Den Zuhörer in einen zeitlosen Zustand versetzen
Der Musiker, Klangkünstler und Komponist Marko Timlin war im Frühjahr 2014 zu Gast in den Studios des ZKM | Institut für Musik und Akustik. Er beschäftigte sich auf technische und philosophische Weise mit der Weiterentwicklung seiner Sensor-Klangmaschine, einem sensor-basierten Musikinstrument. Seine künstlerische Laufbahn begann Marko Timlin Anfang der 1990er-Jahre in London. Sie führte ihn als Teil der alternativen elektronischen Musikszene ins ehemalige Ostberlin, wo er u.a. die Band tritop gründete, eine der ersten Live-Drum'n'Bass-Bands Deutschlands. Heute lebt und arbeitet er als freischaffender Künstler in Helsinki, entwickelt Klanginstallationen, komponiert Computer-, Theater- und Tanzmusiken und gibt Workshops und Seminare an Hochschulen und Universitäten.
Marie-Kristin Meier: Wie bist du zu dem gekommen, womit du dich heute künstlerisch beschäftigst?
Marko Timlin: „Die Arbeit mit Klang und die Verbindung von Technologie, Mensch und Musik haben mich schon immer interessiert. Ich erinnere mich noch, dass ich als Schlagzeuger bei Aufnahmen ganze Studios umgebaut habe, um den Klang zu finden. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mich die Musik, mit der ich mich damals beschäftigte, nicht ausfüllte. Sie war mir zu schematisch und zu vorhersehbar. Dann bin ich über Literatur, vor allem über das literarische Schaffen von Thomas Bernhard, Paul Celan und John Cage, mit Kunst und Kunstmusik in Berührung gekommen.“
M.-K. M. Welche Rolle spielt der Einsatz von Technologie in deiner Arbeit?
M. T. Ich bin der Überzeugung, dass man digitale Technologie nur dann einsetzen sollte, wenn man Dinge realisieren möchte, die ohne diese Technologie nicht möglich wären. Ich bin da radikal: Alles, was ohne Computer gemacht werden kann, sollte unbedingt auch ohne Computer enstehen. Dann stellen sich allerdings die Fragen: Was kann nur mit digitaler Technologie realisiert werden? Wie klingt ein Computer, wenn er wie ein Computer klingt?
Das klanglich Einzigartige von Technologie liegt meiner Ansicht nach im Fehlerhaften. Störgeräusche der Digitaltechnik als musikalisches Ausgangsmaterial zu verwenden, finde ich daher sehr interessant. Fehler im System, das ist eine ganz persönliche ästhetische Komponente: Ich mag einfach das Ausrangierte, das Kaputte, den Elektroschrott. Es geht mir darum, aus diesem Entsorgten etwas herauszuziehen und es so zu neuem künstlerischen Leben zu erwecken.
M.-K. M. Störgeräusche sind auch das klangliche Ausgangsmaterial für deine Performances mit der Sensor-Klangmaschine.
M. T. Die Klangerzeugung der Sensor-Klangmaschine beruht zu 100 Prozent auf digitalem Feedback. Ich verwende also ein klangliches Abfallprodukt, das normalerweise vermieden wird und das ich dafür erst einmal mühevoll finden und erzeugen musste. Konzerte der Sensor-Klangmaschine finden im Dunkeln statt. Mit Licht kann ich Klänge aktivieren, kontrollieren und verändern. Ich habe Taschenlampen in den Händen und diverse Blinkobjekte, die ich während des Konzertes an- und ausmachen kann. Zusätzlich werden meine Körperbewegungen über dem Instrument erfasst, d.h. ich kann mit Licht einen Klang auslösen und ihn gleichzeitig mit meiner Hand in der Luft verändern. Auf diesem Weg erzeuge ich Klangstrukturen, die sich in der Zeit graduell verändern. Es geht also um die Transformation von Klang in der Zeit. Das Schönste, das ich damit erreichen kann, ist den Zuhörer in einen zeitlosen Zustand zu versetzen.
M.-K. M. Wie kann man sich diese Klangstrukturen vorstellen?
M. T. Mich faszinieren Naturphänomene wie Regenschauer oder Schneefall, bei denen eine klare Struktur mit endloser Vielfalt kombiniert wird. Mit der Sensor-Klangmaschine erzeuge ich ebenfalls Klangstrukturen, innerhalb derer es beständig minimale Variationen gibt. Diese Klangstrukturen scheinen sich kaum zu verändern, aber plötzlich ist man doch ganz woanders.
In Zukunft möchte ich dieses Konzept noch radikaler umsetzen: vielleicht eine Stunde lang bei nur einer Stimmung bleiben. Das Minimale, das Wiederholende mit kleinen Variationen führt ja auch dazu, dass man Dinge hört, die gar nicht da sind. Das ist auch das Wunderbare an abstrakter Kunst: Dem Zuschauer oder Zuhörer wird die Möglichkeit gegeben, sich in das Werk hineinzudenken und ein eigenes Werk zu schaffen.“
Interview & Text: Marie-Kristin Meier
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