Zwei Männer in futuristischen Anzügen stehen vor der New Yorker Börse

23.01.2014

Edgar Endress im E-Mail-Interview mit Dietrich Heißenbüttel, Januar 2014

EIN INTERVIEW MIT EDGAR ENDRESS VON DIETRICH HEIßENBÜTTEL 

Mit dem Floating Lab Collective arbeiten Sie hauptsächlich im öffentlichen Raum. Warum?

Edgar Endress: Das Floating Lab Collective entstand ursprünglich als Reaktion auf die politische Landschaft in Washington, D. C. Bei seiner Entstehung 2007 verspürten einige von uns das Bedürfnis, sich jenseits der kulturell dominanten, institutionalisierten Narration der großen Museen am öffentlichen Diskurs in Washington zu beteiligen. Wir spürten, dass eine Möglichkeit bestand, Schnittstellen für alternative Narrationen und abweichende Stimmen zu schaffen und sich so auch über die gut abgesicherten Grenzen der USA hinaus auszudehnen.

Wir schlugen einen offenen Diskurs vor, bei dem wir auch die Zuschauer erreichen wollten ­– die Mitglieder der Öffentlichkeit, die traditionell keinen Anteil an einer Kunsterfahrung haben. Der öffentliche Raum in Washington ist historisch immer wieder umkämpftes Gebiet gewesen, auf dem Ideen für einen gesellschaftlichen Wandel mobilisiert wurden – angefangen bei der Entstehung der Zeltstädte ehemaliger Sklaven im Bürgerkrieg bis zur Occupy-DC-Bewegung.

In diesem Kontext ist der öffentliche Raum Washingtons bereits als Schlachtfeld wider die antagonistische allmächtige Demokratie vorgeprägt ­– als eine utopische Gesellschaft mit freier Meinungsäußerung innerhalb eines formalisierten Polizeistaats. D.C. ist aber auch eine Stadt der nationalen Denkmäler, und das diente uns als Ausgangsmechanismus. Vor Kurzem haben wir unser Projekt auf andere öffentliche Räume in Ländern wie Mexico, Kolumbien und Haiti ausgedehnt.

Projekte wie Protesting on demand [Protest auf Wunsch] oder Scream at the economy [Schrei die Wirtschaft an] sind kein Aktivismus im engeren Sinne, da es sich bei ihnen nicht um direkte Kampagnen für bestimmte Ziele handelt und sie die Gesellschaft auch nicht auf konkrete Probleme aufmerksam machen sollen. Stattdessen arbeiten sie auf einer Meta-Ebene. Könnten Sie uns kurz Ihre Intention dahinter erläutern?

Edgar Endress: Wir haben beide Projekte als soziale Skulpturen konzeptioniert, die sich um Fragen zur Vorstellung einer aktiven und kreativen Bürgerschaft drehen. Diese Projekte sind gesellschaftliche Antworten, die sich der Ästhetik der Demokratie bedienen. Sie wurden als Denkanstoß für die öffentliche Vorstellungskraft entworfen, um Spannungen mit dem Status quo zu erzeugen – der kreative Prozess soll gewissermaßen als sozialer Katalysator fungieren.

Bis dahin hatten Sie nur Video-Installationen umgesetzt. Werden Sie dazu zurückkehren oder wann bzw. warum kam es zu dieser Verschiebung? Und in welchem Bezug stehen diese beiden Kunstformen zueinander?

Edgar Endress: Ich begann meine Laufbahn als Videokünstler, der Videoinstallationen als eines seiner Formate nutzte. Auch wenn Videoinstallationen immer noch zu meinem persönlichen Repertoire gehören, lag der Schwerpunkt meiner Arbeiten in den letzten sieben Jahren doch auf dem Floating Lab Collective. Videos und Videoinstallationen wurden allerdings in die Praktiken des Floating Lab Collective integriert, da Videos einige der Kernideen unserer Praktiken ausgezeichnet umsetzen können.

Hat es Ihre Arbeit beeinflusst, während der Pinochet-Diktatur aufgewachsen zu sein?

Edgar Endress: Die Pinochet-Diktatur hatte immensen Einfluss auf das Leben in Chile und wirkt bis heute mitten ins dortige soziale und politische Geschehen nach. Ich wuchs während des Pinochet-Regimes auf und musste miterleben, wie die Gesellschaft durch den Einsatz von Angst als Kontrollmechanismus systematisch zerschlagen wurde. Durch die Angst entstanden aber auch Strategien des Widerstands und der Leidensfähigkeit.

Meine Erfahrungen wurden durch diese kreativen Aktionen des Widerstands beeinflusst, die überall im Land stattfanden, wobei kleine Gesten und alternative Narrationen besonderen Einfluss auf das tägliche Leben in Chile hatten. Die gesellschaftliche Landschaft der Angst schuf im Untergrund eine Landschaft der sozialen Solidarität und der Großzügigkeit. Das hat sich mit Sicherheit auf meine persönliche Perspektive und meine Arbeit ausgewirkt.  

Weitere Informationen unter: www.global-activism.de

_____________________________

Anmerkung

Übersetzung aus dem Englischen von Christiansen & Plischke

Zur Person

Edgar Endress ist Assistenzprofessor an der George Mason University, wo er Neue Medien und Public Art unterrichtet. Die Werke des gebürtigen Chilenen wurden sowohl in Nord- als auch Südamerika vielfach ausgestellt. 2007 rief er gemeinsam mit Provisions das Floating Lab Collective ins Leben, eine Gruppe interdisziplinärer Künstler, die in Zusammenarbeit mit städtischen Gemeinden innovative Kunstprojekte umsetzt. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf Synkretismus in den Anden, Dislokation in der Karibik und mobile Kunstfertigungspraktiken. Er erhielt seinen Master of Fine Arts in Videokunst von der Syracuse University. Seine Werke wurden unter anderem beim New York Video Festival, auf der Videonale 11, beim 20. World Wide Video Festival in Amsterdam, im Reina-Sofía-Museum, im Rahmen der 10. Sharjah Biennale sowie bei der Transitio-MX gezeigt. Er erhielt zahlreiche Stipendien und Fellowships, unter anderem vom Virginia Museum of Fine Arts und dem Creative Capital Fund.