The Hub
Biografie
Ein ›Hub‹ ist ein kleines Gerät, das Computer zu einem lokalen Netzwerk verbindet. 1986 benannte sich eine Gruppe von sechs Musikern nach diesem unscheinbaren Stück Technik. Da war die Existenz des Internets nur Experten ein Begriff, und die Bedeutung, die es einmal bekommen würde, konnten nicht einmal jene absehen. Die sechs Musiker aus der San Francisco Bay Area witterten ein kreatives Potential in der Idee, ihre Musikinstrumente miteinander sprechen zu lassen.
John Bischoff, Chris Brown, Tim Perkis, Mark Trayle, Phil Stone und Scot Gresham-Lancaster nahmen Impulse aus ihrem Umfeld auf: das Selbstverständnis des Komponisten als einer, der seine Instrumente selbst baut, lehrte sie die Musik von Harry Partch und John Cage; das Verständnis von Elektronik nicht nur als Werkzeug, sondern als musikalischer Akteur, der Irritationen und ungesuchte Funde beschert, fanden sie bei David Tudor und Gordon Mumma; die Widerspenstigkeit ihrer Klänge und Strukturen ist Ausdruck einer anti-konsumistischen Gegenkultur.
The Hub war aber gar nicht der Anfang. Was The Hub mit den ersten regulären Desktop-Computern machte, hatte zuvor die League of Automatic Music Composers mit selbstgelöteten Platinen und rudimentären Vorläufern des PCs gemacht, etwa dem KIM-1 im Jahr 1976. Jim Horton infizierte Rich Gold und die späteren Hub-Mit-Gründer Tim Perkis und John Bischoff mit seiner Faszination für ein ›Silicon Orchestra‹, das ein Eigenleben entwickelt und mit dem Menschen in Verbindung tritt. Tische voller selbstgebauter und heikel verdrahteter Elektronik waren für die League nicht ihr Instrument, sondern der künstliche, nichtmenschliche Teil der ›Band‹. The Hub transformierte diesen größtenteils noch analogen Ansatz ins digitale Zeitalter.
Wie eingefahren eine Kunst ist, wieviel sie übersieht und wie viel größer ihr Universum eigentlich sein könnte, das erkennt man erst, wenn jemand kommt, der es von Grund auf anders denkt. The Hub tut das zum Beispiel mit einem Stück wie ›Minister of Pitch‹. Während in unserem Musikverständnis jeder Musiker ein bestimmtes Instrument, z.B. die Basslinie, die Hauptmelodie, das Schlagzeug spielt, ist bei diesem Stück jeder Musiker für einen Aspekt aller Instrumente zuständig: einer für die Klangfarben, einer für das Timing, und ein anderer, eben der ›Minister of Pitch‹, für die Tonhöhe. Dass solche Musik ungewöhnlich klingt, versteht sich von selbst.
Musik hat aber nicht nur eine ästhetische Dimension, sondern immer auch eine politische, gesellschaftliche. The Hub verwendet zwar Regeln, aber keine übergeordneten Partituren. Die Hierarchie zwischen den Musikern ist flach, oder Macht wird weitergereicht, wie in einer Demokratie. Der französische Ökonom und Philosoph Jacques Attali bescheinigt der Musik, diejenige Kunstform zu sein, die am schnellsten neue soziale und politische Modelle erproben kann, lange bevor sie aufwändig in der Gesellschaft implementieren werden.
The Hub tun dies, wenn sie Systeme bauen, die keine übergeordneten Kontrollstrukturen besitzen und in denen sich Macht verteilt — ganz entgegen der Tendenz der europäischen Kunstmusik, in der sich die Macht von Komponist und Dirigent über die Jahrhunderte immer mehr ausweitete. Was passiert in der Musik, wenn wir solche anderen Regeln einführen? Was geschieht, wenn wir das Netz immer enger an unseren Körper, unsere Wahrnehmung und unsere Gesellschaft ankoppeln? Die Musik von The Hub ist seit über 30 Jahren ein Testbed für derartige musikalische und gesellschaftliche Fragen.
– Golo Föllmer