Jonathan Harvey
Biografie
Jonathan Harvey (*1939 in Sutton Coldfield, Warwickshire) gilt als einer der handwerklich fundiertesten, produktivsten und einfallsreichsten Komponisten elektronischer Musik unserer Zeit. Harveys Werke orientieren sich an der Entwicklung der Neuen Musik und reflektieren Aspekte christlichen, theosophischen und buddhistischen Gedankenguts. Die frühen Stücke setzen sich mit der Zwölftontechnik Schönbergs, Weberns und Milton Babbits ebenso auseinander wie mit der Ausarbeitung ihrer Verbindung zu mittelalterlichen Gesangsformen bei Peter Maxwell Davies. Kern seines Musikkonzepts ist die Vorstellung des einzelnen Klangs als resonierendem Klangkomplex, dessen Resonanz sowohl eine spektrale Analyse ermöglicht als auch als geistiger Ausdruck verstanden werden kann. Eine andere Besonderheit von Harveys Werken, insbesondere den späten, ist die Interaktion und Austauschbarkeit von elektronischen und traditionellen Live-Klängen.
Harvey war Chorknabe am St. Michael´s College in Tenbury und studierte Musik am St. John´s College in Cambridge. Er promovierte an den Universitäten Glasgow und Cambridge und studierte bei Erwin Stein und Hans Keller, wo er schon früh mit der Schule Arnold Schönbergs Bekanntschaft machte. Er war Harkness-Stipendiat in Princeton von 1959 bis 1970.
Auf Einladung von Pierre Boulez arbeitete Harvey zu Beginn der 1980er Jahre am IRCAM in Paris; dort entstanden bislang sieben seiner Werke, zwei davon für das Ensemble Intercontemporain, darunter das gefeierte Tonbandstück »Mortuos Plango«; weiterhin »Vivos Voco«, »Bhakti« für Ensemble und Elektronik und »Advaya« für Cello, Live-Elektronik und aufgezeichnete Klänge.
Harvey komponierte zahlreiche Tonband- und Instrumentalwerke für unterschiedliche Genres und Besetzungen. So schrieb er unter anderem Werke für Orchester (»Tranquil Abiding«, »White as Jasmine« und »Madonna of Winter and Spring«), Kammermusik (vier Streichquartette, »Soleil Noir/Chitra« und »Death of Light, Light of Death«), Werke für Soloinstrumente, zahlreiche Chorwerke, die großangelegte Kantate »Mothers shall not Cry« (2000) für das BBC Proms Milleniumkonzert sowie die Opern »Passion and Resurrection« (1981), »Inquest of Love« (1993) und »Wagner Dream« (2007).
Harvey war Professor an der Sussex University von 1977 bis 1993, wo er derzeit eine Honorarprofessur innehat, und an der Stanford University (USA) von 1995 bis 2000; er war Gastprofessor am Imperial College in London, ist Honory Fellow am St. John’s College in Cambridge und Composer-in-Association des BBC Scottish Symphony Orchestra.
Die Universitäten von Southampton, Sussex und Bristol haben Harvey die Ehrendoktorwürde verliehen. Er ist Mitglied der Academia Europaea und erhielt 1993 den angesehenen Britten Award für Komposition.
Zu den häufigsten Interpreten seiner Werke zählen unter anderen das Ensemble Modern, Ensemble Intercontemporain, ASKO Ensemble, Nieuw Ensemble of Amsterdam, Nouvelle Ensemble Moderne Montréal, das Ictus Ensemble Brüssel und die Sinfonia 21. Harveys Kompositionen kommen regelmäßig auf den großen internationalen Festivals für zeitgenössische Musik zur Aufführung. Circa 80 Aufnahmen sind von ihm mittlerweile auf CD erhältlich.