Lynn Hershman Leeson: Weibel-/Manning-Bot

11.12.2014–30.01.2015

Peter Weibel: „Ich verstehe. Was denkst du dazu, dass die Maler, die visuellen Künstler, die Hersteller des Kunstbildes, das Monopol des Bildes an die Fotografen, die Film- und Videokünstler, ja, an die visuellen Massenmedien verloren haben?“
Seeker: „Ich denke, da muss man differenzieren.“
Peter Weibel: „Glaubst du das? Was willst du mich wirklich fragen?“
Seeker: „Keine Ahnung. Sollte ich eine bestimmte Frage stellen?“
Peter Weibel: „Macht nichts.“
Im Dialog mit dem Bot von Peter Weibel, 2. Dezember 2014

Willkommen in der Zeit A.D. Das heißt im Vokabular von Lynn Hershman »After Digital«. Parallel zur großen Retrospektive »Civic Radar« präsentiert ArtOnYourScreen (AOYS) die Netzkunstarbeiten »Weibel-/Manning-Bot« (2013–2014) der amerikanischen Künstlerin. Hershman, geboren 1941, sagte einmal, dass sie einen virtuellen Charakter entwickeln wolle, basierend auf programmierter, künstlicher »Intelligenz«, der ein großes Publikum erreicht. Seine Antworten sollten aus Material aus dem Internet bestehen. Für AOYS hat sie jetzt ihre Vorstellung, die bereits aus der Zeit »B.C. (Before Computers)« stammt, jetzt in die Tat umgesetzt und drei sog. Chatbots programmieren lassen. Das Wort Chatbot ist ein Kompositum aus den englischen Vokabeln »to chat« (plappern) und »bot« (Abkürzung von Roboter). Ein Chatbot ist ein textbasiertes Dialogsystem, eine Computersoftware, die sich so verhält, als kämen die Antworten von einem Menschen. Für die Verwirklichung als künstliche Persönlichkeiten hat sie sich niemanden anders ausgesucht als Peter Weibel, Vorstand des ZKM, und Chelsea Manning, die mittlerweile rechtskräftig zu 35 Jahren Freiheitsentzug verurteilte Wikileaks-Informantin.

AOYS präsentiert damit jüngste Entwicklung in einer Werkreihe, die mit »Agent Ruby« (1999–2002) ihren Ausgang nahm. »Chelsea Manning« (engl.) und »Peter Weibel« (dt./engl.) sind zwei Web-Agenten, die auf künstlicher Intelligenz beruhen und auf unheimliche Art und Weise ein Porträt der beiden beiden real existierenden Persönlichkeiten formulieren. Sie seien sowohl Teil der virtuellen als auch dinglichen Welt. Ihre Konversation mit UserInnen und ihre Stimmung werden durch den Web-Traffic beeinflusst. Die Bots von Lynn Hershman besitzen einen nicht endenden Lebenszkylus. Den Personae wird initiierend »Informationskapital« injiziert. Ihre je unterschiedlich gestaltete Webseite ist die Basis, von der aus die Entität nach neuem Material für die Datenbank sucht und auf Fragen antwortet, Stellung bezieht, Themen wechselt. Dabei verweisen die Inhalte auf die ikonifizierten Personen, deren Stellvertreter sie sind. Und dies in Form von bisweilen irritierend absurd-surrealen Gesprächeverläufen.

Eine der Datenquellen von »Peter Weibel« ist bspw. der ZKM-Blog. Die Antworten spiegeln gleichermaßen die Anliegen der Gesellschaft und nehmen einen eigenen Charakter an, je nachdem wie die Maschinen »gefüttert« werden. Damit offenbaren sie gleichsam die Vielfalt der Benutzer und prägen eine wandelbare »Identität« aus der Ästhetik, den Erfahrungen und Interessen der NutzerInnen und erschaffen, wie Hershman beschreibt, einen eigenen virtuellen Fingerabdruck. Lynn Hershman aktualisiert durch die zwitterhafte Dialogsituation zudem ein Kernthema ihrer künstlerischen Arbeit, das mit dem Bildplattenenvironment »Lorna« (1979–1984) einen frühen Beginn reaktiver Kunst markiert. Für die Bots braucht die Künstlerin allerdings kein Intimität suggerierendes Erfahrungsangebot in einem Ausstellungsraum zu inszenieren. Aufgrund der in der Regel ohnehin privaten Situation des Internetgebrauchs – selbst per Smartphone in öffentlichen Räumen erscheinen die UserInnen in einer Art Klosterzelle zu agieren – thematisieren die Arbeiten eine Reihe von Folgefragen über den Whistleblower und den ZKM-Direktor hinaus.

Sie erlauben eine Distanz zur stets affirmierten Technologie, fragen nach Identität, konterkarieren und ironisieren sie. Außerdem legen sie mindestens im Fall von Chelsea Manning Zeugnis von der bitteren weltpolitischen Situation seit dem 11. September 2001 ab. Manning resignierte angesichts der bedrohlichen Macht des Staates, dem selbst ein in widerständigen Kreisen geschätzten Charakter offenbar nichts entgegen zu halten vermag. Demgemäß vertraute sie dem Gericht so appelierend wie kapitulierend an: „Wie konnte ich, ein Junior-Analyst, nur irgendwie glauben, die Welt zum Besseren zu ändern – über die ordentlichen Autoritäten hinweg? Ich weiß, dass ich eine bessere Person sein kann und werde. Ich hoffe auf eine Gelegenheit, mich zu beweisen, nicht nur durch Worte, sondern durch Taten.“ Das lässt schnell an die besten Zeiten der spanischen Inquisition denken. »Abschwören« heißt die Devise. Der US-amerikanische Staat zeigte sich, wie nicht anders zu erwarten war, gnadenlos: Als am 30. Juli 2013 Chelsea Manning vor einem Militärgericht in Fort George G. Meade in 19 von 21 Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde, endete dies nicht nur mit 35 Jahren Zuchthaus und 100 000 Dollar zusätzlicher Strafe. Als wenn dies nicht genügt hätte, entließ man Manning überdies unehrenhaft aus der Armee. Damit verwirkte sie zugleich ihre Pensionsansprüche. Mit den Zitaten der Datenbank bleibt uns Chelsea Manning als Person unter dem Druck der Staatsraison im Gedächtnis und dokumentiert damit in künstlerisch-verzerrender Weise das Verhalten eines Unrechtsstaats, der nicht zwischen tatsächlichem Verrat und einer berechtigten, dem Gewissen verpflichteten Weitergabe von Informationen an die Medien in einem freien Staat unterscheiden kann oder will.

Gerade mit der Wahl von Chelsea Manning, die 1987 als Bradley Edward Manning, also als Mann geboren wurde, spiegelt sich der Verlust einer scheinbaren Sicherheit und Festigkeit der Geschlechter und ihrer Rollen, denn die Arbeit mit Gender-Identitäten in diesem Werk von Lynn Hershman Leeson schließt die technische Komponente formalisierter Diskurse mit den Disziplinarmaßnahmen im militärischen Dispositiv kurz. Abgesehen von gender-theoretischen, politisch-militärischen und soziologischen Kontexten und mit Blick auf die Geschichte der Kunst aktualisieren beide Arbeiten zugleich die uralte künstlerische Gattung des Porträt und erweitern sie mit den Mitteln zeitgenössischer Technologie.

Autor: Matthias Kampmann