Portrait von Peter Weibel

18.06.2012

Power to the People: Images by the People

Die visuellen Medien waren die Medien der klassischen Funktion der Kunst, nämlich der Repräsentation.

VON PETER WEIBEL

Die Ersetzung der visuellen Medien durch soziale Medien bedeutet Handlung statt Repräsentation, Teilhabe und Partizipation statt Rezeption, Benutzen statt Betrachten. Wer im Netz kommuniziert, Bilder und Texte verschickt, agiert. Er ist Teil eines Netzwerkes von sozialen Akteuren. Wir sprechen heute nicht mehr von visual media, sondern von social media.

Die Theorie und Praxis der Partizipation und der Interaktivität zwischen Besucher und Kunstwerk stehen im Mittelpunkt des museologischen Konzeptes des ZKM. Das ZKM versteht sich als ein performatives Museum, als ein Mitmachmuseum, das die Mitmachgesellschaft, eine durch Bürgerbeteiligung geprägte Demokratie, spiegelt. Die Macht der Bilder und ihre Veränderung durch die technischen Trägermedien gewinnt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, führt sie doch zu einer überaus interessanten Entwicklung, die heute jeden von uns betrifft.

Während Jahrtausenden herrschte die Macht der Buchstaben und Bücher. Ihre Macht war so groß, dass sie, wie die Heilige Schrift, sogar heilig gesprochen wurde. Die Buchstaben und Bücher bilden von der Bibel bis zu Machiavelli die Belletristik der Macht. Mit dem Auftauchen von Bild- und Reproduktionstechniken verloren die Buchstaben, die Schrift, das Monopol der Macht.

Macht der Bilder

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem Auftauchen der Fotografie, hat die Macht der Bilder zugenommen. Mit der Fotografie traten wir nämlich »ins Universum der technischen Bilder« [1] ein. Es entwickelten sich aus der Fotografie die visuellen Medien Film, Fernsehen, Video, Computer. Damit verlor die Malerei das Monopol der Bildherstellung, aber gleichzeitig entstanden viel mehr Medien der Bildproduktion, von der menschlichen zur maschinellen Bildproduktion. Die Macht der Bilder wurde größer, weil neben der Malerei die neuen Medien in verstärktem Maße Bilder produzierten. Das Kunstbild verlor an Macht, weil es lokal gebunden blieb.

Die Bilder der neuen Medien folgen der Logik der Distribution. Sie sind vervielfältigbar, verteilbar und werden von einer Vielzahl von Empfängern fast gleichzeitig an vielen Orten rezipiert. Von Malern hergestellte Bilder gelangen nur dann in die Öffentlichkeit, wenn sie in technische Bilder, in Medienbilder umgewandelt werden, z.B. in Postkarten oder in Fotografien in Büchern. Fotografien sind von vornherein als Abzüge von Negativen multiplizierbar. Fotografien und Filme werden von Zeitungen oder Fernsehstationen ununterbrochen an allen Orten der Welt distributiert. Die Mehrheit der öffentlichen Bilder stammt daher nicht mehr aus der Kunstwelt und wird auch nicht mehr mehrheitlich von Einzelpersonen erzeugt.

Um 1950 entstand die Einsicht, dass die visuellen Künste nicht kongruent sind mit dem Reich der Bilder. Hundert Jahre nach der Erfindung der Fotografie und dem Siegeszug der technischen Bilder in den Massenmedien wurde klar, dass die visuelle Kultur mehr umfasst als die visuellen Künste. Das Reich der Bilder explodierte durch die Massenmedien. Es entstanden über Jahrzehnte unendlich viele Bilder, Naturbilder, Bilder von Katastrophen, von Unfällen, von Politikern, von Schauspielern, von Tieren, von Konsumgütern, von Produkten, Städten, Fabriken, Menschen, die alle nichts mit der Kunst zu tun hatten. Ein neues Fach wurde also notwendig, nachdem klar war, dass die Geschichte der Bilder nicht nur die Geschichte der Malerei ist, sondern das Universum der Bilder weit über die Malerei hinaus geht.

Populäre Bildkultur

Für dieses neue Universum der Bilder, das in den 80er Jahren durch das Auftauchen der bildgebenden Verfahren in der Naturwissenschaften, von der Medizin bis zur Mathematik noch weiter expandierte, wurde der Begriff visual culture eingeführt. Obwohl die akademische Auseinandersetzung zwischen den visual arts und der visual culture erst in den 80er Jahren begann, wurden die Grundlagen für die Debatte bereits 1950 gelegt. Seit der Collage der Kubisten und Dadaisten ist in die Kunst populäres massenmediales Bildmaterial eingedrungen.

Aber deutlich wahrnehmbar wurde die populäre Bildkultur erst durch die Pop Art. Eduardo Paolozzi’s Collage I was a Rich Man's Plaything (1947) wird als erstes Beispiel der Pop Art betrachtet, zumindest der britischen Pop Art, die zehn Jahre vor der US Pop Art entstand. Paolozzi zeigte diese Collage 1952 als Teil seiner Serie Bunk! in London im Rahmen der Independent Group, der auch Richard Hamilton angehörte, dem wir die weltberühmte Collage Just what is it that makes today's homes so different, so appealing? (1956) verdanken. Beide Collagen verwenden und zeigen übrigens das Wort ‚pop.’

Pop Philosophie

Nahezu zeitgleich hat in Kanada ein junger Professor für Literatur einen äußerst mutigen Schritt gewagt: er analysierte nicht weiter wie bisher die Hochkultur, sondern die populäre Kultur. In The Mechanical Bride. Folklore of Industrial Man untersuchte Marshall McLuhan 1951 anhand von ausgewählten Reklamebildern und -texten die Auswirkungen von Werbung auf Gesellschaft und Kultur. McLuhan analysierte also nicht Kunstbilder, keine Bilder der Kunstgeschichte, sondern Werbebilder, um Aussagen über die Gesellschaft treffen zu können. Die visuelle Kultur der Massenmedien schien ihm also geeigneter zu sein als die Bilder der Kunstgeschichte, um die Zeit zu diagnostizieren. Mit diesem Werk beginnt die eigentliche Pop Philosophie und die Erforschung der visual culture.

Der Aufstieg des Bildes durch die Massenmedien hat nicht nur (mit McLuhan) die Medientheorie begründet, sondern insgesamt eine neue Philosophie des Bildes, von Martin Heidegger bis Jean Baudrillard, von Günther Anders bis Vilem Flusser, hervorgebracht. Von den Bildern der Kunstgeschichte zu den Bildern der visuellen Massenmedien, von den visuellen Künsten zur visuellen Kultur sehen wir eine einzige via triumphalis des Bildes. Damit beginnt eine Kette von Monopolverlusten.

Verlust des Monopols

Die Maler, die visuellen Künstler, die Hersteller des Kunstbildes, verloren das Monopol des Bildes an die Fotografen, die Film- und Videokünstler, die Computerkünstler, an die Hersteller und Verteiler der technischen Bilder, und an die visuellen Massenmedien. Mit dem Auftauchen des Internets, der Krönung der Logik der Distribution, verlieren die Massenmedien und deren Besitzer das Monopol des Bildes. Die visuellen Massenmedien verlieren das Monopol der Herstellung und Verteilung von Bildern an die Benutzer der sozialen Netze.

Durch die technischen Medien verliert die Klasse der Künstler ihr Monopol der Kreativität: „Jeder Mensch ist Künstler,“ behauptet Joseph Beuys 1970 und definiert damit diesen Monopolverlust. Im Internet kann jeder seine Kreativität unter Beweis stellen und seine Texte und Bilder für eine weltweite Gemeinschaft öffentlich zur Verfügung stellen. Die Massenmedien haben ihr Monopol der Distribution verloren. Deswegen sprechen wir heute nicht mehr von visual media, sondern seit 2004 von social media.

Soziale Medien sind jene Medien, mit denen die Benutzer am Verteilungsprozess selbst teilnehmen können. Die Teilnehmer des Netzes stellen die Vorstellung nun selbst her, sie nehmen Teil an der Macht der Repräsentation. Indem ihre Herstellung verteilt wird, verlieren die Bilder an Macht. Wenn in der visuellen Kultur der Massenmedien „the medium is the message“ (McLuhan) galt, so gilt in den sozialen Medien „jeder ist Sender“ (Peter Weibel). Indem das ‘Volk‘ die Bilder selbst produziert und distributiert, übernimmt das ‚Volk‘ die Macht der Repräsentation.

„Das Volk ist der Souverän“

Die paradoxe Aussage, das Grundgesetz der Demokratie: „Das Volk ist der Souverän“ hat sich in der Praxis der Parteiendemokratie noch nicht erfüllt. Aber indem das ‚Volk‘ beginnt, Bilder selbst herzustellen, geht es über seinen Modus der Darstellung und bloßen Repräsentation hinaus. Das ‚Volk‘ lässt sich nicht mehr repräsentieren und darstellen durch Bilder von anderen, sondern stellt sich durch seine eigene Bilder dar. Zumindest auf der Stufe des Bildes, zumindest im Reich der Bilder, beginnt das ‚Volk‘ an der Macht teilzuhaben. Zumindest im Reich der Bilder wird das ‚Volk’ zum Souverän.

Bild und Macht, Kunst und Macht stehen in einer neuen Gleichung, in einer neuen Beziehung zueinander. Man ist versucht zu sagen, die sozialen Medien brechen die Macht der Bilder der visuellen Medien. Die performative Macht wird verteilt. [2] Alle lernen, wie mit Bildern und Worten Dinge gemacht werden können. Die Macht der Buchstaben und die Macht der Bilder verteilen sich und verdampfen in den sozialen Medien, in denen alle handeln können, anstatt nur repräsentiert zu werden.

Die Emphase auf der Besucherbeteiligung in partizipativen und interaktiven Kunstwerken in performativen Museen wie im ZKM, abwertend genannten ‚Mitmachmuseen’, ist in Wahrheit das Modell für die kommende ‚Mitmachgesellschaft’, die Emphase der Bürgerbeteiligung in der Demokratie.

 

[1] Vilem Flusser: Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen 1999.

[2] J.L.Austin: How to do things with words, 1961.

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