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Ausstellung

Der diskrete Charme der Technologie

Kunst in Spanien

Sa, 27.09.2008 – So, 15.02.2009

© ZKM | Karlsruhe, Foto: ONUK

Dass Luis Buñuel einem seiner wichtigsten Filme den Titel »Der diskrete Charme der Bourgoisie« gab, kann als deutlicher Hinweis auf die Vieldeutigkeit und Ironie seines Werkes verstanden werden. Außer seiner kritischen Haltung zeigt der Regisseur die brüchigen Grenzen zwischen verschiedenen Handlungsweisen auf, mit denen Wirklichkeiten konstruiert werden.
 
Aufgrund der vieldeutigen Interrelation zwischen Kunst und Technologie ergibt sich eine andere Form und ein anderer Inhalt in der Praxis der Medienkunst. Dies hebt diese Ausstellung hervor. Indem die Technik als Vorgehensweise die Technologie als reines Instrumentarium übertrifft, eröffnen sich den Künstlern Möglichkeiten, visuelle Poetiken, sensorielle, formale und konzeptuelle Erkundungen vorzunehmen. In diesem Potential, neue Wege zu ebnen und Perspektiven zu eröffnen, liegt der diskrete Charme der Medienkunst.
 
In der Ausstellung werden rund hundert künstlerische Positionen aus Spanien zu sehen sein, die sich durch ihre außerordentliche ästhetische Qualität wie ihre kulturhistorische Bedeutung auszeichnen. Durch den modularen thematischen Aufbau der Ausstellung werden Werke vom 13. bis zum 21. Jahrhundert in Verbindung gebracht, wobei sie in fünf Themenbereiche unterteilt ist.
 
Gerade weil sich die Arbeiten in einem konzeptuellen Gesamtzusammenhang und nicht einfach chronologisch oder nach Techniken präsentieren, werden sie in jedem einzelnen der Module zu Teilen eines diskursiven Gewebes. Als Gesamtschau vereint die Ausstellung die genannten fünf Themenbereiche, so dass ganz neue narrative Wahrnehmungsperspektiven geschaffen werden, die den Betrachter zu eigenen Interpretationen anregen können.
 

Acting on the Formal Code

Der bedeutende katalanische Philosoph Ramon Llull (1232-1316) entwarf ein binäres und kombinatorisches System zur Codierung von Sprache. Seine Konzeption kann heute als Vorläufer des binären Computercodes betrachtet werden. Seine »logische Maschine«, ein Scheiben-Apparat, war der erste Versuch, die Mensch-Maschine-Beziehung aus der Sicht der Wissensautomation zu erforschen. Eine Reihe von Technologieentwürfen und Theorien im 20. Jahrhundert, wie etwa die Kybernetik, fanden in diesem Prinzip ihre Inspiration.
In den 1960er-Jahren waren es von der Kybernetik beeinflusste Künstler wie Manuel Barbadillo oder José Luis Alexanco, die damit begannen, Kombinatoriken in ihre Arbeiten einfließen zu lassen. In Spanien waren sie die ersten, die Rechner und Programmierungstechniken einsetzten, um Computerkunst entstehen zu lassen, wodurch sie den Weg für generative Kunst bahnten.
 

Acting on the Visual Code

In den Wissenschaften wurde immer wieder danach gestrebt, durch Apparaturen sichtbar zu machen, was dem menschlichen Auge verborgen bleibt. Mit Hilfe von Mikroskopen und Mikrofotografie war es dem angesehenen spanischen Wissenschaftler Ramón y Cajal möglich, das Nervengewebe zu untersuchen und so seine Neuronentheorie zu entwickeln, welche die Neurowissenschaft revolutionierte. Bis in die Gegenwart hat seine Theorie großen Einfluss in vielen Wissensgebieten: von der künstlichen Intelligenz und Telematik bis hin zur Kunst.
Um die unsichtbare Seite des Sichtbaren zu untersuchen, nutzt auch die Kunst neueste Verfahrenstechniken. So entstehen neue Modelle zur Erforschung des Visuellen, die die künstlerische Praxis grundlegend verändern.
 

Acting on the Sensorial (Space-Time)

Diego Velázquez unternahm meisterhafte Analysen von Raum, Zeit und Betrachterstandpunkt. Er verstand es, die Dichotomie zwischen Fiktion und Realität aufzuheben. Durch den Einsatz von Audiovisuellem, IT und Telekommunikationstechnik erweitern sich die Möglichkeiten, die Konstruktion von Wirklichkeit durch ästhetische Darstellung in Raum-Zeit-Dimensionen zu schaffen.
Die gewichtige Errungenschaft des experimentellen Filmemachers José Val del Omar war es, das Sensorielle sichtbar gemacht zu haben, das Immaterielle fasslich dargestellt und so dem Verhältnis von Raum und Zeit eine Substanzialität gegeben zu haben. Das Kino stellte er sich als eine allumfassende Erfahrung vor, das auf alle Sinne des Betrachters einwirken sollte und dementsprechend von ihm als plurisensorial Supervision bezeichnet wurde. Seine Ideen eröffneten neue Wege für audiovisuelle Erforschungen und sind so zu wichtigen Bezugspunkten für Künstler der Gegenwart wie José Antonio Sistiaga, Eugènia Balcells oder Pedro Garhel geworden.
 

Acting on the Body’s Interface

Aus der Perspektive der Wahrnehmung kann man niemals den gesamten Körper – die Schnittstelle zur Welt – erfassen. Kodiert und dekodiert wird die Identität durch verschiedene Strategien, die wir selbst und die Gesellschaft für uns entwerfen. Diese Fragen versucht die Gegenwartskunst fortgesetzt zu interpretieren und in Szene zu setzen.
Einige von den in diesem Teil der Ausstellung gezeigten Arbeiten bilden die Beziehung von Leben und Tod, des Verhältnisses von äußerer und innerer Welt ab. Andere Arbeiten thematisieren jene äußeren Umstände, die zur Konstruktion von Identität führen oder zeigen den Körper als jenen Ort, in dem Lebenserfahrungen widergespiegelt werden. In manchen Werken werden die Thematiken der diversen Identitäten und Masken, die das Subjekt gesellschaftlich anwendet, sowie die Art und Weise, in der makrostrukturelle Kontrollmechanismen auf Individuen ausgeübt werden, aufgenommen.
 

Acting on the Reality Interface

Was und wie beobachtet wird bestimmt die Erkenntnis von Realitäten. Die unmittelbare Erfahrung von Wirklichkeit wird zunehmend durch massenmediale Bilder der »Wirklichkeit« ersetzt. Wir Menschen leben nicht länger ausschließlich »in« der Welt oder »in« Sprache, sondern »in« Bildern: in Bildern, die wir uns herstellen, und in Bildern, die wir uns durch technische Medien aneignen. Die Verschmelzung von Fiktion und Realität ist nicht mehr entwirrbar. Ein solcher Prozess befördert den Hedonismus und eine Spaßgesellschaftsmoral, durch die jede Bedeutung von Gerechtigkeit und Egalitätsprinzipien entkräftet werden.
Aus der Perspektive der individuellen oder familiären Mikrostruktur, innerhalb der man sich unterschiedliche Wirklichkeiten entwirft, formulieren die in diesem Teil der Ausstellung versammelten Künstler ihre Positionen. Andere nehmen Bezug auf den öffentlichen Raum oder die Massenmedien, in denen Übereinstimmungen oder Konfrontationen über die Deutungen von Realitäten entstehen und ausgetragen werden.

Impressum

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Andreas F. Beitin (Projektleitung)
Isabel Meixner (Projektleitung)

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