Nils Röller: Towards Cuzco 02

View of a house wall and a wall: On there that painting of a green leaf and the word "Coca"
__________________________________________________________________________________________
Lieber S.,

lese gerade Deine mail. Es ist das erste Mal, dass ich im Internetcafe bin und ich wundere mich, dass ich alles so hinnehme und glaube, dass Du mir tatsächlich aus Peru schreibst.

Mir geht viel durch den Kopf. Der Christopher Street Day, die verlorene Weltmeisterschaft und dann im Hintergrund die Meldungen vom Börsengeschehen. Beinahe jede Woche ein Skandal. Mir macht das Angst. Das Geld wird knapper werden. Man redet von Insolvenzen, von Offenbarungseiden und diejenigen, die noch Geld haben, geben sich bedeckt, warten ab.

Wo sollen die Leute das Geld hernehmen? Vielleicht, wieder einmal denke ich das, muss ich mein Geschäft schliessen. Wäre schön, wenn jetzt jemand mit einer Idee vorbeikäme. Aber wozu würde das führen? Ich würde mehr verdienen, könnte mir etwas leisten. Doch das Geld wird an anderen Stellen fehlen und anderen wird es statt mir schlechter gehen. Vielleicht gibt es aber auch eine Idee, mit der solche Kunden gelockt werden können, die zuviel Geld haben? David Bowie, Madonna oder Norbert Bolz... Wahrscheinlich ist das nicht. Ich sammele übrigens für Dich jetzt die Artikel, die der Zeichenfischer veröffentlicht. Montag war etwas in der taz über die „Ökonomien des Dazwischen“, die Kunst- und Handlungsspielräume zu eröffnen.

Meiner Ansicht nach sollte er - oder vielleicht sollte ich mich daran versuchen – den Gerüchten nachgehen, die verbreitet werden. Ich habe von unglaublichen Ungerechtigkeiten gehört. Jemand, der auf der Polizeiwache erschlagen wurde, Zeitungen, die vertuschen halfen und dann jede Menge über Offenbarungseide, mit denen Leute, die nichts haben, andere, die noch etwas Geld haben, in Schwierigkeiten bringen. Ich frage mich aber, ob Enthüllung und Anprangerung etwas bringt. Wahrscheinlich habe ich Angst, Farbe zu bekennen oder überhaupt eine Farbe zu finden.

Woran liegt das? Habe ich Angst, dass mich die Obrigkeit dann verfolgt? Was ist das für ein Duckmäusertum, ist das vorauseilender Gehorsam? Es gibt doch die Idee von Recht und Ordnung, von Gerechtigkeit. An sie erinnert Lord Dahrendorf, der mit Landesmitteln und mit Hilfe der Krupp-Stiftung nach Essen eingeladen worden ist, um über weltbürgerliches Handeln zu sprechen. Er schlägt vor, dass man die Mächtigen an Ideen erinnert, zu denen sie sich bekennen. Die Obrigkeit und auch die Verlage müssen sich zur Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien bekennen. Aber was ist das?

Weltbürgertum, schön dass Du jetzt in Peru bist oder ich das jetzt glauben kann, ohne in zwingende Widersprüche zu geraten. In Machu Pichu zu sein, in Cuzco eine Akademie zu planen, ein Telekomprojekt durchzuführen, das klingt weltbürgerlich. Machst Du etwas daraus? Mir tut allein der Gedanke gut, dass jemand, den ich kenne, in der Welt ist und nicht nur an sich denkt. Mich verunsichert allerdings, was Du über Deine Freundin oder Frau schreibst, warum fährt sie in den Osten und Du in den Westen? Wie geht es Eurem Kind dabei und warum verwendest Du so viele Worte?

Da momentan wenig los ist und ich nicht alleine mit meinen Kerzen die Woche verbringen möchte, nehme ich Eure Anregung auf und gehe regelmässig in das Internetcafe, um mich mit Euch und der Welt zu verbinden, wie ihr so schön sagt.

Mir fällt es schon schwer, das Wort „gehen“ zu schreiben. Denn das ist ungenau und ausserdem entspricht es nicht dem, was mir durch den Kopf geht. Ich muss erst einmal die Stimmen los werden, die in meinem Kopf sind, bevor ich Dir überhaupt schreibe. Das Kreischen des S-Bahnräder, das Gestammel eines Heroinabhängigen, dann das Geschnatter von Schülerinnen, die neben mir in der Bahn standen, sind mir noch in den Ohren. Beide Mädchen zeigten übrigens ihren Bauchnabel, eine war beige gekleidet, die andere Kleinere hielt sich in schwarz und bewehrte ihre Hüften mit einer Kette aus grossen metallenen Ringen. Ich hätte mir gern das Metall näher angesehen, scheute aber davor zurück, an die beiden heranzurücken.

Jede Menge anziehende Widersprüche: Die silbernen Ringe, die einen Rückzug der modisch verarbeiteten Kriegskunst in die Leichtigkeit des Accessoires zugaben, aber zugleich mit einer latenten Wehrbereitschaft kokettierten, ebenso die ritterlich spitzen Schuhen der einen und die gummi-bereiften trampelfüssigen Sohlen der anderen, all das stand im Kontrast zu der zarten Thematik, über die sich die beiden Mädchen austauschten. Die eine kleinere Dunkelhaarige mit den Joggingschuh-Stampfern suchte hörbar Rat bei der mit spitz stosssicher auftretenden Schuhen grösseren Blondine. Die sagte folgendes:

„Wenn ich mit meinem Freund geschmust habe und er ist dann weg, dann habe ich total Sehnsucht danach und schmuse mit meiner Mutter und, ich weiss auch nicht oder doch, das kann dein Problem sein: Du hast keinen Freund und deshalb hast Du auch kein Bedürfnis nach der Zärtlichkeit deiner Mutter. Du sehnst Dich nach einem Freund und denkst, wenn Deine Mutter zärtlich zu Dir sein will, dass Du lieber einen Freund hättest, der zärtlich zu Dir ist. Du brauchst einfach einen Freund. Dann löst sich auch das Problem mit Deiner Mutter“. Soweit die Worte, die ich aufgeschnappt habe, bevor sie den Zug verliessen. Das rumort nun in mir, während ich hier in der Plastikatmosphäre des Internetcafes sitze und Kontakt zu Dir aufnehme.

Neben mir sitzt übrigens eine kräftiges deutsches Mädchen, vielleicht rudert sie oder spielt Handball. Sie trägt ein weisses geripptes T-Shirt und eine klassische Blue-Jeans. Ihr Rucksack verwirrt mich enorm. Er ist aus silber-weissen Stoff, an dessen Rändern sich Stockflecken ausbreiten. Auf dem so umrandeten glänzenden Plastikstoff duldet sie einen deutschen Adler oder hat ihn dort vielleicht sogar selbst platziert. Ich dachte, dass die Rückkehr des nationalen Empfindens durch die Niederlage gegenüber Brasilien im Endspiel der Fussballweltmeisterschaft gestoppt würde. Da irre ich mich also. Der national bewusste Volkssport lebt weiter in den Gemütern und Emblemen, nun allerdings mit einem Bewusstsein für die Vor- und Nachteile elektronischer Kommunikation.

Mehr zu Deinem Text sende ich Dir demnächst, bei meiner nächsten Session im Internetcafe. Das wird vermutlich erst in einer Woche sein. Ich möchte mit dem elektronischen Schreiben haushalten.

Das wird mein Schrifttag vielleicht schreibe ich sogar englisch. Hier ein Anfang, den ich aus Zetteln und Büchern zusammensetze, die ihr mir dagelassen habt

Ahabs Governmentality

Lets build a ship, not any ship but the Pequod. This ship drowned decades ago. It drowned at the end of captain Ahabs hunt. Ahab tried to hunt down the Wite Whale, Moby Dick. We are rebuilding the destroyed vehicle, because we long for a constructive sensiblity. We are eager to keep in mind that revenge is tricky.

The shipbuilding we intend to engage you will first of all change your state of mind. Be aware of this procedure (like Ahab was asked by Starbuck to be aware of himself).

Three reasons are compelling us to think of Ahab. First Gerhard Conrads film on the german RAF-Member Holger Mainz. The film is titled Starbuck (like the first mate on deck of Ahabs ship), second, the analogy between Ahabs revenge voyage and the western research for islamic fundamentalist, third the structural analogy between Captain Ahab and Captain Picard (Commander of the enterprise E engaged in a fight against borgs).

Last point first: Captain Picard has learned lessons from fiction. Fighting the Borg Captain Picard does not commit Ahabs error. Commander Picard does not constrain his crew to follow him into the death. No, gentleman Picard is going to be convincend by a woman of the 21th century, that it is better to rescue his crew and not to risk their lifes. Why then rebuild the Pequod? Instead of building the Enterprise and to look for a humanist captain Picard? A man who is governed by reflection and responsibilty for the others and not by revenge?

First because we are convinced that learning from fiction is not so easy as displayed in the Enterprise life of the Movie First Contact. We do distrust Captain Picards insight. We do see him subjected to self governing principles. We would like to know more about the technologies of conciousness that are behind him. Because of lack of Ultra-light-speed devices and the technolgy of the Enterprise-era we prefer to step back to the 19th century.

Rebuilding the Pequod and the technology that was at Ahabs disposal, we may gather information about technology and governing principles. This will lead to insights about the relation between art, technology and governementality.

The “Eliot Effect” is an obstacle and a chance. It is a major mediatheoretical challenge. We have to reconsider the impact of the dichotomy between text based and oral argumentation.

Aber jetzt will ich noch einen Augenblick googlen. Das hat mir vorhin einer der Angestellten gezeigt. Ich will das Wort schmusen eingeben und sehen, was kommt. Nächste Woche darüber mehr.

Herz. D.K.

P.S. In meinem Laden habe ich eine Diskette gefunden Vermisst Du die? Ich sende Dir hier das Dokument als Attachment mit. (Anm. der Redaktion: Das Dokument, das der K. S. als Attachment geschickt hat, lässt sich einsehen unter www.romanform.de : Mediale Methode oder www.tzaule.net/nils/nils.html).
 

1 <  > 3