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Veranstaltung

Jean Baudrillard und die Künste (Symposium)

Eine Hommage zu seinem 75. Geburtstag

Fr, 16.07. – So, 18.07.2004

© ZKM | Karlsruhe

In Anwesenheit von Jean Baudrillard

Am 27. Juli 2004 wird Jean Baudrillard 75 Jahre alt. Grund genug, ihm eine Hommage zu widmen.
Baudrillard ist einer der produktivsten und meist übersetzten Autoren des gegenwärtigen Frankreichs. In Französisch liegen bislang 34 Titel vor, in deutscher Übersetzung mittlerweile 24, und dies, obwohl er erst relativ spät, 1968 mit fast 40 Jahren, sein erstes Buch »Le système des objets« [dt. »Das System der Dinge«, Wien 1974] publizierte. Zuvor war er Lehrer gewesen, hatte Brechts »Flüchtlingsgespräche« und Peter Weiß' »Verfolgung und Ermordung Jean Pauls Marats...« übersetzt, 1962 in Sartres »Les Temps modernes« einen langen, immer noch sehr lesenswerten Text über Uwe Johnson veröffentlicht, und seit 1966 lehrte er als Assistent von Henri Levèbvre an der Universität Paris-Nanterre Soziologie, wo der in Talkshows unvermeidliche Daniel Cohn-Bendit sein Schüler war.

Jean Baudrillard ist keiner Richtung oder Schule zuzuordnen, er ist weder Strukturalist noch Prä- oder Poststrukturalist, weder Fürsprecher der Moderne noch der Postmoderne. Er ist ein Einzelgänger, ein Solitär. Seinen Werdegang beschreibt er selbst, wie folgt – ich zitiere aus dem zweiten Band der »Cool Memories«, der bislang nicht auf Deutsch vorliegt:

„Pataphysiker mit zwanzig Jahren –
Situationist mit dreißig –
Utopist mit vierzig –
transversal mit fünfzig –
viral und metaleptisch mit sechzig –
das ist meine Geschichte“

Dennoch könnte man sagen, dass ein einziges Thema Baudrillards Denken seit jeher okkupiert: das Objekt. „Alles hat vom Objekt seinen Ausgang genommen“, sagt er. In einer ersten Phase, beginnend mit »Le système des objets « [s. o.] und endend in seinem dicksten Buch »L'échange symbolique et la mort«, 1976, [dt. »Der symbolische Tausch und der Tod«, München 1982], gibt es noch so etwas wie eine Dialektik von Subjekt oder Objekt und das Drama der Entfremdung. In einer Gesellschaft des Spektakels wird alles zu Zeichen, die nicht mehr auf Reales verweisen, sondern nur noch gegeneinander austauschbar sind, das nennt er Simulation. In der Politik zum Beispiel geht es nur noch scheinbar um Meinungsbildung und Repräsentation, in Wirklichkeit darum, eine schweigende Mehrheit qua Meinungsumfrage, Tests, Einschaltquoten zu regieren.

In seinem ersten Buch versucht Baudrillard dieser Gesellschaft des Spektakels mit einer kritischen Begrifflichkeit beizukommen, die Marcel Mauss, Roger Caillois und George Bataille entlehnt ist: Gabe, Verausgabung, Potlach, verfemter Teil, symbolischer Tausch. Diese Logik des Opfers nennt er heute einen anthropologischen Traum, den Traum von einem Status des Objekts jenseits von Gebrauch und Tausch, jenseits von Wert und Äquivalenz. Es ging ihm also um eine Überschreitung der Kategorien der politischen Ökonomie, um eine Erweiterung der marxistischen Kritik des Kapitals durch eine radikale anthropologische Kritik. Ziel ist eine Subversion der Codes und die Wiederherstellung einer symbolischen Ordnung, die auf Reversibilität beruht, „zuallererst auf der Umkehrung der Opposition von Leben und Tod, die den Anschluss des Todes zur Folge hat“, aber gleiches gilt vom Subjekt und Objekt, männlich und weiblich, Signifikant und Signifikat. Das also zu Baudrillard als Situationist und Utopist.

In der zweiten Phase, die 1979 mit dem Buch »De la séduction« [dt. »Von der Verführung«, München 1992] beginnt, fällt dieser Bezug auf den symbolischen Tausch weg. Er schreibt: „Das Objekt selbst ergreift die Initiative der Umkehrbarkeit, ergreift die Initiative zu verführen und zu verleiten. Bestimmend wird eine andere Verkettung, nicht mehr die der symbolischen Ordnung [die Verkettung eines Subjekts und eines Diskurses ist], sondern die rein willkürliche einer Spielregel. Das Spiel der Welt ist das Spiel der Umkehrbarkeit. Im Mittelpunkt der Welt steht nicht mehr das Begehren des Subjekts, sondern das Schicksal des Objekts.“
»Les stratégies fatales«, 1983, [dt. »Die fatalen Strategien«, München 1991], »La Transparence du Mal«, 1990, [dt. »Die Transparenz des Bösen«, Berlin 1992], »L´illusion de la fin ou La grève des événements«, 1992, [dt. »Die Illusion des Endes«, Berlin 1994], »Le crime parfait«, 1995, [dt. »Das perfekte Verbrechen«, München 1996], »L´Echange impossible«, 1999, [dt. »Der unmögliche Tausch«, Berlin 2000] – das sind die Titel der nächsten Bücher, und Fatalität, Transparenz, Illusion deren zentrale Begriffe.

Wir befinden uns in den 1980er-Jahren und Baudrillard gehört [mit Virilio und de Certeau] zur Redaktion der Zeitschrift »Traverses«, wo seine wichtigsten Texte erscheinen.
„Die Theorie kann sich nicht damit zufrieden geben zu beschreiben und zu analysieren, sie muß im Universum, das sie beschreibt, selber zum Ereignis werden. Um dies zu erreichen, muß sie sich auf dieselbe Logik einlassen und diese beschleunigen.“ »L’autre par lui même«, Paris 1987 [ dt. »Das Andere selbst«, Wien 1987, S. 77]
„Die Theorie kann lediglich der Welt die Steigerung abtrotzen: das Objektivere, das Ironischere, das noch Verführerischere, das Realere oder das Irrealere...“ (ebd. S. 79)

Jean Baudrillard schrieb bereits 1975 seinen Text »Kool Killer ou l´insurrection par les signes« [dt. »Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen«, Berlin 1978], zu einer Zeit, als hierzulande noch kaum Graffitis an den Wänden zu sehen waren. Und während heute die Vernetzung, die Datenautobahnen als Utopie verkauft werden, analysiert er die Folgen. Er untersucht das Heute, indem er extreme Phänomene seziert: Börsenkrach, islamischen Fundamentalismus, Aids, Terrorismus, Geiselnahme, Politiker-Korruption, Pornographie und Fettleibigkeit. Baudrillard entwickelt eine eigene Begrifflichkeit, um diesen Phänomenen beizukommen: Simulakra, Präzession, Ekstase, Metastase, Obszönität, Viralität, Transpolitik, Transökonomie, Promiskuität, Exorzismus, Hysterese.

»Baudrillard und die Künste« – das meint hier im Gegensatz zu den vorangegangenen Veranstaltungen über Foucault und Deleuze nicht nur, dass Jean Baudrillard sich kritisch oder interpretierend mit den Künsten befasst, sondern dass er selbst in einem Künstler-Werden begriffen ist.
Man könnte ihn einen Künstlerphilosophen nennen und ihn neben Nietzsche, Adorno, Klossowski, Roland Barthes, Peter Weibel u. a. stellen.
Und so wollen wir zur Feier seines 75. Geburtstages nicht nur den Denker Jean Baudrillard treffen, sondern auch den Künstler: Eine Ausstellung seiner Fotografien, seiner Aphorismen, eine Lesung aus seinen Büchern.

Peter Gente, im Mai 2004

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Symposium

 

Samstag, 17. Juli 2004

Die Referenten sind eingeladen über das Werk von Jean Baudrillard zu sprechen ::

10.00-10.45: Rüdiger Schmidt-Grépály
10.45-11.30: François L'Yvonnet
11.30-11.45: - Pause -
11.45-12.30: Michaela Ott
12.30-13.15: Marc Guillaume
13.15-14.15: - Pause -
14.15-15.00: Christoph Wulf [Video]
15.00-15.45: Florian Rötzer [Video]
15.45-16.00: - Pause -
16.00-16.45: Douglas Kellner [Video]
16.45-17.30: Colin Fournier [Video]
17.30-18.15: Michel Régis [Video]
18.15-19.00: - Pause -
19.00: Podiumsdiskussion [Video]
zum Thema »Baudrillard und die Kunst« mit Jean Baudrillard (Paris), Peter Weibel (Karlsruhe), Gerhard Johann Lischka (Bern), Christoph Blase (Karlsruhe), Sylvère Lotringer (New York)
21.00-22.00: Multimediavortrag, Chris Kraus
 

Sonntag, 18. Juli 2004

10.00-11.00: Lesung: Gisela Strähle »Das radikale Denken«
11.00-11.45: Caroline Heinrich [Video]
11.45-12.30: Aurel Schmidt [Video]
12.30-13.15: Mikhail Ryklin [Video]
13.15-14.15: - Pause -
14.15-15.00: Henri Pierre Jeudy
15.00-15.45: Mario Perniola [Video]
15.45-16.00: - Pause -
16.00-16.45: Sylvère Lotringer [Video]
16.45-17.30: Michael Wetzel [Video]
17.30-18:15: Alan Shapiro

Vorträge in Originalsprache, eine deutsche Übersetzung liegt vor.
 

TeilnehmerInnen


Colin Fournier ist Professor für Architektur und Stadtplanung an der Bartlett School of Architecture in London. Zusammen mit Peter Tschumi war er für die Gesamtplanung des Parc de la Villette in Paris verantwortlich. 2003 Eröffnung des Kunsthaus Graz [mit Peter Cook]. Publikationen [u.a.]: »Friendly Alien« [mit Peter Cook]. Ostfildern: Hatje Cantz 2003

Boris Groys, geboren 1947 in Ostberlin, studierte Philosophie und Mathematik an der Leningrader Universität und war bis zu seiner Ausreise aus der UdSSR in die BRD [1981] an verschiedenen wissenschaftlichen Instituten in Russland tätig. Es folgten Gastprofessuren in den USA an der University of Pennsylvania und an der University of Southern California in Los Angeles. Seit 1994 ist Groys Professor für Philosophie, Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Bekannt wurde Boris Groys in Deutschland vor allem durch seine Essays über die russische Geistes- und Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts und durch seine Deutung der Sowjetkultur als »Gesamtkunstwerk Stalin«. Zu Groys' wichtigsten Veröffentlichungen zählen: »Gesamtkunstwerk Stalin«, München 1988; »Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie«, München 1992; »Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien«, München 2000. Vor kurzem erschien sein neues Buch »Topologie der Kunst«, das ausgehend vom Verhältnis zwischen dem Raum des Museums und seiner profanen Umgebung eine neue Ortsbestimmung der [zeitgenössischen] Kunst vornimmt.

Marc Guillaume: »Cool Thinking«

Jeder kennt die Einzigartigkeit des Denkens von Jean Baudrillard und seine besondere Position in der intellektuellen Landschaft. Ist er Soziologe, Philosoph, Schriftsteller oder Dichter? Schwer zu sagen. Denn Baudrillards Denken ist nicht nur einzigartig, was die Inhalte betrifft, sondern auch und viel grundlegender in seiner Entwicklung. Es handelt sich nicht nur um ein anderes Denken [weder um die Konstruktion eines Systems noch um einen Ansatz der Kritik und der Dekonstruktion], sondern um eine andere Denkweise. Eine Denkweise, die um einige Begriffe kreist, die wie ein Netz aufgebaut sind und von sich aus [wie fremde Attraktoren] den Fluss der Aktualitäten anziehen, um ihn anders wahrnehmbar zu machen. Für diese Denkweise werden anhand von Themen wie Alterität, Austausch, Verführung, Kunst und Photographie einige Beispiele angeführt.

Marc Guillaume, geboren 1940, ist Wirtschaftwissenschaftler mit weiteren Hochschulabschlüssen als Ingenieur und Statistiker. Er lehrt derzeit als Professor an der Universität Dauphine in Paris und ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gremien, darunter die Association nationale pour la valorisation interdisciplinaire de la recherche en sciences de l'homme et de la société auprès des entreprises [ANVIE] und das Centre national de la cinématographie [CNC]. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Marc Guillaume für staatliche und wirtschaftliche Forschungszentren und ist dabei unter anderem spezialisiert auf neue Informations- und Telekommunikationstechnologien und deren kulturelle sowie soziale Auswirkungen. Marc Guillaume hat bereits in vielen Magazinen publiziert. Im Französischen sind zuletzt folgende Bücher erschienen: »Figures de l'altérité«, Descartes & Cie, 1994; »Où vont les autoroutes de l’information«, Descartes & Cie, 1998, »L’empire des réseaux«, Descartes & Cie, 1999, »Virus vert«, Descartes & Cie, 2002. Zusammen mit Jean Baudrillard hat er 1996 das Buch »Reise zu einem anderen Stern« im Merve Verlag veröffentlicht.

Caroline Heinrich: »Auf der Suche nach der 'Unschuld des Kindes'...«

Das abendländische Denken bindet das Wahre an das Gute und beides an die Realität. So gilt das Prinzip: je wahrer, desto wertvoller und desto realer. Die Überzeugung, dass diese Denkgewohnheit zu destruieren ist, teilt Baudrillard mit Nietzsche.
In Nietzsches »Zarathustra« gibt es die Figuren 'Löwe' und 'Kind'. Den Löwen kennzeichnet, mit dem alten Denken und seinen Werten abgeschlossen zu haben, sie in der überlegenen Kraft zur Verneinung anzugreifen, wo sie aufzufinden sind, dadurch einen freien Raum zu schaffen und Leere zu erzeugen. Genau dies hat Baudrillard getan – und uns damit den Glauben an so vieles genommen, den Glauben ans Subjekt, die Information, die Kunst, die UNO-Vollversammlung...
Bei Nietzsche ist mit der Wandlung des Löwen zum Kind der Punkt bezeichnet, an dem sich das Verhältnis zum Leben radikal ändert: das Sinnliche, Augenblickliche, Besondere, Sich-Wandelnde etc. wird nicht mehr verachtet, sondern bejaht.
Caroline Heinrich geht es in ihrem Vortrag um drei Dinge: Sie möchte zum einen verdeutlichen, dass an diesem Punkt auch „die Illusion […] nicht im Widerspruch zur Realität [steht]« (Baudrillard), also aufweisen, dass aus der »Antiphilosophie des Objekts« jene radikale Veränderung spricht. Zum zweiten möchte sie zeigen, inwiefern die »Antiphilosophie des Objekts« als eine »Philosophie des Kindes« verstanden werden kann. Es gilt hier zu differenzieren: während der Gedanke von der reinen Evidenz der Welt noch Züge der Leere trägt, betritt mit der »pataphysischen Feinheit der Welt« (Baudrillard) Nietzsches Kind die Bühne. Schließlich möchte sie zum dritten darstellen, was diesem Kind zu seiner Unschuld fehlt.

Caroline Heinrich hat Philosophie studiert und lebt in Mainz. Sie hat sich in ihren Studien intensiv mit den Theorien Baudrillards auseinandergesetzt. Von ihr wurden unter anderem folgende Texte veröffentlicht: »Existenz als Experiment. Zur Philosophie Friedrich Nietzsches« (in: www.episteme.de) sowie »Über die gegenwärtige Lage unserer Bildungsanstalten« (in: R. Reschke (Hg.): »Nietzsche - Radikalaufklärer oder radikaler Gegenaufklärer?« Berlin 2004, 343-349.)

Henri-Pierre Jeudy ist als Soziologe am Centre national de la recherche scientifique [CNRS] beschäftigt und lehrt Ästhethik an der Ecole d'architecture in Paris. Er hat verschiedene Bücher über Panik, Schrecken, Katastrophen, Kollektives Gedächtnis und Kulturelles Erbe geschrieben. Es wurden unter anderem folgende Publikationen veröffentlicht: »Le Désir de catastrophe«, Aubier 1990; »La Panique«, Paris 1981; »Stadterfahrungen«, Berlin 1998.

Douglas Keller: »Baudrillard, Globalisierung und Terrorismus« 

Lange Jahre hat Baudrillard beklagt, dass die heutige Zeit eine Ära der 'weichen Ereignisse' sei, dass die Energien der Geschichte erschöpft seien und dass die Politik zunehmend banal und langweilig geworden sei. Nun waren die Terroranschläge in New York und Washington vom 11. September 2001 offensichtlich starke Ereignisse, die weltweite Reaktionen ausgelöst und zu bedeutenden Veränderungen geführt haben. Dazu gehörten die Kriege in Afghanistan und im Irak und der Versuch der Bush-Regierung, den 11. September zu benutzen, um rechtslastige Maßnahmen gegen den Extremismus in den USA durchzusetzen und eine neue Ära der amerikanischen Militärhegemonie und Großmachtpolitik zu beginnen - ein Drama, das immer noch im Gange ist und für die Zukunft vielleicht noch viele Überraschungen bereithält. Baudrillard hatte schon früher über den Terrorismus geschrieben und begann über die Globalisierung nachzudenken, als die Anschläge vom 11. September stattfanden, die zu einem umstrittenen Buch über das Terror-Spektakel führten: »Der Geist des Terrorismus«, Wien 2002. In meinem Vortrag geht es um eine Lektüre von Baudrillards Analyse des Terrorismus und der Globalisierung und um die Kontroverse, die sie ausgelöst hat. Dabei befasst sich Douglas Kellner mit ihren Grenzen, Einsichten und Folgen für eine Beschäftigung mit Baudrillards jüngeren Werken.

Douglas Kellner ist Professor am George Kneller-Lehrstuhl für Erziehungsphilosophie an der University of California, Los Angeles [UCLA] und Autor vieler Bücher über Gesellschaftstheorie, Politik, Geschichte und Kultur. Unter anderem: »Camera Politica: The Politics and Ideology of Contemporary Hollywood Film«, [mit Michael Ryan]; »Critical Theory, Marxism, and Modernity«; »Jean Baudrillard: From Marxism to Postmodernism and Beyond«; »Postmodern Theory: Critical Interrogations« [mit Steven Best]; »Television and the Crisis of Democracy« und »The Postmodern Turn« [mit Steven Best]. Zu den jüngeren Büchern gehören eine Studie über die Präsidentschaftswahl in den USA im Jahre 2000: »Grand Theft 2000. Media Spectacle and a stolen election« und »The Postmodern Adventure. Science, Technology, and Cultural Studies at the Third Millennium« [mit Steve Best]. Seine neuesten Bücher heißen: »Media Spectacle« und »From 9/11 to terror war: the dangers of the Bush legacy.«

Chris Kraus lehrt am San Francisco Art Institute. Seit 1990 gibt sie zusammen mit Sylvère Lotringer Semiotexte heraus. 1996 organisierte sie »Chance: Three Days in the Desert with Jean Baudrillard«, einen Philosophie-Rave mit Medientheoretikern, Hip-Hop-Künstlern, Dichtern, Gauklern, amerikanischen Aktivisten und Jean Baudrillard. 500 Personen nahmen an dem 3-Tage Event in einem Casino in Nevada. Essays von Chris Kraus über Los Angeles, neoformalistische und institutionalisierte Kunst erscheinen im September 2004 bei Semiotexte/MIT Press unter dem Titel: »Video Green: Los Angeles Art and the Triumph of Nothingness«.

François L'Yvonnet: »Une affaire d'identité«

Wer ist Jean Baudrillard? Diese Frage betrifft seine 'Identität'. Die eines höchst paradoxen Denkers, der sich in seinem ganzen Werk darum bemüht hat, die Spuren zu verwischen und seine Quellen zu verbergen, um oft provokative Haltungen einzunehmen, und zwar nicht, um den Leser [der geneigt ist, alle Fahrten mitzumachen] zu schockieren oder abzuschrecken, sondern um ihn an andere Arten der Navigation zu gewöhnen, die zufälliger, immer einzigartig und auf jeden Fall poetisch sind. So gesehen, mag das Denken von Jean Baudrillard zersplittert erscheinen, was seine Gegenstände [die von aktuellen Themen inspiriert sind] und seine Reiserouten [wo will er hin?] betrifft, aber wer näher hinschaut, wer versucht, ihn auf seinen Forschungsreisen zu begleiten, wird von seinem beharrlichen Festhalten an frühen Eingebungen beeindruckt sein, die schon in seinen ersten Werken auszumachen sind und seine »Lebenslinie« bestimmt haben: ein durchgängiger Wunsch, sich zu lösen, eine Ablehnung jeglicher Akkumulation und aller Konstruktionen durch aufeinanderfolgende Ergänzungen [wie bei den großen Systemen]. Insgesamt, der Wille, eine Bresche zu schlagen, wie er sagt. Eine Einsamkeit - in einer totalisierten Welt gibt es nur noch exzentrische Möglichkeiten -, die allerdings mit anderen geteilt wird. Die Freundschaft im vollen und griechischen Sinne des Wortes ist bei ihm so etwas wie ein grundsätzlich belebendes Element.

François L'Yvonnet lehrt Philosophie in Paris. Er ist Herausgeber der Reihe »Cahier de l’Herne«, die Baudrillard gewidmet ist und in der Ende 2004 eine neue Publikation erscheint. François L'Yvonnet hat vor allem im Verlag Albin Michel veröffentlicht: »Louis Massignon, mystique en dialogue«, 1992 [mit D. Bourel]; »Le Mal«,1996; »D'un millénaire à l'autre«, 2000; »L'avenir de l'Esprit«, 2001 [mit Thierry Gaudin], »D'un fragment l'autre«, 2001 [mit Jean Baudrillard]. Desweiteren erschien im Jahr 2000 der Titel »Simone Weil« bei der L'Association pour la diffusion de la pensée française [adpf].

Sylvère Lotringer: »Exterminating Baudrillard. Baudrillard und das Spektakel der Kunst im Frankreich der 60er Jahre und in den 80er Jahre in Amerika«

Sylvère Lotringer ist Professor für Französische Literatur und Philosophie an der Columbia University in New York. Er ist Herausgeber von »Semiotext[e]« und wird in Amerika vor allem als Vermittler 'Französischer Theorie' sehr geschätzt. Seine aktuellsten Publikationen auf diesem Gebiet sind »French Theory in America«, New York 2001 und »Hatred of Capitalism, A Reader«, New York 2002. Mit Jean Baudrillard erarbeitete er die Bücher »Forget Foucault«, 1986 und »The Conspiration of Art«, 2004; mit Paul Virilio »Pure War«, 1983; »Crepuscular Dawn«, 2003 und »The Accident of Art«, 2004. Außerdem erschienen von Sylvère Lotringer zahlreiche Bücher über Kunst: »Philosophen-Künstler«, Berlin 1986; »Foreign Agent: Kunst in den Zeiten der Theorie«,1991; »Nancy Spero« London1995; »Yves Klein: Air Architecture«, Los Angeles 2004 und weitere Beiträge zu Ausstellungskatalogen für das MOMA New York, das Guggenheim Museum, das New Museum of Contemporary Art und die Kunsthalle Wien.

Michel Régis: »Nullitas nullitatum, et omnia nullitas. Kunst als Komplott: Eine paranoide Ästhetik?«

Es ist ungefähr zehn Jahre her, dass Jean Baudrillard mit Getöse den Komplott der [zeitgenössischen] Kunst ankündigte. Diese Kunst, die sich für nichts hält und die, höchste Hochstapelei, wirklich nichts ist: Fatale Strategie der doppelten Verneinung. Der Artikel löste einen Skandal aus. Es war J?accuse. Nur ohne Dreyfus. Es ist gut den Verrat der Intellektuellen zu geißeln. Aber sie lieben nichts so sehr wie das Martyrium. Und das Risiko ist schließlich mit den Wölfen zu heulen, so iconophob ist die französische Kultur, und noch schlimmer: neophob. Dieser heftige Vorwurf ist zweideutig, denn er hört nie auf, die Nostalgie der Form anzurufen, die das Eigentliche der Ästhetik ist. Er schändet das Vergehen des Insiderwissenden, was der Ursprung der Paranoia ist. Man endet damit zu glauben, dass der Verfasser Nietzsche mit Hegel vertauscht : Ein Traum von Grösse und Magie, von Theater und Illusion, von Erhabenheit und Transzendenz. Die Kunst als Bestimmung. Zurück zu ? Malraux ? 
Baudrillard, der Duchamp zitiert, weiß: 'Alles ist Kunst.' Und auch, dass das Ready-made der Supermarkt der Verbreitung ist. Die heutige Kunst erreicht ihren Höhepunkt im Video, was nicht wirklich das ist, was Baudrillard glaubt: Ein grenzenloses Bild von einem universellen 'Zapping'. Es werden, um ein Beispiel zu geben, einige starke Bilder einer schwachen Kunst gezeigt - Bilder, die uns heimsuchen. Und nicht ohne Grund: die Videokunst schafft nur Geister, im Sinne Derridas - Geister von Geistern. Die Videokunst ist das Medium der Spektralität, das nur aus seiner Auslöschung heraus überlebt: in der Rhetorik des Oxymorons, wo Baudrillard selbst seine eigene Einstellung wieder erkennt - im Nichts des Bildes. Man kann genau so gut sprechen von 'Postmedium', und besser von 'Immedium', wie Deleuze sagt [nach Couchot], worin, wenn man es zu sagen wagt, das Nichtigwerden des Subjekts gipfelt: Eine wahre Nichtigkeit, manchmal spielerisch, oft tragisch, immer kritisch.

Michel Régis ist Chefkurator am Musée du Louvre in Paris. Zusammen mit Françoise Viatte organisierte er dort eine Ausstellungsreihe mit dem Titel »Parti pris«, in deren Konzeption Gastkuratoren wie z.B. Jacques Derrida, Jean Starobinski, Julia Kristeva und Hubert Damisch eingebunden waren.
Am Louvre veranstaltete er außerdem große Symposien zu den Themen »David contre David« oder »Géricault« und Vortragsreihen wie z.B. »Où en est l'interprétation de l'ouvre d'art?«. Des Weiteren ist er Herausgeber von Büchern und Texten zu diesen Künstlern, Perioden oder Themen. Michel Régis kuratierte verschiedene Ausstellungen von »Le beau idéal, Géricault« oder »La Chimère de Monsieur Desprez« hin zu aktuelleren Projekten wie »Posséder et détruire« [über Sexualität] und »La peinture comme crime« [über Rationalität], beide mit dem Vorhaben eine kritische, kulturelle Anthropologie des Westens zu skizzieren.

Michaela Ott: »Böse[s] Denken«

Baudrillard spricht im Zusammenhang mit dem Attentat des 11. September vom Beginn des vierten Weltkriegs, der nunmehr an keine konkreten Kräfteverhältnisse und ökonomischen Bedingungen mehr gebunden sei: Im Herzen der Globalisierung wüchsen Kräfte gegen diese, schneller vielleicht als diese selbst. Der vierte Weltkrieg sei das, 'was jede Weltordnung, jede Hegemonialherrschaft heimsucht - würde der Islam die Welt beherrschen, würde sich der Terrorismus gegen ihn richten. Denn es ist die Welt ['monde'] selbst, die sich der Globalisierung ['mondalisation'] widersetzt.'

Michaela Ott ist Philosophin, Filmwissenschaftlerin und Übersetzerin aus dem Französischen. Sie wohnt in Berlin und arbeitet gegenwärtig am Institut für Grundlagen der modernen Architektur der Universität Stuttgart. Ihre wichtigsten Monographien sind: »Vom Mimen zum Nomaden. Lektüren der Literarischen im Werk von Gilles Deleuze«, Wien 1998; in Vorbereitung: »Phantasma und symbolische Ordnung im zeitgenössischen [Hollywood]Film«. Folgende Bücher hat sie unter anderem übersetzt: Jean Baudrillards »Amerika«, München 1988; »Cool Memories«, München 1989; »Transparenz des Bösen«, Berlin 1992; Michel Foucaults »In Verteidigung der Gesellschaft«, Frankfurt am Main 2001; »Die Anormalen«, Frankfurt am Main 2003.

Mario Perniola: »Die Zukunft einer Illusion: künstlerisches Handeln, Kommunikation, Pataphysik«

Ausgehend von Freuds bekannter Abhandlung über die Religion beschäftigt sich der Beitrag mit einer weiteren Illusion, nämlich mit der künstlerischen Illusion, die als Brennpunkt vieler Ideen Baudrillards angesehen werden kann. Aus epistemologischer Sicht darf die künstlerische Illusion allerdings nicht im Gegensatz zum Realen verstanden werden. Baudrillards Ansatz ist anthropologisch, und sein Begriff der Kunst steht der Magie nahe. Baudrillards kulturelles Interesse ist nicht auf Erkenntnis ausgerichtet, sondern auf das Handeln. Die künstlerische Illusion, die mit der Darstellung und der Bühne verbunden ist, wurde durch eine Massenkommunikation ersetzt, die hyperrealistisch und obszön ist. Trotzdem scheint die Kommunikation eine Art Faszination auszuüben, die der Grund für ihren Erfolg ist. Aber Baudrillards Denken ist nicht naiv, denn es fragt nach dem Grund für seine Möglichkeit, und dieser kann in einer Art von theoretischer Illusion gefunden werden [welche nach einem Ausdruck des französischen Schriftstellers Alfred Jarry als "pataphysisch" bezeichnet wird].

Mario Perniola ist eine der führenden Persönlichkeiten in der heutigen Philosophie-Szene und hat in einem erweiterten ästhetischen Rahmen einen originellen, phantasiereichen und kritischen Schreibstil entwickelt. Er ist Professor für Ästhetik an der Universität von Rom II [Tor Vergata]. Er wurde in viele Länder zu Lehrveranstaltungen sowie Vorträgen eingeladen und bis vor kurzem war er Gastprofessor an der Graduate School of Humanities and Environmental Studies der Universität von Kyoto [Japan]. Im Deutschen sind von ihm unter anderem folgende Publikationen erschienen: »Der Sex-Appeal des Anorganischen«, Wien 1999; »Ekel«, Wien 2003; und »Die Kunst und ihr Schatten«, Berlin 2003. In Italien erscheint dieses Jahr »Contro la comunicazione«, Torino 2004 in der 3. Auflage. Weitere italienische Publikationen sind »I situazionisti«, Rom 1998; »Estetica del Novecento«, Bologna 1997; und »Del sentire«, Torino 2002.

Florian Rötzer: »Virus des Terrors«

Terrorismus ist nicht nur eine politische Tat. Auch ein Verhalten, das man gemeinhin als Amoklauf bezeichnet und damit als durchgebrannte Aktion, gehört dazu. Die Anzeichen mehren sich, dass Terror zu einer Option für Aufmerksamkeitsattentäter jeder Art wird, dass sich vor allem Selbstmordanschläge epidemisch ausbreiten. Dabei ist mittlerweile Fantasie im weltweiten Wettbewerb gefragt. Wer keine ungewöhnliche Wege beschreitet oder die Aktionen der Konkurrenten überbietet, hat geringe Chancen über die regionalen Nachrichten hinaus wahrgenommen zu werden. Vermutlich dienen mehr und mehr spektakuläre Anschläge heute dazu, einen Selbstmord aufzuwerten und so wenigstens im Tod seine Spuren auf der Welt zu hinterlassen. Heute ist es zudem möglich, damit auch global Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München gearbeitet. Seit 1996 ist er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis [www.telepolis.de] und Herausgeber der Telepolis-Buchreihe im Heise-Verlag. Unter anderem wurden von und mit ihm folgende Publikationen veröffentlicht: »Französische Philosophen im Gespräch«, München 1986; »Denken, das an der Zeit ist«, Frankfurt am Main 1987; »Digitaler Schein«, Frankfurt am Main 1991; »Cyberspace. Auf dem Weg zum digitalen Gesamtkunstwerk«, München 1993 [mit Peter Weibel]; »Das Böse«, Göttingen 1995; »Cyberhypes«, Frankfurt am Main 2001 [mit Rudolf Maresch],; »TerrorMedienKrieg«, Heidelberg 2002 [mit G. Palm]; »Virtuelle Welten - reale Gewalt«, Heidelberg 2003; »Kunst und Krieg«, Kunstforum International Bd. 165, 2003; »Renaissance der Utopie«, Frankfurt am Main 2004 [mit R. Maresch].

Mikhail Ryklin: »Nous l‘avons voulu. Die Geburt des Terrors aus dem Geist der Globalisierung«

Im Mittelpunkt des Vortrags steht Jean Baudrillards am schärfsten formulierte Immanenzthese: »...sie es sind, die es getan haben, aber wir es sind, die es gewollt haben [ils l'ont fait, mais nous l'avons voulu],« - schrieb er in »L'esprit du Terrorisme« - »wenn man dies außer Acht lässt, verliert das Ereignis seine ganze symbolische Dimension.« Mikhail Ryklin wird diese These in den Kontext stellen und mit Texten von anderen Philosophen wie z.B. Derrida, Virilio, Zizek, Rorty und Groys vergleichen. Die Hauptfrage lautet dabei: Was macht Baudrillards Immanenzthese so radikal und so unannehmbar für diejenigen, welche die offiziellen Interpretationen des 11. September vertreten oder teilen? Bei aufmerksamer Lektüre stellt man fest, dass diese Immanenzthese eine logische Folge seiner früheren Texte ist.

Mikhail Ryklin hat in den 70er Jahren Philosphie, Ästhetik und Philsophiegeschichte in Moskau studiert. Er ist derzeit als leitender Wissenschaftler am Institut für Philosophie in Moskau beschäftigt. Außerdem wurde er bereits als Gastprofessor unter anderem an das Zentrum für Literaturforschung in Berlin, an die University of California in San Diego und an die Universität Bremen eingeladen. Seit 1990 hat er zahlreiche Forschungsstipendien in Russland, Deutschland und Frankreich erhalten. Seit Mitte der 90er Jahre ist er Korrespondent des Magazins »Lettre International«, Berlin. Aktuelle Publikationen von Mikhail Ryklin sind: »Art as Obstacle«, Moskau 1997; »Deconstruction and Destruction. Conversations with Philosophers« [Derrida, Quattari, Baudrillard, Nancy, Lacoue-Labarthe, Rorty, Zizek, Groys etc.], Moskau 2002; »The Spacies of Jubilation. Totalitarianism and the Difference«, Moskau 2002; »The Time of Diagnosis«, Moskau 2003; und »Die verschwiegene Grenze«, Berlin 2003.

Aurel Schmidt: »Nur der unmögliche Tausch ist möglich«

Der unmögliche Tausch, von dem Jean Baudrillard spricht, ist ein unmögliches Thema, dem mit logischem Denken kaum beizukommen ist. Dazu bedürfte es eher einer Strategie der Störung, der Überraschung und Überbietung. Kernpunkt der unmöglichen Tausch-Theorie ist eine radikale Ungewissheit. Baudrillard beruft sich im Kontext häufig auf die Quantentheorie mit ihrer Unschärferelation, die seiner radikalen Ungewissheit entspricht. Ebenso gut könnte man den unmöglichen Tausch aber auch mit Überlegungen aus dem Zen-Buddhismus vergleichen und dabei einen Erkenntnis-Quantensprung tun, ohne das Unmögliche und Ungewisse preiszugeben. Solange der Tausch nicht realisiert ist, ist er als Potenzial gerettet.

Aurel Schmidt war 40 Jahre lang als Feuilletonredakteur der »Basler Zeitung« [»Basler Magazin«] für die Bereiche Kunst, Philosophie, Reisen zuständig. Seine letzten Veröffentlichungen sind: »Von Raum zu Raum. Versuch über das Reisen«, Berlin 1998 und »Lederstrumpf in der Schweiz. James Fenimore Cooper und die Idee der Demokratie in Europa und Amerika«, Frauenfeld 2002.

Rüdiger Schmitt-Grépály: »Der versiegelte Blick. Zu den Photographien Jean Baudrillards«

Rüdiger Schmitt-Grépály hat Philosophie, Politik- und Literaturwissenschaft in Kiel, Freiburg im Breisgau und Marburg studiert. Er ist derzeit Leiter des Kollegs Friedrich Nietzsche der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen und zudem Lehrbeauftragter für Philosophie an der Bauhaus-Universität in Weimar. Zusammen mit dem italienischen Nietzsche-Herausgeber Mazzino Montinari hat er in Florenz an der Gesamtwerk-Ausgabe Friedrich Nietzsches gearbeitet.

Alan Shapiro: »Baudrillard and Trek-nology«

Zwischen Baudrillard und Star Trek gibt es auf zwei Ebenen eine unheimliche Ähnlichkeit. Erstens: Es besteht eine genaue Übereinstimmung zwischen Baudrillards Schlüsselwörtern und den Prinzipien der Episoden der Star-Trek-Originalserie: radikale Ungewissheit, die Anerkennung des Andersseins, technische Unfälle und Überraschungen, symbolischer Tausch, die duale Beziehung. Zweitens: Es gibt eine pataphysische Science-Fiction-Technologie - den Transporter, die Warpgeschwindigkeit, die Zeitreisen, das Holodeck. Diese "Trek-nologie" wird aus den hypermodernen Wissenschaften der quantenphysikalischen Unbestimmtheit und der chaostheoretischen Komplexität entwickelt. Es kommt zur Reversibilität: Das Objekt widersetzt sich mir, die Welt denkt uns. Wenn wir an beiden Enden - Star Trek als Literatur und Star Trek als clevere Technologie - Druck ausüben, ergibt sich eine Doppelstrategie, die darin besteht, ein wenig Reales der "kritischen Theorie" hinzuzufügen und nur in der futuristischen Sprache der "fatalen Theorie" zu sprechen. Dergestalt legen wir ein bisschen von jenem unbekannten Schicksal tief im Inneren der amerikanischen Hyperrealität frei, begeben uns auf eine Reise durch die Wüste Amerika zu einem anderen Stern.

Alan N. Shapiro ist der Autor von »Star Trek: Technologies of Disappearance«, Berlin 2004. Er ist Amerikaner, lebt in Frankfurt/Main und arbeitet als selbstständiger Softwareentwickler. Zu seinen Kunden gehören Volkswagen, I-D Media, Deutsche Bahn und Swisscom. In Amerika hat er an der New York University Soziologie unterrichtet. Seine Essays zur Medien- und Technologieforschung »After Baudrillard« [A.B.] wurden veröffentlicht in: »Semiotext[e]«, »And Then«, »CTHEORY«, »Digital Delirium«, »Nettime«, »Noema Lab«, »Pantaneto Forum«, »NYArts Magazine« und »Libra/Libera«.

Gianni Vattimo, geboren 1936, studierte Philosophie an der Universität Turin sowie bei Karl Lowith und Hans Georg Gadamer in Heidelberg, deren Spätwerk er in Italien bekannt machte. Ab 1969 war er Professor für Ästhetik und Theoretische Philosophie in Turin. Außerdem wurde er als Gastprofessor an verschiedene internationale Universitäten geladen. Er ist Herausgeber des Magazins »Rivista di estetica« und Mitglied in der Akademie für Wissenschaften, Turin. Seit 1999 ist Gianni Vattimo Mitglied im Europäischen Parlament. Im Deutschen sind unter anderem folgende Publikationen erschienen: »Jenseits der Interpretation: die Bedeutung der Hermeneutik für die Philosophie«, Frankfurt am Main 1997; »Medien - Welten – Wirklichkeiten«, München 1998; »Die Religion«, Frankfurt am Main 2001 [mit Jacques Derrida]; »Jenseits des Christentums«, München 2004.

Michael Wetzel: »You don't see what you get: Jean Baudrillards photographischer Illusionismus«

»Das Photo ist kein Bild in Echtzeit. Es bewahrt den Augenblick des Negativs, die Spannung des Negativs. Diese leichte Verschiebung ist es, die es dem Bild möglich macht, als solches zu existieren, als die von der realen Welt verschiedene Illusion.“ Mit dieser Einsicht ratifiziert Baudrillard Benjamins Entdeckung, dass eine andere Welt zur Kamera als zum Auge spricht. Zwischen den beiden Momenten der Aufnahme und der Entwicklung öffnet sich die entscheidende Differenz des Photographischen. Es ist kein Verlust, sondern eine Chance, der Zeitlichkeit des Bildwerdens teilhaftig zu werden. Aber in keinem Abzug, keiner Sichtbarkeit oder Visualisierung lässt sich diese Differenz tilgen. Auch den rein technisch produzierten Bildern wohnt immer diese Differenz inne, sei es als Differenz zwischen Denotation und Konnotation, Index und Icon, Reproduktion und Simulation oder zwischen Wirklichkeit und Illusion. Indem sich Baudrillard bei seiner photographischen Praxis der Vieldeutigkeit des Einbildens überlässt, erreicht er auf dem paradoxen Umweg über einen Verzicht auf Sehen die Einsicht in die Gabe der Lichtspur: ein Präsent der Präsenz, das man nie besitzen wird, noch dem eigenen Blick überantworten kann.

Michael Wetzel, geboren 1952, hat Philosophie, Literaturwissenschaft, Linguistik und Erziehungswissenschaft an den Universitäten Bochum und Düsseldorf studiert. Seit 2002 ist er Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Filmwissenschaft an der Universität Bonn. Michael Wetzel hat bereits im In- und Ausland gelehrt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Literatur und Literaturverfilmung, der Geschichte des Autor- und Künstlerbegriffs und in der Untersuchung von Ton - Bild - Text als Gegenstände einer vergleichenden Medienwissenschaft. Außerdem ist Michael Wetzel als freier Autor für verschiedene Zeitungen tätig, daneben sind zuletzt folgende Bücher von ihm erschienen: »Ethik der Gabe. Denken nach Derrida«, Paris/Berlin 1993 [mit H.Wolf]; »Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten«, München 1994 [mit H.Wolf]; »Die Wahrheit nach der Malerei«, München 1997; »Mignon. Die Kindsbraut als Phantasma der Goethezeit«, München 1999.

Christoph Wulf: »Vom Subjekt des Begehrens zum Objekt der Verführung«

Ausgehend von der »Agonie des Realen« werden die Vorstellungen Baudrillards vom Schwinden der Differenz zwischen dem Realen und den Zeichen des Realen behandelt. Danach wird das Reale durch die Zeichen des Realen ersetzt. Es kommt zu einer Verdopplung, die das Hyperreale erzeugt, das nicht mehr vom Realen und vom Imaginären trennbar ist. Das Hyperreale schafft die Simulation. Sie bestreitet die Differenzierungsmöglichkeit zwischen dem Wahren und dem Falschen, dem Realen und dem Imaginären. Von diesen Voraussetzungen ausgehend wird Baudrillards Theorie des Bildes nachgezeichnet. Darauf aufbauend werden seine Gedanken zur Theorie des Obzönen, zur Sexualität und zur Verführung rekonstruiert. Schließlich erfolgt ein Neubewertung seiner Theorie des Körpers und seiner Ausführungen über die Zusammenhänge zwischen dem symbolischen Tausch und dem Tod.

Christoph Wulf ist Professor für Allgemeine und Vergleichende Erziehungswissenschaft an der FU Berlin und Mitglied des Interdisziplinären Zentrums für Historische Anthropologie, des Sonderforschungsbereichs »Kulturen des Performativen« und des Graduiertenkollegs »Körper-Inszenierungen« an der Freien Universität Berlin. Daneben ist er Herausgeber beziehungsweise Mitherausgeber mehrerer Zeitschriften, darunter: »Zeitschrift für Erziehungswissenschaft«, die Reihe »Historische Anthropologie« [1988ff] und »Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie« [1992ff]. Christoph Wulf hat unter anderem folgende Bücher herausgegeben: »Mimesis. Kultur-Kunst-Gesellschaft«, Hamburg1992 [mit Gunter Gebauer]; »Das Soziale als Ritual. Zur performativen Bildung von Gemeinschaften«, Wiesbaden 2001 [mit Birgit Althans und Kathrin Audehm] und »Formen des Religiösen«, Weinheim 2004 [mit Hildegard Macha und Eckart Liebau].

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