William Kentridge: »More Sweetly Play the Dance«
Eine Installation im ZKM_Kubus im Rahmen der Ausstellung »Double Vision. Albrecht Dürer & William Kentridge« der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.
VON CHRISTIANE RIEDEL
Im Subraum des ZKM_Kubus installiert, darf die große Projektion »More Sweetly Play the Dance« von William Kentridge durchaus als eine Art »nächtlicher Satellit« der Ausstellung »Double Vision. Albrecht Dürer & William Kentridge« der Kunsthalle Karlsruhe betrachtet werden. Mit Einbruch der Dunkelheit wird sie an der Außenfassade des Kubus sichtbar, sodass sich die Ausstellung sowohl räumlich als auch zeitlich und medial bis zum ZKM hin erweitert. Den Besucher erwartet eine großformatige, 22 Meter lange und 6 Meter hohe, mehrkanalige audiovisuelle Projektion, die von der Außenfassade des blauen Kubus, über den ZKM_Vorplatz, weit in den öffentlichen Raum der Stadt ausstrahlt.
William Kentridge | More Sweetly Play the Dance
Die Medienarbeit von William Kentridge entstand auf Einladung und als Koproduktion des Eye-Filmmuseums Amsterdam und der »Lichtsicht« Projektions-Biennale Bad Rothenfelde im Jahr 2015.
Damit ist auch schon der Bogen nach Karlsruhe geschlagen, denn ZKM-Vorstand Peter Weibel war der künstlerische Leiter dieser Projektions-Biennale, zu der er William Kentridge zu einer Projektion eingeladen hat. Peter Weibel kennt den Künstler seit mehr als 20 Jahren. Er hat ihn erstmals in Europa ausgestellt: 1996 in Graz, im Rahmen der Ausstellung »Inklusion-Exklusion. Versuch einer neuen Kartographie der Kunst im Zeitalter von Postkolonialismus und globaler Migration«.
Aufgrund dieser sehr persönlichen Beziehung willigte Kentridge ein, das Werk für Bad Rothenfelde zu produzieren und anschließend – nach Stationen im Gropius-Bau Berlin zu den Berliner Festwochen sowie in Amsterdam, London und New York – gratis in Karlsruhe zu zeigen.
Über das Werk
Der Titel »More Sweetly Play the Dance« ist eine Anspielung auf Paul Celans berühmte Todesfuge und der Eingangssentenz „Spiel süßer den Tod – der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Das 15-minütige Medienkunstwerk von William Kentridge zeigt eine Prozession schattenhafter Figuren, die von einer südafrikanischen Brass-Band musikalisch begleitet wird. Man sieht Tänzer, Musikanten, Träger von Masken heiliger und antiker Persönlichkeiten, Müllsammler, Minenarbeiter, Geistliche, Kranke am Tropf, Leichensammler, Skelette, Politiker am Rednerpult, Sekretärinnen an Schreibmaschinen, Fahnenträger und Umrisse von Puppen.
Die tanzenden Skelette erinnern an einen mittelalterlichen Totentanz - den »danse macabre«, eine Erfindung des Mittelalters, mit der allegorisch dem Tod Tribut gezollt, ihm aber auch getrotzt wurde. Der Menschenzug und die große rote Flagge verweisen auf politische Demonstrationen. Es werden Assoziationen zu religiösen Prozessionen, fröhlichen Paraden, aber auch zu Flüchtlingsströmen geweckt.
Das Motiv der »Prozession«
Dennoch stellt Kentridge keine konkrete Prozession dar, sondern vielmehr das Motiv der Prozession an sich. Dieses Motiv spielt in seinem Oeuvre eine zentrale Rolle. Es taucht erstmals 1989/90 auf, zu einer Zeit, in der sich das Apartheid-System in Südafrika aufzulösen begann und gleichzeitig Kentridge seine Animationsfilme entwickelt. Kentridge nutzt das historische und vieldeutige Motiv der Prozession als Bild der Geschichte – als Symbol für politische und historische Veränderung und für den Prozess gesellschaftlicher Transformation.
Die Figuren, die Kentridge in den Mittelpunkt der Prozession rückt, sind Minenarbeiter mit ihren Spaten, Müllsammler auf ihren Wagen in den Straßen von Johannesburg, Ebola- oder AIDS-Kranke – allesamt Ausgegrenzte der Gesellschaft.
Bei Kentridge werden diese Menschen als Träger der Kultur und Geschichte dargestellt, die übergroße Scherenschnitte von Heiligen und antiken Persönlichkeiten vor sich her tragen – also von anerkannten Größen und Helden der Geschichte.
Ästhetisch wirkt die Projektion wie ein bewegter Holzschnitt – fast ganz in schwarz-weiß gehalten. Die Silhouetten der Objekte hat der Künstler mit wenigen Tuschestrichen von Hand gezeichnet, anschließend auf große Papierbahnen projiziert und dabei vergrößert, ausgerissen, ausgeschnitten und auf Pappe montiert.
Durch die Beleuchtung der Prozession scheinen auch die realen Performer und Schauspieler wie Schattenfiguren – Farbe wird nur an wenigen, markanten Stellen eingesetzt, wie zum Beispiel bei der roten Fahne.
Das Motiv »Schattentheater«
Der Künstler greift damit auf das historische Medium des Schattentheaters zurück, das im 18. Jahrhundert aus Asien nach Europa kam und auch für die Filmkunst von großer Bedeutung war. Darüber hinaus verweist William Kentridge selbst auf die Parallele zu Platons Höhlengleichnis, in dem Personen hinter einem durchsichtigen Schirm marschieren und hölzerne Objekte vor sich her tragen, die dann dem Publikum als viel größere Schatten erscheinen.
Oft überlagert Kentridge in seinen Arbeiten verschiedene Medien wie Zeichnung, Scherenschnitt, Schattenspiel, Tanz, Theater, Musik, Collage, Film und Projektion. Und seit einiger Zeit setzt er neben klassischen Zeichen-, Fotografie- und Filmtechniken auch Computeranimationen ein. Im Fall von »More Sweetly Play the Dance« fand ein Programm Anwendung, das aus der Computerspieletechnik kommt und Bewegungen erkennen kann. Daraus ist beispielsweise der Totentanz der animierten Skelette entstanden.
Der Betrachter als Teil der Prozession
Insgesamt schafft der Künstler damit eine komplexe Schichtung von Medien wie auch Bedeutungen, die einen durch Epochen und Metaphern der Geschichte leiten.
Das Motiv der Prozession muss der Betrachter in gewisser Weise selbst nachvollziehen. Angesichts der enormen Breite des panoramischen Bildes muss er sich bewegen und immer wieder neue Standpunkte wählen. Es ist nicht möglich, alles auf einmal zu sehen – zumal die Projektion bzw. Prozession am ZKM um eine Ecke herum läuft. Das Betrachten der Arbeit von William Kentridge hat also auch eine zeitliche Dimension und fordert aktive Wahrnehmung – der Betrachter wird zum Teil der Prozession.
Über den Künstler
William Kentridge, 1955 in Johannesburg geboren, wuchs in Südafrika unter dem Apartheid-Regime auf. Er stammt aus einer litauisch-jüdischen Familie, seine Eltern verteidigten als Rechtsanwälte viele Bürgerrechtler und Apartheid-Gegner. Von diesem politischen und sozialen Engagement seiner Familie ist auch sein Werk bis heute geprägt.
Zunächst hatte William Kentridge Politik und Afrikanistik in Johannesburg studiert, entschied sich dann aber für ein Kunststudium in Paris, um mit den Mitteln der Kunst für Gerechtigkeit zu kämpfen. Inzwischen werden seine Arbeiten in den bedeutendsten Museen der Welt gesammelt und ausgestellt – und er war mehrfach zur Biennale in Venedig und zur documenta in Kassel eingeladen. Auch das ZKM hat kontinuierlich große Arbeiten von ihm gezeigt.
Die aktuelle Präsentation von »More Sweetly Play the Dance« am ZKM hat jedoch außerhalb des Kunstkontextes eine ganz besondere, ortsspezifische Note und Bedeutungsebene, die auch den Künstler sehr berührte: die Prozession bewegt sich nicht nur im öffentlichen Raum, nicht nur auf dem Vorplatz des ZKM und im Schatten der Bundesanwaltschaft – sie bewegt sich vor allem auf dem »Platz der Menschenrechte«, der sich seit 2015 vor dem Eingang des ZKM befindet.
Über die Autorin
Christiane Riedel ist gebürtige Karlsruherin und studierte Kunstgeschichte, Architekturgeschichte und Literaturwissenschaften. Seit 2002 ist sie Geschäftsführerin des ZKM | Zentrum für Kunst und Medien.
William Kentridge: More Sweetly Play the Dance
Fr, 09.09.2016 – So, 08.01.2017
Täglich mit Einbruch der Dunkelheit bis Mitternacht
ZKM_Kubus
Eintritt frei
Kategorie
News Category
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