Barbara Hammer

Sanctus

Man sieht das Werk »Sanctus«. Auf einem großen Bildschirm wird das Röntgenbild einer Person gezeigt. Davor stehen zwei Personen.
Künstler/innen
Barbara Hammer
Titel
Sanctus
Jahr
1990
Medium / Material / Technik
16-mm-Film, transferiert auf Video, Farbe und S/W, Ton, 18:18 Min.

Der Found-Footage-Film »Sanctus« zeigt eine ungewöhnliche Poetisierung des menschlichen Körpers, die gleichzeitig Alltäglichkeit, Unheimlichkeit und Künstlichkeit offenbart. Die Künstlerin entdeckte bei einem Besuch des George Eastman House in Rochester, USA, 35-mm-Filme mit Röntgenaufnahmen. Diese stammen von James Sibley Watson, der in den 1950er-Jahren in den USA die Cineradiography (Röntgen-Bildverstärker-Kinematographie) erfunden hatte.

Barbara Hammer montiert das klinische Material Watsons, das Skelette bei alltäglichen Handlungen zeigt, und bearbeitet die Filmsequenzen mit den künstlerischen Mitteln der Einfärbung, Überblendung, Bildteilung, Flicker-Ästhetik, Bildübermalung, Rückspulung, Spiegelung, Materialstörung. Im Laufe des Films treten die Inhalte vermehrt zurück und der sinnliche Ausdruck des filmischen Materials drängt in den Vordergrund. Dieses Verfahren ist charakteristisch für den klassischen Avantgardefilm, der den Zuschauer vom identifikatorischen Sehen umlenken möchte auf das Eigenleben der Bilder.

Auch wenn sich der Film bis an die Grenze des reinen Lichtspiels bewegt – oder gerade deswegen –, bleiben Krankheit und Tod allgegenwärtig. Das menschliche Skelett im Röntgenbild wurde schon kurz nach der ersten Präsentation dieser neuen Aufnahmetechnik durch Wilhelm Conrad Röntgen als Memento mori aufgefasst. Hans Castorp, Figur in Thomas Manns »Der Zauberberg« (1924), sieht „durch die Kraft des Lichtes, das Fleisch, worin er wandelte, zersetzt, vertilgt, zu nichtigem Nebel gelöst.“

Die elektro-akustische Komposition »Sanctus« von Neil B. Rolnick unterstreicht den Aspekt der Auflösung mit feierlichem Stimmenklang und knisterndem Rauschen.