Portrait einer Frau

02.10.2013

Sasha Waltz im Interview mit der BNN - Badische Neueste Nachrichten

Zur Eröffnung der Ausstellung »Sasha Waltz. Installationen Objekte Performances« ZKM | Karlsruhe im September 2013 führte Michael Hübl (BNN) ein Interview mit der Karlsruher Choreographin.

EIN INTERVIEW MIT SASHA WALTZ VON MICHAEL HÜBL

MH: Waltraud Kornhas war eine Schülerin der Ausdruckstänzerin Mary Wigman. Hat sich das in ihrem Tanzunterricht bemerkbar gemacht?

Waltz: Als Kind, ich war ungefähr zehn, habe ich schon gemerkt, dass da etwas Besonderes ist, aber was, konnte ich natürlich nicht sagen. In ihrem Unterricht waren durchaus viele Elemente des klassischen Balletts enthalten, aber gerade in der Aufwärmphase legte sie viel Wert auf freie Improvisation. Da hat sich etwas geöffnet, denn da war nicht dieses Strikte des Balletts, war nie das Gefühl von Drill, sondern es ging darum, sich frei entfalten zu können. Aber das war mehr als eine Tanzstunde. Frau Kornhas hatte viele Tanzbücher aus den Zwanzigern, aber auch Neuerscheinungen; die ersten Bücher über Pina Bausch habe ich bei ihr liegen sehen. An den Wänden hingen die Bilder ihres Mannes Werner Kornhas – das war eine sehr inspirierende Atmosphäre. Ich habe sie auch später immer wieder besucht, wenn ich in Karlsruhe war, habe ihr erzählt und habe versucht, sie an meinem Leben teilhaben zu lassen, denn sie war bis ins hohe Alter am Geschehen interessiert. Eine unglaublich offene Frau und eine ganz erstaunliche Persönlichkeit.  

MH: Würden Sie sagen, Ihre Form des Tanzes ist die Fortsetzung des „New German Dance“, wie Sie ihn bei Waltraud Kornhas kennengelernt haben?

Waltz: Der moderne, eigentlich expressionistische Tanz, also das, was Mary Wigman, Gret Palucca oder Rudolf von Laban entwickelt haben, macht in meiner Entwicklung eine wichtige Linie aus. Aber mindestens genauso wichtig ist für mich die amerikanische Postmoderne, also alles nach Cunnigham. Da ist alles noch einmal aufgebrochen, auch sehr viel mit bildenden Künstlern zusammengearbeitet worden. Da gab es eine riesige Szene in New York, davon war ich eigentlich fasziniert. Ich habe mit 16 an einem Workshop eines englischen Tänzers in Freiburg teilgenommen, der sich auf diese Geschichte bezog. Da hat sich alles entschieden. Da wusste ich: Ich will Tanz studieren. Davor war der Tanz nicht so wichtig, war Spaß, Vergnügen. Aber jetzt ging es um sehr viel mehr: um Bewusstsein, um Wahrnehmungstechniken. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich mich für den Tanz entscheiden, und habe diese Linie verfolgt. Als ich dann später meine eigenen Stücke produziert habe, habe ich gemerkt, dass ich narrativer bin und dass da eine andere Expressivität ist als bei der Postmoderne mit ihrer strikten Abstraktion. Eine merkwürdige Mischung, wo man schon auch denken kann, dass das vielleicht auch mit dem Tanztheater von Pina Bausch zu tun hat. Aber eigentlich ging mein Weg über die amerikanische Postmoderne und dann wieder zurück. Also gibt es da zwei Stränge.

MH: In Ihrem Werk spielt die Nähe zur bildenden Kunst eine große Rolle.

Waltz: Es stimmt, ich habe sehr früh mit bildenden Künstlern gearbeitet, genauso wie mit Musikern. Das kollektive Vorgehen steht im  Herzen meiner Arbeit. Das Theater ist ja auch eine kollektive Arbeit. Ich habe enge Verbindung mit sehr unterschiedlichen Musikern gepflegt, aus der elektronischen Musik, aber auch aus der Free-Jazz-Szene bis hin zu zeitgenössischen Komponisten, die aus der klassischen Musik kommen. Als drittes muss ich auch die großen Opern erwähnen, ob sie nun aus dem Barock sind oder aus der Romantik. Auch die bedeuten für mich eine Herausforderung und stellen mich vor die Frage: Wie gehe ich mit der anderen Sprache um, welche Formen finde ich? Jedes Mal hinterfrage ich die Art und Weise, wie ich mit den Werken umgehe, und das hat mich auch jedes Mal herausgefordert, wie ich meine eigenen Mittel einsetze. Das sieht man auch an der Arbeit: Dass es Perioden gibt und unterschiedliche Herangehensweisen. Was die bildenden Künstler angeht, war ich eigentlich von Anfang an als Choreografin an dem Bühnenbild, an der Gestaltung des Raums beteiligt. Ich habe immer so mit Künstlern gearbeitet, dass ich mit ihnen in einen Dialog trete, weil ich ja nicht der Techniker bin oder der Architekt, aber ich gehe immer von einer Vision für den Raum aus. Wobei ich das Ganze immer sehr installativ denke, was auch meine Arbeit hier im ZKM so spannend macht.  

MH: Was heißt das genau?

Waltz: Weil die Räume für die Bühne sehr installativ gedacht sind, funktionieren sie auch im Kontext einer Ausstellung. Das liegt daran, dass sie niemals einfach als Fassade konzipiert sind. Ich bin jemand, der ganz stark aus der Materialität des Objekts kommt. Ich will kein Fake, keine Illusion, also die Tür wird nicht aufgemalt, die wird benutzt, die wird bearbeitet. Das ist ganz wichtig.  

MH: Das heißt Ihre Arbeiten hier im ZKM funktionieren auch ohne Tanz?

Waltz: Viele funktionieren ohne Tanz, ganz den Körper herausziehen – das geht allerdings nicht. Was auf der Bühne mit Tänzern funktioniert, wird jetzt auf die Objekte oder in Videos übertragen. Es wird aber auch tänzerische Performances geben. Nur eine eigene Choreografie wie für das Neue Museum in Berlin oder das MAXXI in Rom wird es im ZKM nicht geben.  

MH: Wie sehen Ihre Perspektiven, Ihre nächsten Ziele aus?

Waltz: Ich habe diese Ausstellung hier im ZKM lange mit mir herumgetragen. Sie ist das Ergebnis von Überlegungen, die mich über viele Jahre hinweg beschäftigt haben. Es war schon immer mein Wunsch, Objekte zu schaffen, die den Körper als Ausgangspunkt nehmen. Ich hab‘ das dann aber wieder zur Seite gelegt, wenn die nächsten Bühnenproduktionen anstanden. Deshalb freue ich mich sehr, dass mich Peter Weibel dahin gebracht hat, das jetzt anzugehen, wofür es aber auch diesen besonderen Raum braucht. Das heißt, dass ich meine Themen noch einmal aus einem anderen Medium heraus denken kann. Da wird sich womöglich wieder etwas völlig Neues daraus entwickeln.