Portrait eines Mannes

13.02.2014

Illegale Maßnahmen II

Über die richtige Medikation von politischer Aktionskunst

VON PHILIPP RUCH

In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin steht ein von Historikern zusammengestellter, schwarzer Aktenordner mit der Aufschrift »Illegale Maßnahmen I«. Die überdimensionierte Mappe versammelt die harmloseren, papierenen Maßnahmen gegen das NS-Regime: Baupläne für Vervielfältigungsapparaturen und Druckerpressen.

Unweigerlich fragt sich der Besucher, wo die Fortsetzung mit den Instruktionen zur Pass- und Stempelfälschung und für den Bombenbau liegt. Der Ordner mit der Kennzeichnung römisch II ist aber verschollen. Auch die freundliche Aufseherin weiß nichts über sein Schicksal. Die Präsenz des ersten Teils und die Absenz der Fortsetzung ist symptomatisch für die geistige Verfassung der Bundesrepublik.

Man sieht förmlich vor sich, wie der letzte CDU-Verteidigungsminister durch die Gedenkstätte schreitet, der Blick zufällig auf den Ordner »Illegale Maßnahmen II« fällt und er diesen sogleich konfiszieren lässt. Oder wie ein vorauseilender Staatssekretär die Zusammenstellung prüft, vor der inhaltlichen Radikalität erschrickt und der Kuratorin kopfschüttelnd beibringt: „Das geht nicht!“ Zumindest die Übersichtsausstellung kündet von dieser alles beherrschenden Angst, jemandem aus der Gegenwart auf die Füße zu treten. Von keinem der Protagonisten des deutschen Widerstands wird detaillierter ausgeführt, was er da eigentlich vollbracht hat – gegen seine Karriere, gegen seine Freunde, gegen seine Gefühle.

Wenn Historiker eines Tages die Mutlosigkeit unserer Zeit untersuchen, sollten sie sich diese Ausstellungstexte vornehmen. Wer Beispiele dafür sucht, wie Mut aussieht, entdeckt sie nur mit viel Phantasie (das gilt nicht für die Teilausstellung: Was konnten sie tun?). Jede Internet-Suche mit den Wörtern „Attentate auf Hitler“ ist aufschlussreicher. Verschleiert unter bürokratischen Formulierungen heißt es dort: „Er war der Ansicht, dass es sittlich-moralisch geboten sei, Hitler zu töten.“

Man würde sich wünschen, dass jemand – etwa der Generalsekretär von Amnesty International, ein Mann, der risikolos den Etat der größten Menschenrechtsorganisation der Welt verwaltet, ausgestattet mit dicken Pensionen – einmal ähnliches in Richtung syrischer oder russischer Diktatur schleuderte. Was hat er zu befürchten? Spendenausfälle? Wollte er nicht einmal Menschenrechte durchsetzen? Mit allen Mitteln?

Das Zentrum für Politische Schönheit steht seit Jahren für Aktionskunst, die Historiker einmal mit „Illegale Maßnahmen II“ überschreiben werden. Wir leben in einem Land, das sich in eine gigantische Badewanne verwandelt hat. Die Bevölkerung liegt schon gemütlich drin und wartet auf warmes Wasser und Entspannung. Aber die Wanne füllt sich nur mit frei erfundenen Ängsten.

Bei Minustemperaturen liegen die Deutschen dann da und werden sich selbst leid bei dem Versuch, nicht zu verkrampfen. Frei und doch erfroren. Repressionsfrei und doch mutlos. In das Badezimmer mit den eingebildeten Ängsten muss die Kunst wieder reinplatzen und reizen, anklagen und wehtun. Wir können den Kampf um die letzte verbliebene Utopie – die Durchsetzung der Menschenrechte – aggressiver führen, weit aggressiver.

Das Zentrum für Politische Schönheit streute 2009 in einer Medienhacking-Aktion die Meldung, die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ plane, drei Flüchtlinge als Mitglieder in den Stiftungsrat aufzunehmen. 2011 entlarvten wir die verbrecherische Haltung der Deutschen Bank in Sachen Nahrungsmittelspekulationen. 2012 setzten wir eine Belohnung von 25.000 Euro auf die Eigentümer des deutschen Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann aus, um sie für schmutzige Waffendeals in Haft zu bringen (Leopard II Panzer für Saudi-Arabien).

Die Aktion erregte großes Aufsehen, es erschienen unzählige Artikel. Das große Medienecho führte schließlich dazu, dass einer der Waffenhändler sich entgegen der Gepflogenheiten seines Geschäfts im ZDF äußerte und dafür aus dem Aufsichts- und Gesellschafterrat des Unternehmens ausgeschlossen wurde. Rupert Neudeck, Vordenker des radikalen Humanismus, meinte damals: „Das ist ein genialer Versuch. Wenn ich mitmachen kann, werde ich mittun.“

Frau auf einem Fahrrad fährt an einem Plakat vorbei auf dem steht "Belohnung 25000 Euro"
Kampagne gegen die Eigentümer der Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann, 2012
© Zentrum für Politische Schönheit

Seit letztem Jahr sammeln wir Spenden, um die Waffenfabrik Heckler & Koch in Oberndorf wie das havarierte Atomkraftwerk von Tschernobyl durch einen Stahlbeton-Sarkophag hermetisch abzuriegeln. Monatlich sterben mehr Menschen durch deren Waffen als jemals in Tschernobyl gestorben sind.

Blick auf ein futuristisches Gebäude
„Sarkophag Oberndorf: Mit Architektur Leben retten!“ – Die schwäbische Waffenfabrik Heckler & Koch in Oberndorf, hier eine Simulation des Sarkophags
© Zentrum für Politische Schönheit

Auch unsere Kinder werden einmal fragen, was wir damals eigentlich getrieben haben. Ich frage auch ständig, wie meine Eltern in den 1990er-Jahren bei gleich drei Völkermorden (Bosnien, Ruanda, Tschetschenien) zusehen konnten und wie das mit ihrer Auffassung von Geschichte zusammengeht.

Die Deutschen fragen unablässig: Hätte auch ich 1941 Juden ermordet? Sie müssten sich fragen: Hätte ich Zettel geworfen? Gibt es überhaupt noch aggressiven Humanismus? Auf dem ersten Flugblatt der Weißen Rose steht: „Vergeßt nicht, daß ein jedes Volk diejenige Regierung verdient, die es erträgt!“ Der Ordner „Illegale Maßnahmen I“ ist in der heutigen Zeit die Medikation für das Ertragen – wer einen Schritt über das Ertragen hinaus gehen wollte, müsste den Ordner „Illegale Maßnahmen II“ zur Hand nehmen.

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Portrait eines Mannes
Philipp Ruch
© Foto: Jessica Wahl

Über den Autor

Der Regimegegner Philipp Ruch ist Regisseur, Gründer und Chefunterhändler des in Medienberichten als „das wohl spannendste Projekt deutscher Künstler seit der Gruppe 47“ bezeichneten Zentrums für Politische Schönheit, eines Thinktanks zur Erforschung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit. Ruch studierte Politische Philosophie bei Prof. Volker Gerhardt, arbeite am Forschungsbereich Geschichte der Gefühle (Max-Planck-Institut) und war Research Fellow der Kolleg-Forschergruppe Bildakt und Verkörperung (Prof. Horst Bredekamp). Er promovierte zum Thema Ehre und Rache. Eine Gefühlsgeschichte des antiken Rechts bei Prof. Herfried Münkler und Prof. Hartmut Böhme. DIE ZEIT wählte ihn einst unter 100 Studenten, „von denen wir noch hören werden“. Er konzipierte zahlreiche Ausstellungen – unter anderem auf der 7. Berlin Biennale, für die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), im ZKM | Karlsruhe sowie im Rahmen des 6. Berliner Kunstsalon. Bei der Zwischennutzung des Berliner Palastes der Republik (2004–2005) kuratierte er das Kunstfilmfestival Die Nacht der 7 Traurigkeiten. 2009 dankte ihm der bosnische Außenminister für seine Erinnerungsarbeit. 2012 wurde Ruch mit dem Deutschen Webvideopreis ausgezeichnet, 2013 war er Mitglied der Ehrenjury der 33. World Universities Debating Championship (WUDC).

Kategorie: Gesellschaft