Einführung in die Ausstellung

Global Games – Bedeutungen des Computerspiels

Ausschnitt aus einem Computerspiel: Kriegsszene mit leuchtendem Schriftzug Fuck the War
Mit der Ausstellung »Global Games« reagiert das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe auf die zunehmende Relevanz und die neuesten Entwicklungen im Bereich des Computerspiels. Das Computerspiel ist ein Kind der digitalen Revolution und damit ein Medium, das von der Infosphäre hervorgebracht worden ist. Am scheinbaren Paradox des ernsten Spiels – des Serious Game – zeigt sich daneben auch die Verwissenschaftlichung unserer Kultur und die Hinwendung zu neuen Werkzeugen im Rahmen der Exo-Evolution, sowie einer neuen Allianz zwischen Kunst und Wissenschaft – einer Renaissance 2.0. Computerspiele stellen eine populäre Form dar, durch die sich gesellschaftlich relevante Prozesse von Globalisierung, Medienumbrüchen und Digitalisierung anschaulich präsentieren lassen. Computerspiele dienen zudem der Wissenschaft und haben didaktisches Potenzial. Computerspiele sind mächtige neue Tools.

Computerspiele transportieren realweltliche Bezüge, Bedeutungen und Ideologien und können demnach politische und soziale Medien sein, im positiven, aufklärerischen wie im verführenden, propagandistischen Sinne.

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Games thematisieren beispielsweise den Syrien-Konflikt, den Einsatz von Drohnen in Kriegsgebieten (»Unmanned«), weltwirtschaftliche Zusammenhänge des globalisierten Finanzmarktes (»Cart Life«), Überwachung (»Vigilance 1.0«, »Touch-Tone«), die Situation von Flüchtlingen an den europäischen Grenzen (»Frontiers«, »From Darkness«), soziale Missstände, hervorgerufen durch den Turbokapitalismus (»Outcasted«), Gender-Fragen (»Perfect Woman«, »Dys4ia«) und vieles mehr. Sie werfen moralische Fragen auf (»Papers, Please.«) und geben Geschichtsstunden (»The Cat and the Coup«).

Sie können auch als Lernmittel eingesetzt werden, wie zum Beispiel »Kerbal Space Program« oder »Ludwig«, das im Physikunterricht in Schulen Verwendung findet. Das Spiel »Die Müll AG« möchte über Mülltrennung aufklären und vor allem Kinder für das Thema sensibilisieren.

Als neue Werkzeuge stehen Games für die neuen Bastlerinnen der sog. »Maker-Culture«. Computerspiele werfen Utopien auf und lassen – auch im Sinne von Science-Fiction – über neue (mögliche) Werkzeuge nachdenken (»Portal«). Oder man steuert echte Augentierchen über Lichtimpulse in einem Fußballspiel (»Euglena Soccer«). Das Spiel »Phone Story« zeigt die Schattenseiten des iPhone und wird gerade deshalb von Apple im App Store zensiert. In der Ausstellung »Global Games« kann man »Phone Story« auf einem iPhone spielen – so wie es gedacht ist.
 
Ein Raum. Mehrere Menschen, die an verschiedenen Spielekonsolen sitzen.
»Global Games«, 11.08.2015–17.04.2016, ZKM | Karlsruhe, Ausstellungsansicht
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Tobias Wootton
Es zeigt sich: Computerspiele sind politische Medien, die mit ihren spezifischen Mitteln soziale und weltpolitisch relevante Themen behandeln. Dies tun sie einerseits aufgeklärt im Kontext der Games-for-Change-Bewegung. Die prozedurale Rhetorik wird auf der anderen Seite auch als Propaganda eingesetzt wie das Spiel »America's Army« beweist, das von der US-Regierung als Rekrutierungswerkzeug in Auftrag gegeben wurde und kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

Die Verbindung des Computerspiels zum militärischen Kontext – dem militärisch-unterhaltungsindustriellen Komplex – lässt sich bis auf die Anfänge des Mediums zurückführen. Die Techniken, die im militärischem Kontext erfunden und entwickelt worden sind, diffundieren als Massenmedien in die Gesellschaft und beginnen dann auch der Unterhaltung zu dienen. 1958 konstruierte der amerikanische Physiker William Higinbotham das Bildschirmspiel »Tennis for Two« – den Prototyp aller Computerspiele. Higinbotham wurde 1945 Leiter der Elektronikabteilung des Manhattan-Projekt in Los Alamos, New Mexico, USA. Die Erfindung des Computerspiels ist in diesem Zusammenhang als »Rüstungsabfall« bezeichnet worden (vgl. Konrad Lischka, »Spielplatz Computer: Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels«, 2002, S. 19). Friedrich A. Kittler konstatiert im Hinblick auf Militär, Industrie und Medien in seinen medientheoretischen Ausführungen allgemein: „Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wortsinn Missbrauch von Heeresgerät" (Friedrich A. Kittler, »Grammophon, Film, Typewriter«, 1986, S. 149).

In der Independent-Szene entwickeln sich erste Anzeichnen eines Bewusstseins für Antikriegsspiele, wie beispielsweise das deutsche Spiel »Spec Ops: The Line« zeigt. In der Ausstellung »Global Games« zeigen wir »This War of Mine« des polnischen Entwicklers 11 bit studios, das die Geschehnisse eines Krieges aus der Perspektive von Zivilisten erfahrbar macht.

Computerspiele kommentieren aktuelles Geschehen in der Welt. Das Spiel »September 12th: A Toy World« von Gonzalo Frasca aus Uruguay zeigt auf einfache, karikaturistische Weise die Spirale der Gewalt, die durch den amerikanischen War on Terror weiter angestoßen und zementiert worden ist. Das Spiel »Yellow Umbrella« bezieht sich direkt auf die jüngsten Proteste in Hongkong. Als weiteres Beispiel für eine Karikatur steht »Faith Fighter« von Paolo Pedercini. In dem Beat 'em up, das an Klassiker des Genres wie »Street Fighter II« angelehnt ist und dessen stereotypische – und sogar rassistische – Darstellung von Kämpfern aus der ganzen Welt ironisch aufnimmt, treten Vertreter der großen Weltreligionen gegeneinander an. Jesus kämpft unter anderem gegen Buddha und Mohammed.
Mehrere Computerspiele auf Leinwand gebeamt. Eine Person an einer Spielkonsole.
»Global Games«, 11.08.2015–17.04.2016, ZKM | Karlsruhe, Ausstellungsansicht
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Tobias Wootton
Computerspiele sind keinesfalls ein rein westliches Phänomen, sondern vielmehr als globales Medium aufzufassen. Überall auf der Welt werden Games produziert und gespielt. Weniger bekannt sind Computerspielproduktionen aus dem arabischen Raum und dem Nahen Osten. Zwei Beispiele aus Syrien und dem Iran: Die vom syrischen Verlag Dar al-Fikr publizierten Shooter »Under Ash« (2001) und der Nachfolger »Under Siege« (2005) inszenieren den Kampf gegen Israel aus palästinensischer Sicht während der zweiten Intifada zwischen 1999 und 2002. Die Iran Computer & Video Games Foundation fördert iranische Spiele und tritt auch auf Computerspielmessen wie der Kölner Gamescom auf. In »Global Games« sind zudem die einzigen Computerspiele der DDR erfahrbar: Die Heimkonsole »Bildschirmspiel 01« sowie der Spielautomat »Poly-Play« mit Spielen wie »Hirschjagd« und »Hase und Wolf«.

Serious Games wie die Puzzlespiele »Foldit«, »EyeWire«, »EteRNA« oder »Nanocrafter« beruhen auf naturwissenschaftlichen Daten. Die Spielerinnen werden in vernetzte Bürgerwissenschaftlerlnnen verwandelt. Der spielerische Umgang mit den Games generiert Daten, die wiederum in die Wissenschaft zurückfließen und wichtige Ergebnisse liefern können. Auf diese Weise wurden mithilfe des Puzzlespiels »Foldit« wichtige Erkenntnisse über die Struktur eines Proteins gewonnen, das AIDS bei Affen auslöst. Man spricht in diesem Zusammenhang von Citizen Science. Damit ist die Auslagerung wissenschaftlicher Arbeit an (wissenschaftliche) Laien gemeint. Bürgerwissenschaftlerlnnen helfen, indem sie Beobachtungen machen, Daten auswerten und Messungen durchführen. Geschieht dies verkleidet als Computerspiel, geht die getarnte Arbeit gewiss besser von der Hand – dieses Phänomen wiederum ist bekannt als Gamification.

»Global Games« zeigt die Bandbreite des Computerspiels als politisch und sozial relevantes Medium. »Global Games« ist interaktiv angelegt, das heißt alle Ausstellungstücke sind spielbar. Eigens produzierte »Let's Play«-Videos erklären die Spiele und geben einen Eindruck des Spielerlebnisses, sogar wenn man selbst nicht spielen möchte.

Autor: Stephan Schwingeler