Tragbare Videotechnik. Meta-Handbuch

Radical Software Vol. 1, Nr. 3 (1971)

Blick in die Ausstellung »Radical Software«.

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"Portable Video. A Radical Software State-of-the-Art Report", in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 3, 1971
"Portable Video. A Radical Software State-of-the-Art Report", in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 3, 1971
© Raindance

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Das Leben neuer Technologien beginnt zumeist damit, dass sie mit den Technologien, an deren Stelle sie treten, verwechselt werden. Das Auto wurde zuerst eine „pferdelose Kutsche“ genannt, „kabellos“ [wireless] war ein anderes Wort für Radio und manche Menschen betrachten das Fernsehen auch heute noch als „Radio mit einem Bildschirm“.

Menschen, die den alten Medien verhaftet sind,  sind gegenüber der tragbaren Videotechnik ähnlich voreingenommen. Filmfreaks beispielsweise bezweifeln das Potenzial des Videobands, als ob es sich dabei lediglich um „Polaroid-Filme“ handeln würde, und machen sich mehr Gedanken darüber, was das Video bei der Nachahmung der Filmkunst nicht zu leisten vermag, als über seine einzigartigen Möglichkeiten. Medienpädagogen wiederum geben sich unbeeindruckt vom Portapak, weil es sich dabei aus ihrer Sicht nur um eine teure „Super-8“ handelt. Selbst diejenigen, die verstehen, dass die Grammatik des Fernsehens anders ist als die des Films, halten tragbare Videokameras schlicht für weniger ausgefeilte Versionen der alten TV-Studiotechnik.

Die tragbare Videotechnik ist ein neues, wichtiges Medium. Innerhalb der vorherrschenden Kommunikationsweise unserer Kultur bietet es eine neue Ausdrucksform, zu der fast jeder Zugang hat und ist damit genau das Gegenteil des kommerziellen Fernsehens, das auf einem Mangel an Zeit und Zugangsmöglichkeiten zu Gerätschaften beruht und deshalb ausschließlich gekünsteltes Verhalten erlaubt.

Die Ökonomien des tragbaren Videos üben einen subversiven Einfluss auf all jene aus, deren Autorität und Sicherheit darauf beruht, den Informationsfluss zu kontrollieren. Das geläufige Argument gegen die tragbare Videotechnik lautet demzufolge, dass sein „technischer Standard“ niedrig sei. Das ist eine Werbemasche von Verbänden, deren Berufe auf Exklusivität beruhen, von Inhabern, die sich nicht zugleich ihre laufenden Geschäftskosten und Meinungsvielfalt [„equal time“] leisten können und von Pädagogen, die aus ihrem Fachwissen und ihren Zertifikaten eine Geheimwissenschaft machen.

Im Gegensatz zur Fernsehproduktion verkörpert das Portapak eine technologische Evolution hin zu einer Dezentralisierung: reduzierte Größe und Kosten, erhöhte Benutzerfreundlichkeit. Als gänzlich eigenständiges System überlässt es die Kontrolle demjenigen, der [medial] verarbeitet wird. Ein Film hingegen verschwindet nach der Aufnahme in der zentralen Verarbeitung und wird normalerweise von Menschen inhaltlich gestaltet [programmiert], die nicht dabei waren, als die Informationen zusammengetragen wurden.

Die Ausrichtung des Videos auf die Aufnahme, Speicherung und sofortige Wiedergabe innerhalb eines geschlossenen Systems untergräbt den entfremdenden Mythos von der Technologie als etwas, das nur von einer Elite bedient werden könne und daher auch von dieser kontrolliert werden müsse.

Nicht nur kann die tragbare Videotechnik selbst von Kindern ganz leicht bedient werden, sie ermöglicht es zudem, ein komplettes System mit nach Hause zu nehmen und mit ihm zu leben. Das macht sie zu einer Technologie mit niedriger Zugangsschwelle. Der Großteil der amerikanischen Medienstrukturen ist genau das Gegenteil: eine zentralisierte Einbahnstraße.

Doch biologische Systeme mit solchen Eigenschaften sind normalerweise instabil und nicht anpassungsfähig. Da die Art, wie Informationen sich auf dem Weg durch ein System strömen, dessen Struktur bestimmt, können wir von unserer Kultur gar nicht erwarten, dass sie die ökologische Vernunft verkörpert, solange unsere Medien nicht derart umstrukturiert werden, dass auch sie die neue Ausrichtung spiegeln.

Eine Medienökologie verlangt nach einer dezentralisierten, wechselseitigen Informationsstruktur; genauso wie der Überlebensdruck dazu führt, dass heute Schulen und Regierungen dezentralisiert werden, um dem Volk wieder mehr Macht zu geben.

 

Unsere Erfahrungen bei Raindance zeigen, dass das Portapak am besten in seinem eigenen Kontext funktioniert:

Erwartet nicht, dass die tragbare Videotechnik andere, warenorientierte Medien imitiert. Behandelt sie stattdessen als eine Mehrzweck-Technologie, die so viele eigenständige Anwendungsmöglichkeiten bietet, wie es verschiedene und einzigartige Verhaltensweisen gibt. Es ist wie mit dem Unterschied zwischen einem elektrischen Dosenöffner, der fest für eine Art der Anwendung bestimmt ist, und einem Computer oder dem menschlichen Gehirn, die beide vielerlei Einsatzzwecke verfolgen können, ganz unabhängig davon, nach welchen Kriterien zuvor festgelegt wurde, was als Information zählt und was nicht.

Nutzt das Video, um Euer eigenes Leben zu verarbeiten und nicht, um Produkte herzustellen, die das Leben – oder Johnny Carson und Walter Cronkite – imitieren. Vermeidet es auch, aus Helden der „alternativen Kultur“ neue Superstars zu machen, denn damit kämen wir wieder zum ewig gleichen alten Mist von „Anführern“ und „Geführten“. Am besten versteht man Videotechnik als etwas Intimes und lässt sich nicht vom affektierten Gehabe des Produktfernsehens befremden.

Macht euch also keine Sorgen über die anfänglichen Unzulänglichkeiten der Handhabung. Jeder, den wir kennen, hat das erste Mal, als er ein Portapak in Händen hielt, sein eigenes Leben und seine Umwelt aufgenommen, weil dies naheliegend schien. Einige der besten Aufnahmen, die wir je gesehen haben, gehören technisch gesehen zu den gröbsten. Video ist ein Medium ohne Experten. Es schreibt zwar nicht jeder Romane, aber jeder kann die Schrift als Werkzeug nutzen.

Am wichtigsten ist aber: Strukturiert Euer System so, dass es die Zugänglichkeit maximiert. Genau wie im Guerillakampf sollten eure schweren, zentralisierten Einheiten dazu dienen, die flexibelsten Einheiten (die Portapaks) zu stärken und nicht umgekehrt. Falls Ihr schwere Hardware haben wollt (z. B. Bildmischer, Schnittrekorder), dann gestaltet sie als technologische Unterstützungssysteme im Dienste der tragbaren Videotechnik. Hohe Flexibilität ist ein optimaler Überlebensmodus.

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Wir sind Raindance, 24 East 22nd St., New York, N.Y. 10010. Andere Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten: Fobile Muck Truck, c.o. us, Videofreex, 90 Prince Street, New York, N.Y. 10112. People's Video Theater. 544 Avenue of the Americas. N.Y., N.Y. und Media Access Center, 1115 Merrill St., Menlo Park, California 94035.

Aber es gibt noch viele, viele weitere gute Leute, vor allem in New York, die was auf die Beine gestellt haben und andere Gruppen, die gerade dabei sind, etwas auf die Beine zu stellen. Diese Liste ist also ziemlich unvollständig.

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"Portable Video. A Radical Software State-of-the-Art Report", in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 3, 1971, Illustration
"Portable Video. A Radical Software State-of-the-Art Report", in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 3, 1971, Illustration
© Raindance

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»Radical Software«, Vol. 1, Nr. 3, 1971

Redaktion: Beryl Korot, Michael Shamberg
Verleger: Michael Shamberg, Ira Schneider
Beratende Redakteure: Megan Williams, Louts Jaffe, Ira Schneider, Dean und Dudley Evenson
Assoziierte Redakteurin: Phyllis Gershuny