Veranstaltung
Vertrautes Terrain (Eröffnung)
Aktuelle Kunst in und über Deutschland. Collectors' Choice
Mi, 21.05.2008 19:00 Uhr CEST
Warum sollte man sich im Jahre 2008 aus kultureller Perspektive mit Deutschland auseinandersetzen? Neben der Tatsache, dass es in letzter Zeit überhaupt wieder möglich zu sein scheint, die Frage nach einer Nation zu stellen, gibt es Gründe, die eine Beschäftigung mit unserem Land heute notwendig machen: Seien es die Diskussionen um die deutsche Innen- und wieder selbstbewusste Außenpolitik, die sich an Begriffen und Themen wie Leitkultur, Integration, Terrorismus, Föderalismusreform, Einwanderungsgesetz und Abschiebung, die gewachsene deutsche Rolle in der UNO, die parlamentarische Auseinandersetzung um die Einsätze der Bundeswehr im Kosovo, Irak und Afghanistan bis hin zum Umgang mit deutschen Vertriebenen, Mahnmalen und Orten wie dem Berliner Holocaustdenkmal, dem Berliner Stadtschloss oder Rosa-Luxemburg-Platz festmachen. Sei es ein neuer, ungewohnter Patriotismus, vornehmlich ausgelöst durch die Euphorie der Fußball-WM 2006. Sei es ein versteckter, angepasster Nationalismus, der sich gesellschaftlich integriert zeigt und sich dazu teilweise seiner Symbole entledigt. Seien es die Probleme im Umgang mit Ausstellungen, die deutsche Geschichte aufarbeiten, wie die »Wehrmachtsausstellung« (1995–1999/2001–2004), die »RAF-Ausstellung« (2005) oder zuletzt »Zug der Erinnerung« (2008), welche die Geschichte der europäischen Deportationen thematisiert. Sei es der ungeheure Erfolg der deutschen Kunst, vor allem der Malerei, im Ausland. Sei es der Rückbau staatlicher Kulturförderung beziehungsweise Umbau kultureller föderaler Förderstrukturen zu Gunsten eines zentral orientierten Masterplans.
All diese Debatten und Ereignisse werfen uns zwangsläufig immer wieder auf die eigene Herkunft zurück. Wie sonst wären die zahlreichen Publikationen von In- wie Ausländern zu Geschichte, Eigenheiten und Lage der deutschen Nation in den letzten Jahren zu erklären? Das neue Selbstverständnis scheint eine neue Selbstverständlichkeit zu sein, was nicht immer so war. Gehen wir zurück in das Jahr 1984. „»Kein Ort. Nirgends« heißt eine Erzählung von Christa Wolf, die uns [Karoline von] Günderrode und Heinrich von Kleist als von einem übermenschlichen Verlangen erfüllte Sucher zeigt. Das Buch ist zeitlich im frühen 19. Jahrhundert angesiedelt, zugleich aber beschreibt es uns das Bild einer sehr aktuellen Situation. Christa Wolf schreibt in dem Bewusstsein, dass der Mensch verloren ist in einem Labyrinth ohne Zentrum, dass er nirgends zu Haus und der Traum der Utopie nicht länger möglich ist. Es gibt nur eine A-topie: »Kein Ort. Nirgends«.“1 Anlass zu dieser Einschätzung gab die Ausstellung »Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf« (1984), die eine ganze Generation prägte. Auf 14.000 qm wurde ein imaginäres Zentrum beschrieben, wie der Name der Ausstellung andeutet, ein mit Joseph Beuys intoniertes Stadtmarketing neben dem Kunst- und Messestandort Köln. Jedoch war die Ausstellung eher ein im Zeitgeist der Postmoderne angelegtes Labyrinth, betonte geradezu das Fehlen eines Zentrums.
Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, steht das wiedervereinte Deutschland unter anderen Vorzeichen, scheint im deutschen Kunstleben ein Zentrum zu existieren: die alte neue Hauptstadt Berlin. Doch wie relevant ist dieses Berlin wirklich, geht es doch um mehr, wie Ingo Niermann in seinem Buch »Umbauland. Zehn deutsche Visionen«2 andeutet. Er provoziert mit zehn »einfachen« Entwürfen zur radikalen Reform Deutschlands, von einer neuen Grammatik bis hin zur nuklearen Aufrüstung.
Kein Ort. Nirgends. Das Terrain, das wir suchen, ist tatsächlich kein Ort, zwangsläufig nicht an Orte gebunden. Viel eher interessieren uns die Deutschlandbilder, Stereotypen, Atmosphären, Stimmungen sowie der Umgang mit ihnen. Die Idee dieser Ausstellung wurde geboren aus der zu Anfang geschilderten Stimmungslage, der Tatsache, dass sich bisher kaum eine Kunstausstellung einer thematischen Auseinandersetzung mit Deutschland gestellt hat, und dem aktuellen Erfolg deutscher Kunst, einem Etikett mit Ausstellungstradition im In- und Ausland, das letztendlich Fiktion ist. Trotz alter Mülheimer Freiheit, den Neuen Wilden, der Neuen Deutschen Welle, dem neuen deutschen Film und der Literatur, der Düsseldorfer Becher- und Neuer Leipziger Schule, trotz eines massiven Berlin-Sogs wissen wir: Mit der Realität künstlerischer Praxis hat nationale Festschreibung wenig zu tun. Dennoch stellen länderspezifische Fragen auf der Suche nach Geschichte, Genealogien oder Tendenzen eine Konstante in der Kunstgeschichte und im Kunstbetrieb dar und die Überblicksausstellung ist ihr gängiges Format. Mit kulturpolitischer oder kuratorischer Rhetorik – häufig vom Kunstmarkt unterstützt – wird so versucht, via Herkunftsbefund nationale Repräsentation abzuleiten. Besonders sichtbar wurde das im prominenten englischen Fall der Young British Art, wo eine Bewegung erfolgreich konstruiert und vermarktet wurde. Ähnliche Ansätze und Erfolge von »Kunst aus Russland« (Soz-Art, 1980er-Jahre) oder »Kunst aus China« (Ende der 1990er-Jahre) zeigen, dass es sich dabei um ein immer wiederkehrendes Phänomen handelt.
Angefangen bei »Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf« bis zu »Made in Germany« im Jahr 2007 in Hannover (von der Presse in »Made in Berlin« umgetauft) haben zahlreiche andere Präsentationen, die wir in der Ausstellung dokumentarisch aufzeigen, die Frage nach der Herkunft und dem Produktionsstandort Deutschland behandelt. Jedoch wird in der Ausstellungspraxis aufgrund der deutschen Geschichte eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Land oftmals als heikel und problematisch angesehen. Aber gerade die Analyse und Beschäftigung mit dem scheinbar vertrauten wie auch fremden Terrain »Deutschland« ist in einer Situation selbstverständlicher, länderübergreifender Kommunikation und von Auflösungstendenzen bedrohter, nationalstaatlicher Entscheidungsmacht in Europa interessant und wichtig. Denn einerseits beobachten wir, dass sich nationale Unterschiede zu nivellieren scheinen, andererseits wird lokalen Kulissen und Besonderheiten eine neue Bedeutung zugesprochen.
Vor diesem Hintergrund versteht sich das Projekt Vertrautes Terrain als differenzierte Auseinandersetzung mit Arbeiten von internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die Deutschland auf sehr unterschiedliche Weise als Geschichts-, Kunst- und Sozialraum reflektieren. Deutschland ist zur großen Projektionsfläche für inhaltliche und formale Anliegen, Symptome und Virulenzen in der Kunst vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftspolitischen oder sozio-kulturellen Gegenwart geworden. Fragen nach Geschichte, Erinnerung, kultureller Verortung, Identität, biografischen Bezügen, Strukturen, Symbolen, Formbezügen, Klischees und Repräsentationspolitik bilden die Basis des Projekts: Was interessiert Künstler und Formgeber unterschiedlicher Nationalitäten heute an Deutschland? Entsteht aus der »Identität im Zweifel« (Hans Belting) eine wie auch immer geartete thematische Brisanz oder Qualität in künstlerischen Arbeiten? Ist hieraus letztlich Erfolg ableitbar?
»Vertrautes Terrain – Aktuelle Kunst in und über Deutschland« versteht sich als Prozess und aktuelle Momentaufnahme mit rund hundert deutschen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern und insgesamt circa zweihundert Beteiligten aus unterschiedlichen visuellen und kulturellen Bereichen. Trotz dieser Vielzahl an Beteiligten versteht sich das Projekt nicht als Leistungsschau, sondern versucht aus subjektiver Perspektive mit unterschiedlichen Positionen in kulturellen Feldern der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Im Zentrum steht die Suche nach einem fremden wie vertrauten Deutschlandbild in der Kunst und in ihren Grenzbereichen. Es geht um die Konfrontation mit Stereotypen genauso wie um ein Entdecken eines eigenen, persönlichen Deutschlandbildes.
In drei Bereichen, deren Funktion nachfolgend erläutert wird, nähern wir uns der aktuellen Kunst in/über Deutschland: namentlich die Kernausstellung »Vertrautes Terrain«, der Resonanzraum im Erdgeschoss sowie die Sammlerausstellung »Collectors’ Choice« im zweiten Obergeschoss des ZKM | Museum für Neue Kunst.
Die Kernausstellung im Erdgeschoss lässt sich in drei inhaltliche Bereiche einteilen. Erstens wird auf die historische Dimension deutscher Geschichte eingegangen, vorrangig mit Bezügen zum Zweiten Weltkrieg, dem Deutschen Herbst, dem geteilten Land, dem Potsdamer Platz bis zum Berliner Bankenskandal, der Siemens-Firmengeschichte, der Rolle der Denkmäler und der Printmedien. Zweitens präsentieren sich Arbeiten in einem formalen Bezugsrahmen, der sich an Stilen wie Romantik, Expressionismus und Personen wie Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Gerhard Richter, Joseph Beuys, Rainer Werner Fassbinder oder Hannah Arendt festmacht. Drittens stehen individuelle Beschreibungen des gesellschaftlichen, medialen Konfliktfeldes Deutschland im Mittelpunkt: Themen wie Migration, Arbeit, Wirtschaft, Symbole und spezifische Orte.
Um diese Fragestellungen nicht auf die Bildende Kunst zu begrenzen, sondern auch mögliche Parallelentwicklungen und Referenzen auf anderen kulturellen Feldern und Arbeitsgebieten wie Literatur, Musik, Theater, Tanz, Design, Mode oder Film aufzuzeigen, bildet das Herz der Ausstellung ein gemeinsam mit dem Künstler Heiner Blum konzipierter Resonanzraum. Die räumliche Umsetzung der Metapher Resonanzraum ist eine temporäre Ausstellungsfläche, die zugleich Veranstaltungsort und transdisziplinärer Arbeits- und Rechercheplatz ist. Mit dem Programm und einem vierwöchigen Kulissenwechsel soll dieser Raum eine eigene Dynamik entwickeln, den Horizont der Ausstellung erweitern und dazu einladen, den Blick auf Kunst in und über Deutschland zu öffnen. Uns, wie auch den Besuchern, möchten wir damit eine Laborsituation zur Verfügung stellen, die wesentlich dazu beiträgt, gemeinsame und sich durchaus wandelnde Vorstellungen von der Bedeutung des Begriffs Deutschland in der Kultur zu schaffen.
Zusätzlich wird die Ausstellung um ein zweites Stockwerk erweitert. »Collectors’ Choice« entstand in enger Kooperation mit drei der mit dem ZKM | Museum für Neue Kunst kooperierenden Sammlungen. Die Sammlungen Boros, Grässlin und Landesbank Baden-Württemberg sind gekennzeichnet durch sehr unterschiedliche Ansätze und Konzepte, gleichwohl ein Interessenschwerpunkt in der deutschen Kunstszene seit den 1980er-Jahren auszumachen ist. Die besondere Karlsruher Situation eines Sammlermuseums erlaubte die ideale Ergänzung zum oben beschriebenen Konzept: Die Sammler ermöglichen eine eigene, und nicht weniger scharfe Sicht auf deutsche Themen und die deutsche Kunst.
Das gesamte Projekt mit rund dreihundert Beteiligten lädt Sie ein, das von uns entworfene Terrain sowohl als ein fremdes wie auch vertrautes zu entdecken. In zahlreichen Veranstaltungen möchten wir über die Ausstellung hinaus einen weiterführenden Dialog anstoßen.
Gregor Jansen & Thomas Thiel
1 Paul Groot: »Kein Ort. Nirgends. Die Ausstellung von hier aus«, in: »Wolkenkratzer« Art Journal, no. 5, 1984, p. 100. »The novel Kein Ort. Nirgends« by Christa Wolf (English—»No Place on Earth«, 1982) was published in 1979 by both Luchterhand Verlag Darmstadt in West Germany and Berlin's Aufbau-Verlag in East Germany.
2 Ingo Niermann: »Umbauland. Zehn deutsche Visionen«, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 2006.
All diese Debatten und Ereignisse werfen uns zwangsläufig immer wieder auf die eigene Herkunft zurück. Wie sonst wären die zahlreichen Publikationen von In- wie Ausländern zu Geschichte, Eigenheiten und Lage der deutschen Nation in den letzten Jahren zu erklären? Das neue Selbstverständnis scheint eine neue Selbstverständlichkeit zu sein, was nicht immer so war. Gehen wir zurück in das Jahr 1984. „»Kein Ort. Nirgends« heißt eine Erzählung von Christa Wolf, die uns [Karoline von] Günderrode und Heinrich von Kleist als von einem übermenschlichen Verlangen erfüllte Sucher zeigt. Das Buch ist zeitlich im frühen 19. Jahrhundert angesiedelt, zugleich aber beschreibt es uns das Bild einer sehr aktuellen Situation. Christa Wolf schreibt in dem Bewusstsein, dass der Mensch verloren ist in einem Labyrinth ohne Zentrum, dass er nirgends zu Haus und der Traum der Utopie nicht länger möglich ist. Es gibt nur eine A-topie: »Kein Ort. Nirgends«.“1 Anlass zu dieser Einschätzung gab die Ausstellung »Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf« (1984), die eine ganze Generation prägte. Auf 14.000 qm wurde ein imaginäres Zentrum beschrieben, wie der Name der Ausstellung andeutet, ein mit Joseph Beuys intoniertes Stadtmarketing neben dem Kunst- und Messestandort Köln. Jedoch war die Ausstellung eher ein im Zeitgeist der Postmoderne angelegtes Labyrinth, betonte geradezu das Fehlen eines Zentrums.
Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, steht das wiedervereinte Deutschland unter anderen Vorzeichen, scheint im deutschen Kunstleben ein Zentrum zu existieren: die alte neue Hauptstadt Berlin. Doch wie relevant ist dieses Berlin wirklich, geht es doch um mehr, wie Ingo Niermann in seinem Buch »Umbauland. Zehn deutsche Visionen«2 andeutet. Er provoziert mit zehn »einfachen« Entwürfen zur radikalen Reform Deutschlands, von einer neuen Grammatik bis hin zur nuklearen Aufrüstung.
Kein Ort. Nirgends. Das Terrain, das wir suchen, ist tatsächlich kein Ort, zwangsläufig nicht an Orte gebunden. Viel eher interessieren uns die Deutschlandbilder, Stereotypen, Atmosphären, Stimmungen sowie der Umgang mit ihnen. Die Idee dieser Ausstellung wurde geboren aus der zu Anfang geschilderten Stimmungslage, der Tatsache, dass sich bisher kaum eine Kunstausstellung einer thematischen Auseinandersetzung mit Deutschland gestellt hat, und dem aktuellen Erfolg deutscher Kunst, einem Etikett mit Ausstellungstradition im In- und Ausland, das letztendlich Fiktion ist. Trotz alter Mülheimer Freiheit, den Neuen Wilden, der Neuen Deutschen Welle, dem neuen deutschen Film und der Literatur, der Düsseldorfer Becher- und Neuer Leipziger Schule, trotz eines massiven Berlin-Sogs wissen wir: Mit der Realität künstlerischer Praxis hat nationale Festschreibung wenig zu tun. Dennoch stellen länderspezifische Fragen auf der Suche nach Geschichte, Genealogien oder Tendenzen eine Konstante in der Kunstgeschichte und im Kunstbetrieb dar und die Überblicksausstellung ist ihr gängiges Format. Mit kulturpolitischer oder kuratorischer Rhetorik – häufig vom Kunstmarkt unterstützt – wird so versucht, via Herkunftsbefund nationale Repräsentation abzuleiten. Besonders sichtbar wurde das im prominenten englischen Fall der Young British Art, wo eine Bewegung erfolgreich konstruiert und vermarktet wurde. Ähnliche Ansätze und Erfolge von »Kunst aus Russland« (Soz-Art, 1980er-Jahre) oder »Kunst aus China« (Ende der 1990er-Jahre) zeigen, dass es sich dabei um ein immer wiederkehrendes Phänomen handelt.
Angefangen bei »Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf« bis zu »Made in Germany« im Jahr 2007 in Hannover (von der Presse in »Made in Berlin« umgetauft) haben zahlreiche andere Präsentationen, die wir in der Ausstellung dokumentarisch aufzeigen, die Frage nach der Herkunft und dem Produktionsstandort Deutschland behandelt. Jedoch wird in der Ausstellungspraxis aufgrund der deutschen Geschichte eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Land oftmals als heikel und problematisch angesehen. Aber gerade die Analyse und Beschäftigung mit dem scheinbar vertrauten wie auch fremden Terrain »Deutschland« ist in einer Situation selbstverständlicher, länderübergreifender Kommunikation und von Auflösungstendenzen bedrohter, nationalstaatlicher Entscheidungsmacht in Europa interessant und wichtig. Denn einerseits beobachten wir, dass sich nationale Unterschiede zu nivellieren scheinen, andererseits wird lokalen Kulissen und Besonderheiten eine neue Bedeutung zugesprochen.
Vor diesem Hintergrund versteht sich das Projekt Vertrautes Terrain als differenzierte Auseinandersetzung mit Arbeiten von internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die Deutschland auf sehr unterschiedliche Weise als Geschichts-, Kunst- und Sozialraum reflektieren. Deutschland ist zur großen Projektionsfläche für inhaltliche und formale Anliegen, Symptome und Virulenzen in der Kunst vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftspolitischen oder sozio-kulturellen Gegenwart geworden. Fragen nach Geschichte, Erinnerung, kultureller Verortung, Identität, biografischen Bezügen, Strukturen, Symbolen, Formbezügen, Klischees und Repräsentationspolitik bilden die Basis des Projekts: Was interessiert Künstler und Formgeber unterschiedlicher Nationalitäten heute an Deutschland? Entsteht aus der »Identität im Zweifel« (Hans Belting) eine wie auch immer geartete thematische Brisanz oder Qualität in künstlerischen Arbeiten? Ist hieraus letztlich Erfolg ableitbar?
»Vertrautes Terrain – Aktuelle Kunst in und über Deutschland« versteht sich als Prozess und aktuelle Momentaufnahme mit rund hundert deutschen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern und insgesamt circa zweihundert Beteiligten aus unterschiedlichen visuellen und kulturellen Bereichen. Trotz dieser Vielzahl an Beteiligten versteht sich das Projekt nicht als Leistungsschau, sondern versucht aus subjektiver Perspektive mit unterschiedlichen Positionen in kulturellen Feldern der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Im Zentrum steht die Suche nach einem fremden wie vertrauten Deutschlandbild in der Kunst und in ihren Grenzbereichen. Es geht um die Konfrontation mit Stereotypen genauso wie um ein Entdecken eines eigenen, persönlichen Deutschlandbildes.
In drei Bereichen, deren Funktion nachfolgend erläutert wird, nähern wir uns der aktuellen Kunst in/über Deutschland: namentlich die Kernausstellung »Vertrautes Terrain«, der Resonanzraum im Erdgeschoss sowie die Sammlerausstellung »Collectors’ Choice« im zweiten Obergeschoss des ZKM | Museum für Neue Kunst.
Die Kernausstellung im Erdgeschoss lässt sich in drei inhaltliche Bereiche einteilen. Erstens wird auf die historische Dimension deutscher Geschichte eingegangen, vorrangig mit Bezügen zum Zweiten Weltkrieg, dem Deutschen Herbst, dem geteilten Land, dem Potsdamer Platz bis zum Berliner Bankenskandal, der Siemens-Firmengeschichte, der Rolle der Denkmäler und der Printmedien. Zweitens präsentieren sich Arbeiten in einem formalen Bezugsrahmen, der sich an Stilen wie Romantik, Expressionismus und Personen wie Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Gerhard Richter, Joseph Beuys, Rainer Werner Fassbinder oder Hannah Arendt festmacht. Drittens stehen individuelle Beschreibungen des gesellschaftlichen, medialen Konfliktfeldes Deutschland im Mittelpunkt: Themen wie Migration, Arbeit, Wirtschaft, Symbole und spezifische Orte.
Um diese Fragestellungen nicht auf die Bildende Kunst zu begrenzen, sondern auch mögliche Parallelentwicklungen und Referenzen auf anderen kulturellen Feldern und Arbeitsgebieten wie Literatur, Musik, Theater, Tanz, Design, Mode oder Film aufzuzeigen, bildet das Herz der Ausstellung ein gemeinsam mit dem Künstler Heiner Blum konzipierter Resonanzraum. Die räumliche Umsetzung der Metapher Resonanzraum ist eine temporäre Ausstellungsfläche, die zugleich Veranstaltungsort und transdisziplinärer Arbeits- und Rechercheplatz ist. Mit dem Programm und einem vierwöchigen Kulissenwechsel soll dieser Raum eine eigene Dynamik entwickeln, den Horizont der Ausstellung erweitern und dazu einladen, den Blick auf Kunst in und über Deutschland zu öffnen. Uns, wie auch den Besuchern, möchten wir damit eine Laborsituation zur Verfügung stellen, die wesentlich dazu beiträgt, gemeinsame und sich durchaus wandelnde Vorstellungen von der Bedeutung des Begriffs Deutschland in der Kultur zu schaffen.
Zusätzlich wird die Ausstellung um ein zweites Stockwerk erweitert. »Collectors’ Choice« entstand in enger Kooperation mit drei der mit dem ZKM | Museum für Neue Kunst kooperierenden Sammlungen. Die Sammlungen Boros, Grässlin und Landesbank Baden-Württemberg sind gekennzeichnet durch sehr unterschiedliche Ansätze und Konzepte, gleichwohl ein Interessenschwerpunkt in der deutschen Kunstszene seit den 1980er-Jahren auszumachen ist. Die besondere Karlsruher Situation eines Sammlermuseums erlaubte die ideale Ergänzung zum oben beschriebenen Konzept: Die Sammler ermöglichen eine eigene, und nicht weniger scharfe Sicht auf deutsche Themen und die deutsche Kunst.
Das gesamte Projekt mit rund dreihundert Beteiligten lädt Sie ein, das von uns entworfene Terrain sowohl als ein fremdes wie auch vertrautes zu entdecken. In zahlreichen Veranstaltungen möchten wir über die Ausstellung hinaus einen weiterführenden Dialog anstoßen.
Gregor Jansen & Thomas Thiel
1 Paul Groot: »Kein Ort. Nirgends. Die Ausstellung von hier aus«, in: »Wolkenkratzer« Art Journal, no. 5, 1984, p. 100. »The novel Kein Ort. Nirgends« by Christa Wolf (English—»No Place on Earth«, 1982) was published in 1979 by both Luchterhand Verlag Darmstadt in West Germany and Berlin's Aufbau-Verlag in East Germany.
2 Ingo Niermann: »Umbauland. Zehn deutsche Visionen«, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 2006.
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