All das Wissen
Camille Henrot performt in ihrer Videoarbeit »Grosse Fatigue« die Enstehungsgeschichte des Universums und versammelt mystische und wissenschaftliche Erklärungen zu einem hypnotischen Dialog.
VON TABEA ROSSOL
Ihr auf der Venedig Biennale 2013 mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnetes Werk ist Teil der Ausstellung »Exo-Evolution« (31.10.2015–28.02.2016).
Ein gewohntes Bild, nur überdimensional groß: der Desktophintergrund. Ihn ziert das Apple-Hintergrundbild »Galaxie« und drei Dateien, »History of the Universe«, »History of the Universe 2« und »Grosse Fatigue«. Es öffnet sich »Grosse Fatigue«.
Verwebung von Mythen und Wissen
Lockende Trommelrhytmen ziehen den Zuschauer hinein in die Schöpfungsgeschichte. Oder vielmehr: die Geschichten. Camille Henrot lässt unterschiedlichste Videosequenzen vor dem Bildschirmhintergrund erscheinen. Einen Wikipedia-Artikel, dann Bilder von riesigen Archiven, von gestapelten ausgestopften Vögeln, dann eine Frau unter der Dusche. Mal öffnen sich zwei Fenster, dann drei, sie überlappen, widersprechen und ergänzen sich, um sich schnell wieder zu schließen.
Durch die Bilderflut führt eine männliche Stimme. Sie spricht schnell und mit immenser Dringlichkeit einen Text, den Henrot gemeinsam mit Jacob Bromberg verfasste. Er verwebt religiöse Schöpfungsmythen aus Hinduismus, Judentum und Islam, mit den hermetischen Traditionen der Freimaurer oder der Kabbala. Verschlingt die mündlichen Überlieferungen der Navajo und der Inuit mit Wissenschaftssystemen und Mythen aus der ganzen Welt.
Grenzenlosigkeit des Wissens
Sanft zersprengt Henrot das Wissen als Universalprinzip. Sie setzt dabei den Mythos und die Wissenschaft nicht als Gegensätze, sondern als sich ergänzende, sich aufeinander beziehende Systeme. Wissenschaftliche Erklärungen seien meist aus Mythen erwachsen und von diesen informiert (Henrot).
Die Künstlerin collagiert dieses Wissen und schafft dabei eine neue Struktur, die sich aber nicht auf eine bestimmte Logik festlegen lässt. Vielmehr zeigt Henrot die Grenzenlosigkeit des Wissens, dessen unendliche Masse. Ein Portrait des Erfinders der Atombombe Oppenheimer erinnert an die unschönen Ausformungen des Unendlichen.