Zum Tod von Paul Panhuysen - Für Paul
VON MATTHIAS KAMPMANN
Als ich im vergangenen September Gast bei den Panhuysens im Apollohuis in Eindhoven sein durfte, war Paul schon ein schwer kranker Mann. Und ich kann meinem Dank keinen angemessenen Ausdruck verleihen, dafür dass er mir trotz aller Beschwernis die große Freude bereitete, ihn kennen lernen zu dürfen. Wir hatten auf diese Weise nämlich unsere ganze eigene, private Gelegenheit zu dem, wie ich denke, notwendigen Gespräch, das unsere Zusammenarbeit noch brauchte. In unseren Tagen läuft eine Menge schlicht über die Kabel. Manches kann auch darin bleiben, denn die Sachzwänge sind wie sie sind: Die Kassen der Institute werden immer klammer und die Zeit der Akteure immer knapper. Paul Panhuysen wollte ich allerdings kennen lernen, denn mir imponierte bereits dieser Lebenslauf: ein engagierter, politisch operierend und ins Nachbarschaftliche seiner Wohnumstände hinein wirkender Künstler, in dessen künstlerischen Spielen und Werk zudem die lockere und leichtfüßige Freiheit des Wandelns zwischen den Grenzen der Klangkunst und der bildenden Kunst Gestalt annahm und zu Gehör kam. Das ist sehr bedeutsam. Gerade in der unmittelbaren Gegenwart, in der die Freiheit des Einzelnen von vielerlei absurden Fundamentalismen gefährdet wird.
Dass ich diesen Menschen und seine wunderbare Frau Hélène kennen lernen musste, nachdem ich es für eine Kardinalaufgabe hielt, sein kleines Juwel, den in den Fesseln proprietärer Software gefangenen »Pattern Primer One« für ArtOnYourScreen und damit für uns alle zu befreien, erschien mir als geradezu notwendige Gewissheit. Umso glücklicher, dass dieser Besuch zustande kommen konnte. Denn er bestätigte das Bild, das ich von ihm gezeichnet hatte. Ein besonnen sprechender, aber engagierter Mensch war er. Gern habe ich zugehört, wenn er über die Entstehung seiner Faszination an den Zahlen und die Vorstellung einer Verbildlichung ihrer Verhältnisse sprach. Das erweiterte meinen Blick auf die Konkrete Kunst. Was für eine Kombination: dem Fluxus verwandt, er war 1968 Mitgründer des Macunias Ensembles, das bis heute existiert, vertrat er eine improvisierende, minimalistische Position. Aufgrund der spielerischen Anverwandlung und Untersuchung künstlerischer Phänomene – in der deutschen Wikipedia wird er als Komponist, der er sicher auch war, tituliert – wird es nun Zeit, sich mit diesem Erbe auseinander zu setzen. Denn Panhuysen hat eine Menge Entdeckungen, deren Erscheinungen erst viel später auf die Bühne traten, scheinbar nebenbei gemacht: die dreidimensionale Zeichnung etwa. In Mainz realisierte er 1982 »Die große Violine«. Das war seine erste Installation mit langen Saiten, die er als Elemente von Zeichnungen im Raum auffasste.
Wohl kaum jemand ist soweit gegangen wie er, zusammen mit seiner Frau beispielsweise ein Spiel zu entwerfen, an dessen Ende ein immer wieder neues Kunstwerk entstehen kann. Sein »Calcuco«-Projekt besteht aus Karten und Mustertafeln. Schulen können die ausleihen, denn sie helfen im Mathematikunterricht. Doch das ist natürlich nicht alles. Wie viele verschiedene Wunderwerke, Experimente, Designs es zu entdecken gilt! Wenn ich einen persönlichen Wunsch äußern darf, so erhoffe ich mir, dass sein Lebenswerk in einer öffentlichen Sammlung einen würdigen Platz findet, denn dort gehört es hin. Paul war ein Mensch der Gemeinschaft und des Austausches, und ein öffentliches Museum ist genau der richtige Ort, um diesem, von dem Gedanken des öffentlichen Miteinanders getragenen Werks Rechnung zu tragen. Das belegen nicht nur seine interaktiven Arbeiten, sondern auch die Erschaffung einer freien Begegnungsstätte für die Interaktion vollkommen unterschiedlicher künstlerischer Arbeit, des »Het Apollohuis«, das von 1980 bis 2001 Europas zentraler öffentlicher Raum für Grenzgänger zwischen Musik, Neuen Medien und Kunst war. Alles Schaffen von Paul orientierte sich am menschlichen Maß und am Miteinander. Dass er die Freiheit und das Freisein so hoch schätzte, verdeutlicht nicht nur seine geistige Verwandtschaft mit der Aufklärung und dem Humanismus. Er ist uns damit allen ein Vorbild. Ich verneige mich.