Nils Röller: Towards Cuzco 43

View of a house wall and a wall: On there that painting of a green leaf and the word "Coca"
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Kerzenhändler,

Du sendest jetzt Paranoia Grubenfunk. Ich würde Dir gerne ein Kleeblatt aus den Anden senden, damit Du auf andere Gedanken kommst. Kommen denn Pia und Mona nicht, sie wollten doch in den nächsten Tagen wieder kommen?

Dein Schelm

P.S.: Noch einmal zur Zeit. Habe heute einen Vortrag einer Frau vom Brasilianischen Institut für Philosophie gehört. Sie sprach über die Vielfalt von Zeitauffassungen in einer geographisch definierten Zone, zum Beispiel am Strand von Rio. Dort treffen Kinder von Eltern der technokratischen Mittelschicht, deren Zeit westlich getaktet wird, mit Kindern aus den Favelas zusammen. Vergleicht man die Zeitorientierungen ihrer Eltern miteinander, dann entdeckt man eine Diskrepanz: Während die Technokraten einem Fortschrittsmodell huldigen, von der Idee geleitet werden, dass Brasiliens Wirtschaft vollständig wie die westliche Wirtschaft von maschinellen Abläufen bestimmt werden soll, folgen die anderen den Vorgaben der Armut, des Kampfs ums Überleben. Eine Herausforderung sei es nun, die wechselseitigen Störungen herauszuarbeiten, also ob und wie der Überlebenskampf der Kindern und Eltern in den Favelas durch globale Marketing-Strategien für Turnschuhe, aber auch durch transnationale Kriminalität, den Drogenhandel, Schmuggel und Prostitution getaktet wird und ob ein Bewusstsein darüber entwickelt ist. Strukturell Vergleichbares gelte es über die Technokraten herauszufinden, also wie deren Zeitgefühl durch transnationale Moden getaktet wird und inwieweit sie ein Bewusstsein für die Kritik an der Fortschrittsidee ausbilden, sei es durch Einsichten der Kulturtheorie oder die Ahnung, dass das Zeitalter der Industrialisierung durch Computer- und Biowissenschaften verändert werden wird. Die Referentin setzte sich mit dem Text „Nachgeschichte“ von Vilém Flusser auseinander. Hier ein Satz, den ich von einer ihrer Folie abgeschrieben habe:

„Kein geschärftes Gehör ist erforderlich, um einen hohlen Unterton aus den Schritten herauszuhören, mit denen wir uns der Zukunft entgegenbewegen, aus unserem Fortschritt. Hingegen ist es nötig, aufmerksam hinzuhören, wenn man feststellen will, um welche Art von Hohlheit, es sich dabei handelt“ NG, S. 10