daniel Langlois, Montréal
Herbert W. Franke Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller, Egling
Prof. Dr. Hans Dieter Huber Leiter des Studiengangs Konservierung Neuer Medien und Digitaler Information, Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart
Antoni Muntadas Künstler, New York
Daria Parkhomenko Direktorin LABORATORIA Art & Science Space, Moskau
Dr. Ingrid Scheurmann Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Professur Denkmalkunde und Angewandte Bauforschung, Technische Universität Dresden
Prof. Dr. Bernhard Serexhe Hauptkurator ZKM | Medienmuseum
Prof. Dr. h.c. Peter Weibel Vorstand des ZKM | Karlsruhe
Dr. Klaus Weschenfelder Präsident ICOM Deutschland
Prof. Dr. Siegfried Zielinski Professor für Medientheorie, Universität der Künste, Berlin

Organisation / Institution
ZKM