Freie Wahl? (Eröffnung)
Die Formkräfte des Kunstlebens
Do, 12.11.2009 19:00 Uhr CET, Eröffnung

Die Ausstellung »Freie Wahl? Die Formkräfte des Kunstlebens« ist ein Experiment und ein Statement. Eingeladen waren mit Karlsruhe in enger Verbindung stehende Künstlerinnen, ihre eigenen künstlerischen Arbeiten zu präsentieren und/oder als Hauptaugenmerk eine andere Person oder Position zu wählen, mit der eine Kooperation entstehen kann/soll. Diese gewählte Person muss nicht aus Karlsruhe kommen, muss keine lebende Künstlerin und nicht weiblich sein. Welche Position(en) oder auch Exponate die Künstlerinnen gewählt haben, lag in ihrer Hand: wesentlich war allein die »Freie Wahl«. »Wahl« wurde hierbei nicht als Kriterium der gewählten künstlerischen Arbeiten begriffen, sondern als konkrete Anwendung von Recht. Mit der Möglichkeitsform, Handlung als Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für (und mit) jemand anderem einzusetzen, wird diese Option zum Spielraum neuer und nicht kalkulierbarer Bezüge und Verweise untereinander. Eine neue, freiere Form des Ausstellens und des Weiterdenkens von Frauenwahlrecht – dessen 90jähriges Jubiläum 2009 gefeiert wird – soll hierbei über Ausstellung, Lesung, Musik, Diskussionen, Theater oder Performance thematisiert werden.
 
Impuls gebend für die Betrachtung der Wechselwirkung von Recht und Kultur, sowie die daraus resultierende Gestaltbarkeit des Lebens, waren die kulturpolitischen Schriften Marianne Webers (*1870 Oerlinghausen, †1954 Heidelberg), die 1919 als eine der ersten Frauen ins Karlsruher Ständehaus gewählt wurde und sich für ein aktives Frauenwahlrecht engagierte. Gestaltung im Sinne von Handlung geht diesbezüglich einher mit dem aktiven Formen eines gesellschaftlichen Zustandes, welcher Ausdruck im Subjekt wie auch in Objekten findet. Der Titel »Die Formkräfte des Kunstlebens« (angelehnt an Webers Aufsatz Die Formkräfte des Geschlechtslebens aus dem Jahr 1918) umschließt diesen Aspekt der Gestaltbarkeit, welche – am Beispiel der Bildenden Kunst – mit der Ausstellung Freie Wahl? Die Formkräfte des Kunstlebens Ausdruck findet.
Geltend gemacht, und zur Disposition gestellt werden differenzierte, künstlerische Formate, wobei die Vielfalt der Medien – Malerei, Skulptur, Installation, Design, Fotografie, Film, Performance, Musik und Literatur – die Vielstimmigkeit der präsentierten, individuellen künstlerischen Arbeiten und Sprachweisen spiegelt. Mit dem Ziel, einen reversiven Blick auf solche Fragestellungen, Handlungsformen und Orte kultureller Artikulation zu richten, welche Frauen im Verlauf des letzten Jahrhunderts zum künstlerischen Handeln bewegt haben, zeigt so beispielsweise justament das Centre Georges Pompidou in Paris – weltweit als erste kulturelle Institution überhaupt – ausschließlich Künstlerinnen-Positionen aus der eigenen Sammlung, und gewährt damit eine Rückschau vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute.
 
Die Ausstellung »Freie Wahl? Die Formkräfte des Kunstlebens« setzt anhand der in der Nancyhalle präsentierten Exponate, wie auch im Rahmen eines umfangreichen Begleitprogramms einen besonderen Fokus auf weibliche Positionen in der Gesellschaft, die aus kultureller Perspektive beleuchtet und zur Revision, wie auch zur Diskussion gestellt werden sollen. Gleichsam hat das Badische Staatstheater mit Bakchen ein antikes und zeitgleich zur Ausstellung gezeigtes Stück gewählt, welches als eine Theaterinszenierung von Raoul Schrotts verfasster Neudichtung der griechischen Tragödie nach Euripides eine aktualisierte Radikalität der »Formkräfte des Geschlechtslebens« verkörpert.
 
Wir möchten uns für die Bereitschaft, die Einladung zur Ausstellung (die erste Wahl) anzunehmen, in Folge dessen eine Kooperation einzugehen oder eine andere Position einzuladen (die zweite Wahl), und sich hiermit auf das Experiment einzulassen, ganz herzlich bedanken bei: BLESS (Desiree Heiss/Ines Kaag) und José Rojas, die anlässlich dieses Projekts einen gemeinsamen Workshop entwickelt haben; Patrycja German und Stefanie Trojan, die einen Rollentausch über ihre künstlerisch-performative Arbeit vollzogen haben; Anna Lea Hucht, die sich einen Film des bereits verstorbenen Regisseurs Hiroshi Teshigahara in Korrespondenz zu ihrer Position gewählt hat; Anna Jermolaewa und Annabel Lange, die neue Bild- und zwischenmenschliche Kommunikationsräume im Rahmen dieser Ausstellung geschaffen haben; Anna Kolodziejska, welche die Lyrik der polnischen Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska vorlesen lässt; Sandra Meisel und dem Künstlerinnenkollektiv Der Strich (welche auch als Ideengeberinnen dieses Projekts fungierten) sowie den von ihnen eingeladenen Gästen; Marijke van Warmerdam und Jessica Stockholder, die bisher noch keinen persönlichen Kontakt hatten und deren künstlerischen Arbeiten anlässlich Warmerdams Wahl hier eine erste Annäherung erfahren; und schließlich Corinne Wasmuht und dem Universal Cosmopolitan Research Project (Rahel Flink, Vytautas Jurevicius, Ani Schulze, Johanna Wagner), welche die Möglichkeit aufzeigen, die Hierarchie zwischen Lehrendem und Lernenden aufzubrechen und gemeinsam in einer Ausstellung die jeweiligen künstlerischen Arbeiten zu präsentieren.
Ebenso sind wir allen Projektbeteiligten – wie den MusikerInnen Viviane de Farias, Karl Frierson, Julietta, Marbert Rocel und Anja Schneider – und im Besonderen dem Kulturbüro der Stadt Karlsruhe zu Dank verpflichtet, die die vielfältigen Formkräfte zu neuem Leben erweckten.

Organisation / Institution
ZKM ; Stadt Karlsruhe
Kooperationspartner

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