Nils Röller: Towards Cuzco 04

View of a house wall and a wall: On there that painting of a green leaf and the word "Coca"
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L.S.,

mit dem Hotmail-Account klappt etwas nicht. Ich bekomme zahlreiche mails von Leuten, die ich nicht kenne, Kredite, Aktien, Busen und Mösen... Eine Olga Pluck kündigt mir Hilfe bei der Zahlung von Krediten an, ein gewisser Martin Dorschelazan bietet Bilder von Jazmin an und eine sabine255843c21 sendet einen Liebesbeweis. Andere kommen auf die Idee, mir Tips beim Abnehmen zu senden, eine spanische Email weist auf einen Kurs in der Theorie moderner Kunst hin ... meine Mailbox quillt über, fühle mich wie ein Hausbesitzer, der jeden Tag Anzeigen vor seiner Tür findet und sie zum Müll bringen ist. Ich habe übrigens am Anfang gedacht, dass mir die beiden schönen Frauen schreiben, die mich letztens im Geschäft besucht haben, aber der Wunsch ist der Vater der Lektüre. Wie sollten die beiden denn auch meine email-Adresse kennen?

Noch ärgerlicher als der Zeichenmüll ist allerdings, dass meine mails an Dich zurückkommen. Nun wirst Du eine lange mail erhalten, an deren Anfang steht nicht eine Antwort auf Deine letzte mail (ich würde auch gerne in Cuzco die Nacht durchtanzen), sondern im letzten Drittel. Wie wirst Du den hier entstehenden Zeichensatz lesen? Liest Du von oben nach unten und springst von der ersten mail am Ende der Nachricht und dann zu dieser? Erst einmal wirst Du diese Zeichen lesen, na und dann schreibe ich einfach so... inzwischen ist in meinem Hirn die Hölle los gewesen. Ich versuche zu ordnen:

Am Rechner neben mir sitzt ein Thai-Künstler. Bei ihm liegt ein Bild von Papst Johannes Paul, der die Füsse eines Priesters küsst. Das Bild ist wie ein japanischer Comic in grau und schwarz gezeichnet. Der Thai-Künstler will Leute aus aller Welt einladen, das Papstbild von seiner homepage (auf einem server in Leipzig) zu laden und dann farbig anzumalen. Das ist ein Teil einer Kuss-Serie, sein Beitrag zur Verbesserung der Welt. Er wohnt und studiert in Leipzig, kommt nur ab und zu nach Köln. Nun hat er mir zwei Dinge erzählt. Erstens, dass er was vom Cremaster gehört hat, einem Filmzyklus, der im Museum Ludwig gezeigt wird und zweitens, dass er über die Anschaffung eines Computers nachdenkt. Bisher arbeitet er an den Rechnern der Kunstakademie. Aber für Hin-und Rückfahrt braucht er drei Stunden. Ausserdem ist die Koordination dieses Arbeitsganges mit den Bedürfnissen von Frau und Kind schwierig. Nun will er von zwei Thai-Freunden, die Geld verdienen, sich etwas leihen, um einen Computer zu kaufen. Dann kann er zuhause Tag und Nacht arbeiten, so eine Kusszeichnung dauert lange, sagt er.

Nun denke ich auch über eine solche Anschaffung nach, bin aber mutlos, weil ich nicht weiss, wie das gehen soll. Dann war der Zeichenfischer wieder da. Kaum, dass ich mich von ihm erholt habe (siehe Mail weiter unten), kam er heute morgen wieder in mein Geschäft. Diesmal hatte er ein Laptop dabei und ein Mobiltelefon, mit dem er in meinem Geschäft eine Netzverbindung herstellen konnte. Hast Du auch solch eine Ausstattung?

Ich habe ihm von Deinen schönen Berichten aus Cuzco erzählt und dann sind wir ins Netz gegangen und haben von meinem Hotmailaccount Deine letzte Mail abgerufen. Er hat in Deinen Text hineingelesen und meinte dann, dass wir in eine Schreibfalle geraten sind, wir würden geistig onanieren. Es gäbe wichtigeres zu tun als sich Wortspiele hin und herzusenden. Er hat eine Datei von seinem Laptop geladen (was er mir gemailt hat, damit ich es an Dich weiterleite). Ich hatte gar nicht das Gefühl, dass wir uns Wortspiele schicken, aber er ist der Meinung. Typisch für ihn: Dies gesagt, war er wieder weg. Nun habe ich den Egoschutt, den er bei mir abgeladen hat, erst einmal abzutragen, deswegen bin ich heute schon wieder in das Internetcafe gegangen. Das macht mich noch arm. Aber sei es drum.

Ja, und dann Deine Mail. Du überschwemmst mich mit merkwürdig schwingenden Worten. Einzelne nehme ich mir und aquarelliere sie, um ihre Wirkung auf mich in den Griff zu bekommen und Du schreibst ausserdem etwas zu meiner oberflächlichen Wahrnehmung. Du sprichst die Details an, die ich an den Mädchen und Frauen in meiner Umgebung bemerke.

Da brennen sich Eindrücke fest, ein roter Strumpf, der zwischen prunkenden Pumps und dem zerschlissenen Saum einer Jeans hervorlugt, Nylonblüten, Acrylrüschen wuchern in meiner Vorstellungskraft, überlagern den schmutzigen Fussboden des Nahverkehrszuges, in dem ich sitze und wahrnehme, organisierte Erotik kommt mir in den Sinn, Kontaktanzeigen und Beate Uhse, aber auch das tägliche gemeinsame Duschen der Gatten aus der Unterschicht, wenn der Werktätige nach Hause kommt, die Frau ihn erwartet. Die Kinder sind in der Wohnung der Omi unten bis das kurze Nachspiel vorbei ist oder dann die Erzählung einer Frau, die mit Tuppa-Waren handelt und einen Oberwachtmeister kennenlernt, weil der mal zuhörte, als seine Sekretärin von der heissen Unterwäsche ihrer Freundin erzählte und später beide einmal vom Sport abholte... Dann tauchen Gemäldefetzen auf. Das Acrylrot vermengt sich mit der französischen Trikolore. Rittmeisterblau setzt sich ab. Eine junge Frau, Geliebte eines reitenden Angehörigen irgendeiner Kaste des französischen Sozietätskarnevals, lässt einen morphinen Blick unter der Krempe eines standesgemässen Zylinders während des Ausritts liegen.

Während ich das schreibe, denke ich an den Cremaster, von dem der Thai-Künstler erzählt hat. Der Film soll Symbole, Chrysler-Limousinen, Harfen und silberne Zeichen aus der Freimaurerei zeigen. Ich frage mich, wie solche Zeichen der Macht auf mein Bewusstsein wirken, auf den Thai-Mann wirkten sie „funny“. Er kann sich gut vorstellen, demnächst eine Cocktailbar im Stile des Chrysler-Buildings zu gestalten, allerdings „with more peaceful beachlike colours, you know?“

Kann es sein, dass der Anblick von roten Rüschen einen Mechanismus in Gang setzt, den die Kultur von Kunst und Mode in meinem Bewusstsein eingebrannt hat, so wie die Computerhersteller Rechenregeln in Platinen mit dem Laser aufzeichnen? Bestimmt verläuft die Etablierung eines Mechanismus zur Bewältigung von Wahrnehmung anders als die computergesteuerte Beschriftung eines Chips.

Was meinst Du? Wie lange wirst Du in Peru bleiben und was wird aus Deinem Auftrag? Wirst Du bald Geld verdienen? Ich vermisse Dich. Hoffentlich kommst Du bald zurück.

Hier nun die Mail, die ich gestern gesendet habe. Sie ist zurückgekommen. Eigentlich wollte ich mit meinen Besuchen im Internetcafe haushalten, aber der Zeichenfischer kam heute vorbei und hat mich nervös gemacht. Irgendwie muss ich das loswerden. Er sagte etwas von PR-Beratung, mit der er jetzt gross rauskommen möchte. Er fuhr übrigens mit einem teuren Auto fuhr und sagte etwas von Anzügen, die 50.000 DM kosten. Eigentlich möchte ich nicht über ihn schreiben, er, der mir jetzt die Kosten verursacht. Die Minuten hier im Internetcafe sind in der Tat für mich Kosten, die ich scheue. Wie gehen die Peruaner mit den Gebühreneinheiten um? Paradox ist mein Verhalten, ich wende Kosten auf, um zu schreiben. Ich schreibe, weil ich mich über den Zeichenfischer ärgere und finde eigentlich, dass er das Geld nicht wert ist. Warum schreibe ich dann? Ich muss es einfach tun und dann werden wir weiter sehen. Nun habe ich doch ganz schön viel zum Zeichenfischer geschrieben. Interessanter wäre eigentlich die Notiz, die ich während der Fahrt hierher in einer Zeitung gelesen habe. Gewalt unter Mädchen. Irgendwo haben 13-14Jährige eine „Kameradin“ verprügelt und immer wieder ihren Kopf in eine Toilette, (ein ländliches Plumpsklo) gesteckt.

Tja, und da beschäftige ich mich mit ihren Schuhen, Ketten und ihrer äusseren Erscheinung. Wie hängt das zusammen? Aber auch dieser Gedanke irritiert mich, denn ich habe ihn ja nur, weil ich aufgrund des Ärgers mit dem Zeichenfischer noch öffentliche Verkehrsmittel benutzt habe, in denen so etwas zu lesen war. Eigentlich wollte ich die Kosten aufwenden, um dem Zeichenfischer etwas entgegen zu setzen und an dem Schiff weiterzubauen. Das Cafe hat noch bis 24h auf. Dann kann ich später gut noch eine Strassenbahn nach Kalk zurück bekommen. Jetzt erst einmal eine Pause und dann beginne ich mit dem Schiffsbau, den ich mir in Gedanken vorgenommen habe. Mir fällt noch etwas ein. Als ich vorhin in die U-Bahn stieg, lehnte ein schreiender Italiener am Geländer des Eingangs. Er rief „managgia Schwarzarbeit“ und fuchtelte gewaltig mit einer Bierflasche. Was für eine Geschichte der Mann hat, weiss ich nicht. Ich habe ihn nicht gefragt. Vielleicht ist er wegen Schwarzarbeit verklagt worden, nun säuft er, später verprügelt er seine Familie und missbraucht wer ihm in seiner kleinen Ökonomie daheim unter die Finger kommt. Übrigens höre ich jetzt öfter einen Hund jaulen. Er wird in der Nachbarwohnung festgehalten. Zum Glück höre ich nicht, wenn andere missbraucht werden. Zum Glück, denn ich wüsste dann nicht, was ich tun müsste.

All.s Gute D.K.

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