Werke der KünstlerInnen A–F
Infosphäre
ATimo Arnall, Jack Schulze,Einar Sneve Martinussen |
Die mit langer Belichtungszeit aufgenommenen und mit Stop-Motion-Animationen kombinierten Fotografien von Timo Arnall, Jack Schulze und Einar Sneve Martinussen dienen der Visualisierung ansonsten unsichtbarer Funkfelder von sogenannten RFID-Tags, also von Transpondern zum Senden und Empfangen elektromagnetischer Wellen. In ihrem Video präsentieren die Künstler verschiedene Experimente und führen die RezipientInnen in eine bisher unbekannte und unsichtbare Welt ein, zeigen die Energie, die in einem Raum durch ihre Geräte pulsiert. Der visualisierte Bereich ist allerdings nicht zu verwechseln mit dem Radiofeld selbst, er zeigt vielmehr die Grenzen des Raumes innerhalb eines solchen Feldes, in dem ein RFID-Transponder und ein RFID-Lesegerät miteinander interagieren können. Entsprechend der Ausrichtung von Lesegerät und Transponder zueinander ändert sich die Form des Feldes. Hierbei entstehen markante imaginäre Gebilde, die mithilfe unterschiedlich farbiger LEDs visualisiert werden.
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Amy Balkin
The Atmosphere: A Guide 2013/2015
»The Atmosphere: A Guide« (2013/2015) ist ein Essay in Posterform, ein Reiseführer durch die Atmosphäre, der die menschlichen Einflüsse auf den Himmel darstellt: angefangen bei der Verschmutzung, über räumliche Politik bis zum Klimawandel und dem elektromagnetischen Spektrum. Das Werk der Künstlerin Amy Balkin erlaubt es den BetrachterInnen, die Infosphäre in der konkreten Realität unserer Welt und unseres Ökosystems zu verorten. Auf ihrem Weg durch die Schichten der Atmosphäre von Normalnull bis zur äußersten Exosphäre behandelt die Arbeit komplexe Fragen bezüglich der atmosphärischen Politik und ihrer vielfältigen Einflüsse chemischer, erzählerischer, räumlicher oder eben politischer Natur. Der Reiseführer bezieht sich dabei visuell wie konzeptuell auf sog. »Cloud Code Charts«, die eng mit den in Deutschland gebräuchlichen Wolkenatlanten verwandt sind: Es handelt sich bei ihnen um Schautafeln aus der Ära vor den Satelliten, die Wetterbeobachtern als visuelle Hilfe dienten. Dieses ursprüngliche Modell verwandelte die Künstlerin in die Form eines visuellen Essays. Was zunächst wie ein reiner Bericht mit Daten erscheint, die anhand von Fallbeispielen erläutert werden, fungiert eigentlich als Startpunkt für eine Reflexion zum Zustand der Atmosphäre. Der Essay zeigt das Zusammentreffen und das Beziehungsgeflecht jener Faktoren, die die tatsächlichen ebenso wie die möglichen Gegebenheiten unseres Ökosystems beeinflussen – was wiederum das räumlich-ökologische und politische Bewusstsein der BetrachterInnen schärft.
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Aram Bartholl
15 Seconds of Fame (2009)
Während Aram Bartholl am Morgen des 13. Oktobers 2009 wie gewöhnlich einen Kaffee im Café MÖRDER in Berlin-Mitte trank, erkannte er plötzlich in einem vorbeifahrenden Auto einen der Google-Street-View-Aufnahmewagen. Nachdem Google 2007 in den USA begonnen hatte, die Straßen aller Städte systematisch fotografisch zu erfassen und über den Webdienst »Google Earth« online zugänglich zu machen, hatten Datenschützer in Deutschland mit starkem Protest reagiert. Bartholl nutzte nun die Gunst der Stunde, ließ seinen Kaffee stehen und rannte dem plötzlich vorbeifahrenden Google-Street-View-Wagen hinterher, um sich filmen zu lassen. In einer fünfzehn Sekunden langen Performance verwandelte Bartholl die Straßenansicht von Google Street View in sein eigenes Kunstwerk. Über ein Jahr später gingen die aufgenommenen Bilder der Straßen von Berlin-Mitte bei Street View online, seitdem ist Aram Bartholls Performance verewigt. Ironisch verweist die Arbeit Bartholls dabei auf eine Aussage von Andy Warhol aus dem Jahr 1968, nach der in der Zukunft jeder Mensch irgendwann in seinem Leben für fünfzehn Minuten weltberühmt sein wird. Warhol spielte damit auf die Flüchtigkeit von medialer Bekanntheit an: Die Zeitspanne von fünfzehn Minuten wird von Bartholl in »15 Seconds of Fame« nochmals unterboten.
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Aram Bartholl
Forgot Your Password? (2013)
Millionen Menschen in mehr als 200 Ländern nutzen heute das Online-Netzwerk LinkedIn, welches in erster Linie der Pflege von beruflichen Kontakten dient. Im Sommer 2012 wurde dieses Netzwerk Opfer eines Hackerangriffs und verlor dabei seine gesamte Benutzerdatenbank: Sämtliche Benutzernamen und Passwörter wurden gestohlen und erschienen wenige Monate später für jeden online zugänglich im Netz. In einer Art Enzyklopädie in acht Bänden stellte Aram Bartholl 4,7 Millionen dieser LinkedIn-Passwörter alphabetisch geordnet zusammen. Zum Schutz der privaten Daten sind dabei ausschließlich die Passwörter und nicht die Benutzernamen aufgelistet. Die Arbeit Bartholls reflektiert die Spannung zwischen öffentlichem und privatem Interesse, zwischen der Sicherung der Privatsphäre einerseits und der Veröffentlichung von Daten andererseits. Dabei illustrieren die acht Bände auf anschauliche Weise die Menge der heute online zur Verfügung stehenden Daten. An der Schnittstelle von digitaler und realer Identität sind die AusstellungsbesucherInnen eingeladen, ihre eigenen Passwörter nachzuschlagen.
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Wafaa Bilal
3rdi (2010–2011)
2010 ließ sich Wafaa Bilal eine Digitalkamera als eine Art drittes Auge in seinen eigenen Hinterkopf implantieren. Diese Kamera erstellte über den Zeitraum eines ganzen Jahres im Minutentakt ein Foto, ein USB-Kabel verband die Digitalkamera permanent mit einem Laptop. Die Bilder wurden so direkt auf der Website des Künstlers veröffentlicht. Diese einjährige Performance zeigt die Aktivitäten des Künstlers mit der Perspektive auf dem, was im wörtlichen Sinne hinter seinem Rücken passierte. Die ohne das Einwirken eines Fotografen entstandenen Aufnahmen, die veröffentlicht wurden, ohne eine bewusste Auswahl zu treffen, könnte man im Sinne von Roland Barthes »radikal objektiv« oder »unschuldig« nennen. Das Potenzial der Bilder, Geschichten zu erzählen, wurde durch die Onlinedistribution um ein Vielfaches verstärkt: Die BetrachterInnen müssen selbst ihre notwendigerweise subjektive Interpretation des Geschehens liefern.
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Zach Blas
Contra-Internet (2014–2015)
»Contra-Internet« beschäftigt sich mit der zunehmenden Militanz und Unterwanderung des »Internets«, bspw. durch die wachsende weltweite Verbreitung autonomer Maschennetzwerke, Verschlüsselungstaktiken und Darknets. »Contra-Internet« zielt darauf ab, als konzeputeller, praxisnaher und experimenteller Rahmen für die Ablehnung der neoliberalen Logik des »Internets« zu dienen und zugleich alternative Infrastrukturen aufzubauen. »Contra-Internet« besteht aus mehreren Serien und kritisiert erstens »das Internet« als hegemoniale Bezeichnung für digitale Netzwerke sowie als wichtigste Arena der politischen Kontrolle. Zweitens dokumentiert und spekultiert es über jene Netzwerkalternativen, die soziale Bewegungen und Aktivisten derzeit weltweit entwickeln. Inspiriert vom »Manifesto contrasexual« (2002) [Das kontrasexuelle Manifest] des Theoretikers Paul (Beatriz) Preciado wählt »Contra-Internet« eine feministisch-queere Perspektive in dem Bemühen, derartige politische Positionen mit einem Hackerethos zu vereinen.
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Blast Theory
Karen (2015)
Blast Theory: Karen (2015)
Karen ist eine App für Smartphones, mit der die UserInnen in einer Mischung aus interaktivem Film und Computerspiel mit Lebenscoach »Karen« in Kontakt treten. Sie fragt zu Beginn einige persönliche Details ab, um sich ein Bild zu machen, und wirkt dabei fast zu freundlich. Die Fragen, die der App und Karens künstlicher Intelligenz zu Grunde liegen, stammen aus hunderten ausgewerteten Fragebögen, die zum psychologischen Profiling eingesetzt werden. Die Software nimmt anhand der Antworten der UserInnen eine psychologische Einordnung vor und erteilt entsprechende Ratschläge. Die künstlerische Überformung des psychologischen Profilings geht in der Narration soweit, dass Karen immer neugieriger wird und sogar beleidigt reagiert, wenn man sie nicht zurückruft. Sie ignoriert ganz bewusst persönliche Grenzen, dringt immer weiter in die Privatsphäre ein und scheint Dinge über die UserInnen zu wissen, die sie nichts angehen. Blast Theory haben »Karen« vor dem Hintergrund der zunehmenden Relevanz von Big Data entwickelt. Große Unternehmen wie Facebook oder Google und auch Regierungen sammeln Daten von Privatpersonen, die sie auch dazu verwenden, menschliche Verhaltensweisen algorithmisch zu bestimmen und damit vorherzusehen. Am Ende der Spielerfahrung wird durch ein personalisiertes Datenblatt das individuelle psychologische Profil offengelegt, sodass man sich auch mit anderen SpielerInnen vergleichen kann.
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Bonjour, interactive lab
Passage (2013)
Daten definieren unser heutiges, digitales Leben und umfassen sowohl unsere Vergangenheit als auch die Gegenwart. Beim Surfen im Internet hinterlassen wie Spuren, Internet-Browser zeichnen Protokolle auf, die von uns besuchten Seiten werden gespeichert. Dabei bildet unser Verlauf unsere Vorlieben, Gedanken und Gefühle ab, erstellt ein digitales Bild von uns. Gleichwohl wird dieses Bild mit jedem neuen Besuch im Internet erneuert und überschrieben. »Passage« ist eine Installation, die unsere temporären Datenspuren und das daraus resultierende digitale Bild sowohl visuell veranschaulicht als auch mit Klängen akzentuiert. Ein digitaler Scanner konvertiert die Körper der BetrachterInnen in ein 3-D-Pixel-Bild, das nur für Sekunden in einem dunklen Raum aufleuchtet und das sich mit akustischer Untermalung schnell in seine Pixelbestandteile auflöst. Ähnlich den Spuren im Internet wird auch dieses 3-D-Pixel-Bild von jedem/r neuer/n BesucherIn mit Informationen gespeist ehe es zerfällt und eine leere Leinwand in Erwartung neuer Daten hinterlässt.
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Natalie Bookchin
Zorns Lemma 2 (2007)
Das Remake von Hollis Framptons strukturalistischem Film »Zorns Lemma« (1970) kombiniert Dutzende Screenshots von Sicherheitskameravideos zu einem zusammenhängenden Werk. Den Anfang bilden Aufnahmen von Buchstaben, die in alphabetischer Reihenfolge die Struktur der nachfolgenden Bilder vorgeben. In jedem nachfolgenden Durchgang des Alphabets wird jeweils ein Buchstabe durch ein Webcam-Bild ersetzt. Dieser Vorgang wiederholt sich, bis alle Buchstaben des Alphabets ersetzt wurden. Anders als die auschließlich in den USA entstandenen Aufnahmen von Schrift im öffentlichen Raum, die Frampton in »Zorns Lemma« verwendet, nutzt Bookchin Aufnahmen aus der ganzen Welt – sie fügt dem ursprünglichen Konzept des Werkes damit die Beschäftigung mit dem Thema Überwachung in einer globalisierten Welt hinzu.
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Dineo Seshee Bopape
Notes on a Project of the Monument for the Anthropocene (2014/2015)
Die Arbeit von Dineo Seshee Bopape bringt ins Bewusstsein, dass die zeitgenössische Medienkultur erst durch geologische Ressourcen möglich wird. Die Materialität der Infosphäre beginnt im Untergrund, mit Mineralien, Edel- und Schwermetallen, die für die Herstellung der Rechner, Tablets oder Smartphones notwendig sind. Die Geografie der Gewinnung dieser Rohstoffe, die zumeist in China, dem Kongo, Brasilien, Russland und Südafrika gefördert werden, spiegelt die neokoloniale Logik hinter der Technik wider. Bopape widmet sich den geopolitischen Aspekten der Medien in Südafrika. In ihrer Arbeit verbindet die Künstlerin die im Internet gefundenen Bilder von Gold, Platin und Kupfer sowie ihrer Nebenerzeugnisse mit Bildern der Minenarbeiter – dem unterirdischen Proletariat. Der hohe Preis für den technischen Fortschritt des Westens wird von den Bergarbeitern bezahlt. Die Förderung der Metalle erfolgt sehr oft unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen ohne Sicherheitsmaßnahmen oder Schutzkleidung. Zudem ist diese mit Umsiedlungen von Tausenden von Menschen verbunden und bringt menschliches Leid und nicht selten schwere Umweltschäden mit sich. Wie sehr die Menschen unter den Arbeitsbedingungen leiden beweist ein Vorfall, der sich 2012 in der südafrikanischen Nkaneng-Siedlung ereignete, als 34 Minenarbeiter, die friedlich für ein Existenzminimum demonstrierten, von der Polizei brutal erschossen wurden.
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David Bowen
tele-present water (2011)
Die von David Bowen konstruierte bewegliche Rasterstruktur wird von einer ausgefeilten Mechanik gesteuert, die an der Decke des Ausstellungsraumes angebracht ist. Die wellenartige Bewegung gibt exakt den Seegang inmitten des Pazifiks wieder: Eine Boje sendet Daten über die Wasserhöhe und Intensität der Bewegungen an die National Oceanic and Atmospheric Administration in den USA. Diese Daten nutzt Bowen für sein Projekt, der Wellengang wird auf die Größe der Rauminstallation skaliert, bleibt ansonsten aber unverändert. Der Zugang zu detaillierten Informationen über einen weit entfernten Ort demonstriert allerdings die Ausschnitthaftigkeit unseres Wissens: Die genaue geografische Position der Boje ist unbekannt, seit sie von ihrem Ausgangspunkt abgedriftet ist. Die Relevanz von tele-present water besteht also darin, den BetrachterInnen zu verdeutlichen, dass die Infosphäre löchrig und unser Wissen zwar detailliert, aber immer partikulär ist.
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James Bridle
The New Aesthetic (6. Mai 2011 – fortlaufend)
Alles begann am 6. Mai 2011 mit einem Post unter dem Titel »The New Aesthetic« [Die neue Ästhetik]. In diesem Beitrag präsentierte James Bridle Bilder und Links, die er über Jahre hinweg gesammelt hatte und die er nun erstmals in einem Blog zusammenstellte. Die ersten Posts wie »Guardian gallery of agricultural landscapes from space« [Galerie von aus dem Weltraum aufgenommenen Agrarlandschaften aus dem Guardian], »Tracking iPhone locations« [Tracking von iPhone-Standorten] oder »CV Dazzle (Camouflage from face detection)« [Lebenslaufblender (Tarnung gegen Gesichtserkennung)] gaben bereits Aufschluss über Bridles Intention: In einer modernen Netzwerkkultur stellt der Akt der Auswahl und der Organisation des online verfügbaren, disparaten Materials eine Möglichkeit dar, persönliche Ansichten zu diesem Material auszudrücken und eine kritische Haltung gegenüber „der Politik und der Politisierung vernetzter Technologien“ zu zeigen, wie Bridle es selbst ausdrückt. Für ihn dreht sich der Begriff »neue Ästhetik« nicht um Schönheit. Er dient vielmehr der Erforschung der visuellen Inhalte des Webs sowie der zahlreichen heterogenen Realitäten, die sich in ihnen spiegeln. Dadurch offenbart das Web sein Potenzial als Zugangshilfe zu einander überlappenden Realitäten sowie als Instrument zur Wissensproduktion.
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Bureau d’Études
The 8th Sphere (2010)
Bureau d’Études ist eine konzeptuell arbeitende Künstlergruppe, die sich hauptsächlich mit dem Medium der Karte auseinandersetzt. So kartografieren die KünstlerInnen die Macht-, Besitz- und Interessenverhältnisse in Politik, Wirtschaft und sozialem Bereich auf globalen und lokalen Ebenen. Die herrschende symbolische Ordnung wird dadurch offengelegt. Mit »The 8th Sphere« untersuchen sie die Kommunikationswege und Machtverhältnisse in der Welt des kognitiven Kapitalismus, die durch die Wissensgesellschaft und die Vorherrschaft der Computertechnik geprägt ist. Die Gesamtheit aller Maschinen auf der Welt entspricht dem von Karl Marx formulierten »general intellect«, einem die Erde umspannenden, gigantischen Netzwerk, das sich wie ein Nervensystem aus Synapsen zusammensetzt. Die Wissensproduktion in diesem sozio-technischen System wird erst durch Übertragung der Information mittels elektromagnetischer Wellen, Software- und Hardware-Herstellung ermöglicht. Die Technik schafft eine Struktur abstrakter Dominanz, welche die soziale und biopolitische Ordnung bestimmt. Erscheint der thematisierte Übergang von einem organischen zum technischen Intellekt, von Mensch zu Maschine, als Prognose einer dystopischen Zukunft oder hält das Bureau d’Études nur den Status quo fest?
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Emma Charles
Fragments on Machines (2013)
Der Titel des Videos bezieht sich auf das sog. »Maschinenfragment« aus Karl Marx’ Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (1857/1858), in dem das Materielle und Immaterielle in Verbindung zur menschlichen Arbeit gebracht und die abstrakte Dominanz durch das Wissen umrissen werden. Das Interesse der Künstlerin gilt den im Stil des Art déco erbauten Hochhäusern im New Yorker Finanzviertel, deren Architektur heute als Symbol des Kapitalismus des 19. und frühen 20. Jhs gelesen wird. Diese Gebäude beherbergen inzwischen die Infrastruktur für das Internet: Server, Großrechner, Kilometer an Glasfaserkabel. Mit ihrem Video taucht Emma Charles in das Herz des postindustriellen Finanzkapitalismus ein. Die Nähe zwischen Serverräumen und Firmen sowie Hochfrequenzhandel betreibenden Banken hat einen Grund: Je näher sich diese Firmen an der Internetinfrastruktur befinden, desto schneller erreichen ihre Algorithmen das Ziel. In den drei Kapiteln des Videos, Metropolis, Servers und Flood, bewegt man sich aus dem Inneren dieser Struktur nach draußen, in die Stadt und weiter in die Natur, die in ihrer Unberechenbarkeit sowohl Technik als auch Maschinen stets bedroht.
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Sterling Crispin
Data Masks (2013–heute)
Sterling Crispins Masken beruhen auf einer Software für biometrische Gesichtserkennung, bei der Algorithmen mithilfe von geometrischer Anordnung und Oberflächentextur bei frontaler Ansicht ein menschliches Gesicht identifizieren. Crispin verfolgt jedoch den umgekehrten Weg einer erneuten Visualisierung des Entvisualisierten: Was für uns als eine verpixelte, unmenschliche Geistermaske erscheint, ist das, was ein Computer für ein menschliches Gesicht hält. Diese Schatten eines Gesichts sind unheimliche Porträts, die allerdings keine bestimmte Person abbilden, sondern zeigen, wie Maschinen Menschen wahrnehmen, sie auf allgemeine Erkennungsmerkmale reduzieren und dabei von ihrem eigentlichen Aussehen abstrahieren. Crispin setzt sich mit dem auseinander, was die menschliche Existenz ausmacht, und untersucht die Grenzen zwischen Individualität und allgemeiner Erkennbarkeit. Zugleich beleuchtet er mit seinen Masken aber auch die unsichtbaren Prozesse der Überwachungsmechanismen und wirft die Frage auf, wie mittels Überwachungstechnik Menschlichkeit wahrgenommen, ja vielleicht sogar verändert wird und inwiefern Mensch und Maschine interagieren. Dabei geht es Crispin nicht darum, die Gesichtserkennung zu verurteilen, sondern vielmehr, ihre Strukturen transparent zu machen.
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Tyler Coburn
Waste Management (2013–2015)
»Waste Management« befasst sich mit dem globalen Problem des Elektroschrotts, indem es sich mit der Arbeit einer konkreten Recyclingfirma aus Taiwan auseinandersetzt. Das Land ist berühmt dafür, dass es mehr Elektronik pro Kopf produziert als jede anderen Nation der Erde. Daher überrascht es kaum, dass Taiwan an der Spitze der Bestrebungen steht, Technologien zur Verarbeitung von E-Schrott zu entwickeln. Zu den Materialien, die durch das Recycling gewonnen werden, gehören Ziegelsteine, Gold-Kaliumzyanit, Edelmetalle und sogar Kunst. Waste Management hat daher die Form einer Installation aus »gefundenen Kunstwerken«: zwei gegossene Steine, die aus dem Glas von Röhrenmonitoren und Glasfaserpulver aus gedruckten Platinen bestehen. Diese Objekte werden von zwei Geschichten begleitet: Die eine erzählt auf Englisch von der Zirkulation und abschließenden Transformation einer Bildröhre in dieses Steinkunstwerk; die andere rezitiert auf Chinesisch Joseph Addisons Geschichte »The Adventures of a Shilling« (1710) [Die Abenteuer eines Schillings], die damit endet, dass ein Künstler den Protagonisten in eines seiner Werke einschmilzt. Beide Geschichten stammen aus dem Genre der »It-Narratives«, einem Untergenre der britischen Literatur des 18. Jahrhunderts, bei dem Geld oder Waren von ihrer Zirkulation durch die damals entstehende globale Wirtschaft erzählen.
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Stéphane Degoutin & Gwenola Wagon
World Brain (2015)
»World Brain« ist ein Internetprojekt und ein non-linearer Essay-Film, der die BetrachterInnen auf eine Reise durch bestehende Architektur der Infosphäre und die Internet-Folklore mitnimmt. Der dokumentarische Strang des Films basiert auf Found Footage: Youtube- Videos, Interviews, pseudowissenschaftlichen und wissenschaftlichen Berichten, Firmen-Trailern etc., die die physische und virtuelle Infrastruktur des Internets – Rechenzentren, Satelliten, Unterseekabel, Logistik, Prinzipien des Hochfrequenzhandels, Wissensverteilung – auf denen der kognitive Kapitalismus aufbaut, offenlegen Der narrative Strang untersucht Utopien, die seit Jahrhunderten den kollektiven Intellekt vorhersagen: animalischer Magnetismus und Galvanismus, Äther, Vernetzung der Natur, Noosphäre, Verbindung der Menschheit zu einem gemeinsamen Netzwerk. Einige von diesen teilweise etwas esoterisch anmutenden Theorien waren unter anderem Teil der Gegenkultur der 1960er-Jahre und der frühen kybernetischen Gesellschaft. Das Internet kann als eine erste Realisation eines solchen kollektiven Nervensystems oder Netzwerks interpretiert werden. So verbinden sich unerwartet eine Gruppe von WissenschaftlerInnen, die anhand von Wikipedia und »The Whole Earth«-Kataloge im Wald zu überleben versucht, Internet-Kätzchen, der Haifisch, der ein Unterseekabel anknabbert, telepathische Ratten, DIY-Geräte und vieles mehr zu einem Gefüge, aus dem das »World Brain« entsteht.
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Aleksandra Domanović
From yu to me (2013–2014)
In »From yu to me« untersucht Aleksandra Domanović mithilfe von Interviews, Archiv- und Fernsehmaterial die Geschichte des Internets in Jugoslawien. Diese spiegelt die historischen Umbrüche, in die das Land nach 1989 geraten ist: Kurz nach der Einführung der Top-Level-Domain .yu begann der Zerfall des Landes. Aus .yu entstanden mehrere Domains unabhängiger Staaten, bis .yu endlich selbst Geschichte wurde und im Museum landete. Im Fokus des Films stehen zwei Computerwissenschaftlerinnen, die die Domain zu unterschiedlichen Zeiten administrierten: Borka Jerman-Blažič and Mirjana Tasić. Durch ihre Narration wird die ausgeblendete Seite des Netzwerks deutlich – seine materielle Beschaffenheit und Abhängigkeit vom Arbeitseinsatz konkreter Menschen, die, abgesehen von Bürokratie und Kriegen, die Funktion des Netzwerks aufrecht erhielten. Als unheimliches Zeichen dieser Beziehung Mensch–Maschine wird die sogenannte »Belgrader Hand« (eine an der Universität von Belgrad in den 1960er-Jahren entwickelte Roboterhand) als Archivmaterial und als computergenerierte Animation während des Films mehrmals eingeblendet.
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Erweiterte Sinnesorgane
Sammlung von Wearables
Bereits Sigmund Freud beschrieb den Mensch als ein schwaches Lebewesen: Erst durch kulturelle Leistungen konnte er sich von der Natur befreien und seine nicht vollkommenen Fähigkeiten durch Werkzeuge und Medien kompensieren. Wearables (der Begriff leitet sich von Wearable Computing ab) wie Datenbrillen, Smartwatches, Aktivitätstracker, Broschen, Implantate oder elektronische Kleidung werden von uns bald völlig selbstverständlich getragen und können im Kontext der von Freud und Marshall McLuhan entwickelten Prothesentheorie gesehen werden, die die Medien als Extensionen des Menschen betrachtet (McLuhan, »Understanding Media: The Extensions of Man«, 1964). Der Mensch von heute ist ein motorisch und sensorisch erweiterter Mensch. Dank Technik ist heute die Miniaturisierung von Geräten möglich, die einem helfen können, ohne dass man vorher mit einem Interface interagiert. Gleichzeitig wirft die neue Technologie Fragen bezüglich der Privatssphäre und des Datenschutzes auf. Gehören Wearables und die durch sie erfassten Daten dem Eigentümer, dem Hersteller, dem Träger oder der Cloud?
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Dennis Del Favero mit Elwira Titan, Peter Weibel
Vogesen (2015)
Anstatt weiterhin die Atmosphäre als vom Menschen getrenntes Naturspektakel wahrzunehmen, betont »Vogesen« die wechselseitigen Einflüsse im Kreislauf des Klimas. Im Zeitalter des Anthropozäns müssen sich gerade KünstlerInnen und TheoretikerInnen auf eine vielschichtige Konzeptualisierung dieser Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt einlassen, um die evidenten Umwälzungen adäquat fassen und ästhetisch umsetzen zu können. Dabei verschmelzen die Begriffe Atmosphäre, Biosphäre und Infosphäre – das globale Wetter, die unmittelbare Umgebung und die vernetzte Wissensgemeinschaft befruchten und manipulieren sich gegenseitig, überlappen sich und zeigen sich in jeder Hinsicht vom anderen abhängig und beeinflussbar. Das beispielhafte Projekt »Vogesen« visualisiert die komplexen Wechselwirkungen anhand nie gesehener Satellitenaufnahmen, die über zwei ganze Jahre die Wolkenbildung der Erde aufgezeichnet haben und über eine intuitive Steuerung von den BesucherInnen erkundet werden können.
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Thomas Feuerstein
Manifesto (2009)
Eine überlebensgroße, in Stein gehauene Hand bewegt sich auf scheinbar magische Weise über eine Wand und hinterlässt dabei eine Holzkohlespur. Die genaue Gestalt dieser unendlichen Linie ergibt sich aus den Handelsdaten großer Rückversicherer wie etwa »Lloyd’s of London«, die von einem Computerserver, der die Form eines Containerschiffs hat, an die Hand übertragen werden. Im Gegensatz zur üblichen Darstellung von Bulle-und-Bär-Tabellen sind diese Daten jedoch einer neuen Topologie unterworfen. Die Ereignisse am Markt schaffen beständig neue Überschreibungen, die dicker und dicker werden und sich als dunkle Wolken manifestieren: Vernetzte Systeme und globale Kapitalströme werden zu meteorologischen Kategorien, die die Wirtschaft in einen Wetterbericht unserer Zivilisation verwandeln. Die Hand provoziert natürlich Assoziationen zu Adam Smiths unsichtbarer Hand, doch diese Hand scheint abgeschlagen zu sein, amputiert von Körper und Hirn, und sie wird von etwas gelenkt, was eher wie eine okkulte Tafel zur Beschwörung höherer Mächte wirkt. Das Containerschiff (DAIMONIA) fungiert als Server, ist aber zugleich auch eine Allegorie auf die Verteilung von Waren und Wohlstand sowie ein Engel des Schicksals, ein Bote oder Dämon der Wirtschaft. Wo im antiken Griechenland der Daimon als Zuweiser und Verteiler des Schicksals galt, bestimmt heute die Wirtschaft über unser Schicksal, wenn sie Waren, Ressourcen, Energie und Informationen zuweist und verteilt. Da das Schicksal eine risikobehaftete Variable ist, verlangt es seit jeher einen angemessenen Umgang, ungeachtet dessen, ob dabei nun rituelle Opferungen, Fonds zur Streuung von Risiken oder Versicherungsfirmen zum Einsatz gelangen. Der Gedanke einer Versicherung als kollektive Übernahme von Risiken stellt eine Säkularisierung der Magie und des Glaubens an den Kapitalismus dar; der Name Lloyd’s rückt eine historische Tiefe in den Vordergrund, denn dieses Unternehmen versicherte in der Vergangenheit Expeditionen in die Kolonien. Entsprechend seiner künstlerischen Methode der «Konzeptnarration« hängt Thomas Feuerstein großformatige Zeichnungen und Plakate auf, die ironisch das Wirtschaftliche und Systemische mit dem Surrealistischen der Écriture automatique oder dem Sagenumwobenen des Acheiropoieton verbinden, einem Kunstwerk, das nicht von Menschenhand geschaffen wurde. Wirtschaft und Kapitalismus, Glaube und Schicksal, Kybernetik und Klassenkampf gehen überraschende Verbindungen ein und werden zu einer räumlichen Geschichte, auf die unterschiedliche Hände Einfluss zeigen: Die Hand (lat. manus) wird zum Manifest.
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Fraunhofer IOSB (Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB) Karlsruhe
Sensorbox (2015)
Fraunhofer ist die größte Forschungsorganisation für anwendungsorientierte zukunftsorientierte Forschung in Europa. Das Fraunhofer IOSB speziell forscht und entwickelt Lösungen in den unterschiedlichsten Themenfeldern, angefangen bei der Netzintegration von Elektrofahrzeugen über Forschungsprojekte in der Industrie 4.0 bis hin zur Sicherheit auf See. Durch den Einzug der Informationstechnologie in alle Lebensbereiche spielen die Schnittstellen zur Interaktion zwischen BenutzerIn und Computer eine immer zunehmende Rolle. Mit der »Sensorbox« wird der aktuelle wissenschaftliche und technische Stand kamerabasierter Mensch-Maschine-Interaktion ausgestellt. AusstellungsbesucherInnen werden von einer Kamera erfasst, und die erhobenen Informationen in einer technischen Darstellung visualisiert. Das Tracken von Personen, die Analyse der Körperhaltung, die Gestenerkennung sowie das Erkennen der Kopfdrehung und der Aufmerksamkeit gehören zum Spektrum der Möglichkeiten der »Sensorbox«. Das Alleinstellungsmerkmal dieser Technologie ist ihre Möglichkeit, eine verteilte Installation zu bilden, sodass durch mehrere Sensorboxen größere Bereiche abgedeckt werden könnten. Anhand der Anwendungsfelder der »Sensorbox« lassen sich exemplarisch Herausforderungen aufzeigen, vor denen uns Technologien und Wissenschaft stellen: Die Anwendung der »Sensorbox« wäre sowohl im Bereich der Konsumentenforschung, der Sicherheit als auch zum Beispiel in Bereich der Überwachung möglich. Das Dilemma der »guten« oder »schlechten« Anwendung lässt sich nicht einfach lösen, sondern muss in der Gesellschaft erst diskutiert und verhandelt werden.