Cerith Wyn Evans: The What If?... Scenario (after LG)
Fr, 05.07.2013 – So, 03.11.2013
»The What If?... Scenario (after LG)«, Titel der vierten Ausstellung im Wiener Augarten ist irritierend und elliptisch zugleich, wie die meisten Einschreibungen des Künstlers Cerith Wyn Evans. Zum einen – obwohl eine Antizipation des Zukünftigen behauptet wird – handelt es sich um eine Reprise. Der Titel zitiert Liam Gillicks gleichnamige Londoner Ausstellung von 1996, deren Spekulation über einen imaginativen und politischen Zukunftssinn in Gillicks heute historischem Vorschlag zusammengefasst werden kann: Alles kann etwas anderes werden. Darüber hinaus enthält der Titel ein verstörendes Oxymoron, oder zumindest eine offenkundige Ungereimtheit. Die grundlegend unvorhersehbare Hypothese, die sich in der Frage »What if?«, »Was wäre, wenn?« verbirgt, wird durch die Vorwegnahme des angedeuteten Zukunftsszenarios umgekehrt, durch seine Antizipation, Prophezeiung, oder zumindest in Form einer „Geschichte dessen, was in der Zukunft passieren wird.“

»The What If?... Scenario (after LG)« schafft die Voraussetzung für eine Vielzahl von Möglichkeiten, Kontingenzen und Unsicherheiten im Bezug auf gegebene Bedingungen und Strukturen dessen, was wir sehen und was wir wissen, bzw. der Art und Weise, wie wir zu diesem Wissen kommen. Die angebotenen Szenarien verbleiben suspendiert in »schwachen Verknüpfungen« und verfestigen sich nicht zu eindeutigen Aussagen. Die leuchtenden und illuminierenden Arbeiten, die von TBA21 über zehn Jahre gesammelt wurden und hier zum ersten Mal zusammen gezeigt werden, entfalten ein Netz künstlerischer, literarischer und referentieller Verweise, die darauf warten, zum Vorschein zu treten und von den BetrachterInnen erfasst und durchschaut zu werden. Letztere wiederum können nicht anders, als zu AkteurInnen in einem Spiel von vielschichtigen Bedeutungen und Spekulationen zu werden. Cerith Wyn Evans’ künstlerische Strategie unterbricht unseren gewohnten Zugang zur Welt der Objekte und Bedeutungen, indem sie unsere Assoziations- und (Wieder)erkennungsmuster stört, Lücken lokalisiert, feinstoffliche Assoziationen, anekdotische Abweichungen, Kontingenzen, und Übersetzungsfehler andeutet.

Cerith Wyn Evans benutzt fast ausschließlich das »schon Geschriebene«, inszeniert es allerdings als Ereignis, »verqueert es«, versetzt und verbindet es neu und erzeugt dennoch Unvorhersehbares. Indem er dabei Film, Licht, Kommunikationstechnologien wie Morsecode, literarische Fragmente und Zitation einsetzt, kompliziert er die Materialität und die strukturellen Aspekte von kodifizierter Kommunikaton und Text an den Schwellen der Installation. Er erkundet und nutzt die Grenzen visueller Wahrnehmung, die Latenz der Retina, und setzt gekonnt strukturalistische Aspekte von vorwiegend Film und Literatur ein. Er spielt mit der psychophysischen Bedingtheit seiner BetrachterInnen, nähert sich seinem oder ihrem Sensorium in vielstimmigen audiovisuellen Sprachen. Diese entfalten sich erst dann, wenn sie übersetzt, dekodiert, und innerhalb eines offenen Bedeutungshorizontes interpretiert werden, ohne je vollkommen die Kontrolle über den angelegten Interpretationsrahmen abzugeben.

In der Tradition der essentiell monographischen, jedoch spezifisch dialogischen Ausstellungen im Augarten, die sich jeweils als künstlerische Begegnungen darstellten, präsentiert die Ausstellung Cerith Wyn Evans’ Kollaboration mit dem deutschen Künstler Florian Hecker: »No Night No Day, 2009« im Teatro Goldoni im Rahmen der 53. Biennale in Venedig erstmals gezeigt. Diese Zusammenführung zweier unabhängig voneinander entstandener künstlerischer Ereignisse (Film und Ton) kann als Materialisierung des »third mind«, wie ihn die Schriftsteller William S. Burroughs und Brion Gysin konzipierten, betrachtet werden. Aus der Begegnung zweier Geister entsteht ein dritter Raum, der und dessen Ergebnis ein unvorhersehbarer und nicht rein additiver, sondern vielmehr potenzierter Gedankenraum ist, eine Extrapolation der zwei Stimmen. »No Night No Day« wird erstmals als installative Arbeit gezeigt, die der räumlichen Konfiguration im Augarten angepasst ist.

Die TBA21 Sammlungsbestände von Wyn Evans’ Arbeit gehen auf den Beginn der Stiftungsgeschichte zurück, wodurch ein einzigartiges Arsenal des künstlerischen Oeuvres und als solches ein Wegweiser zu vielfältigen Fragen und Entwürfen entstanden ist.