Nils Röller: Towards Cuzco 47

View of a house wall and a wall: On there that painting of a green leaf and the word "Coca"
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Lieber Kerz,

jetzt irritierst Du mich schwedenhaft mit schweren erkenntnistheoretischen Geschützen. Ich muss die Klapplupen meiner philosophischen Lektüren herausnehmen und das Gesagte analysieren. Gib mir Zeit. Ich bin hier in Gesellschaft.

Gruss Dein Schelm

P.S. Befindet sich unter Deinen Büchern, ein kleines Bändchen mit den literarischen Aufsätzen von Oswald Wiener? Dort ist ein Text über Klischees, der Deinen Fragen entgegenkommt... Heute gab es das Referat einer Deutsch-Amerikanerin, sie war wohl irgendwann mal an der Bauhaus-Universität in Weimar, dann im Fotomuseum Winterthur. Sie hat über das Black Mountain College gesprochen, an dem Buckminister Fuller unterrichtet hat, aber auch ein Dichter mit dem Namen Charles Olson. Er hat eine projektive Dichtung entwickelt. Die Referentin legte Olsons Idee dar, dass Amerikas Kunst von dem Wunsch, den Raum zu beherrschen, erfüllt sei. Das müsse man heute erweitern, heute gehe es um die Herrschaft über die Zeit, die gefrorenen Zeit der Fotographie und Architektur und die kompakte Zeit des Films. Hollywood sei eine Versammlung von Zeithändlern. Das legte sie dar, indem sie eine Webseite mit Photos aus Russland zeigte (www.richas.de). Sie stammen von einem deutschen Fotografen, der sich erst mit dem American Underground Cinema beschäftigt hat, dann mit einer Richtung die „niedere Photographie“ hiess und das jetzt in einer anthropologischen Recherche zusammen führt, Achim Riechers. In Erinnerung ist mir ein Photo von einem schäbigen Kiosk geblieben, den die Besitzer mit einem grossformatigen Bild von Leonardo di Caprio verzierten: eine Hollywood-Ikone im Mutterland der Bildverehrung. Das sei für sie ein Beispiel dafür, wie sich eine Zeitkunst räumlich ausbreite und das allgemeine Bewusstsein auf regionaler Ebene verändert. Die Zeitmaschine Hollywood verteilt mentale Einrichtungsgegenstände, besser mentale Uhren, mit denen weltweit das Bewusstsein getaktet wird. Das versteht sie als eine Herausforderung. Olson hatte von den Lehrern und Schülern des Black Mountain College gefordert, dass sie konkret arbeiten, darunter verstand er zum Beispiel, dass man sich erst Gedanken darüber macht, wer und wie man was geworden ist, aus welchem Raum und von welcher Erde man stammt, bevor man andere darüber belehre, was und wie sie künstlerisch arbeiten können. Eine seine Vorstellungen war es, das griechische Finden und Forschen wieder als Bedingung aller Mitteilung zu würdigen. Hier wäre weiter zu unterscheiden zwischen der Zeitorganisation in der Dichtung im Unterschied zu bildbasierten Systemen, sagte sie und verwies auf ein Forschungsvorhaben.

Olson selbst hat jahrelang nach der Bibliothek von Herman Melville geforscht und herausgefunden, was er gelesen hat und was er besonders von Shakespeare übernommen hat. Aber er bezog diese Forschung nicht nur auf Bücher, genauso liess er Maya-Glyphen und Seemannsknoten als konkrete Gegenstände gelten, mit denen man sich beschäftigen könne, um herausfinden, was das eigene Dasein bestimmt. Die Herausforderung heute, deshalb zeigte sie die Webseite mit den russischen Fotos, bestehe darin, dass Bilder, wie die Di-Caprio-Ikone, die aus einer anderen Kultur stammen, heute das Bewusstsein mitgestalten. Technisch vermittelte Bilder neben von Hand zu Hand überlieferten Gegenständen gestalten den Alltag. Der Grenzverlauf zwischen konkret und abstrakt werde bestimmt durch mediale Vermittlungen, denen man Rechnung tragen müsste. Deshalb sieht sie eine Aufgabe einer neuen Akademie darin, die Wechselwirkungen zwischen Kulturen zu beobachten, z.B. die Eingliederung von Pinups, Hollywood-Ikonen und Markenzeichen in die russische Welt mit der Fotokamera zu dokumentieren. Das sei für sie ein historein im Sinne Herodots und Olsons unter medialen Bedingungen. Im Pausengespräch erwähnte sie Moby Dick, das Buch an dem Olson seine Thesen entwickelt. Du hast doch schon darüber geschrieben?