Réliquaire

15.07.2021

Nachruf auf den Konzeptkünstler Christian Boltanski

Die Erinnerungskunst von Christian Boltanski entsprang maßgeblich dessen Faszination mit dem Vergessen und der Vergänglichkeit. Nun ist er im Alter von 76 Jahren verstorben.

VON ZKM REDAKTION

Wer die Medienkunstsammlung des ZKM »Writing the History of the Future« betritt und einen Rundgang gegen den Uhrzeigersinn beginnt, der:die stößt schon bald auf einen kleinen Raum mit vier Säulen aus blechernen Keksdosen, darauf Gesichter alter Fotografien in Überlebensgröße, jedes warm und schummrig von einer Lampe erleuchtet. Die Installation »Réliquaire« (1990) des französischen Konzeptkünstlers Christian Boltanski lädt zum Verweilen, zur Ruhe kommen und zum Besinnen ein: wiederum Voraussetzungen für das Erinnern, das Vergegenwärtigen von Vergangenem, das aber doch nicht ganz präsent wird: die Gesichter bleiben verschwommen, nicht-identifizierbar.

Das Vergangene und die Erinnerung, deren Verfälschung und das Vergessen, Vergänglichkeit sowie Tod und Vermächtnis sind die Hauptthemen in Christian Boltanskis Werk – besonders häufig mit Bezug auf die NS-Zeit und den Holocaust, die ihn als 1944 geborenen Sohn eines jüdischen Einwanderers zeitlebens prägten. Ebenso erkundet seine Erinnerungskunst mögliche Techniken der Vergegenwärtigung und des Gedenkens, vielfach mit Hilfe alltäglicher und gewöhnlicher Gegenstände. Installationen stellen dabei sein Hauptinstrument dar, doch auch der Fotografie, der Bildhauerei und zahlreicher weiterer Ausdrucksformen bediente er sich. Seine Werke stellen dabei den Betrachtenden auch immer wieder Fragen nach der Konstruiertheit des eigenen Selbstverständnisses und individuellen Charakters.

Der Autodidakt Boltanski erhielt 2006 den als »Nobelpreis der Künste« geltenden Praemium Imperiale in der Sparte Kultur.

Christian Boltanski starb am Mittwoch im Alter von 76 Jahren in Paris.

Kategorie: Nachrufe