A new spirit of collaboration? Zur Entstehung der »working environments«

Ein Beitrag von Anne Schreiber

Zu sehen ist eine filigrane Installation aus dünnen Stäben, an denen kleine Papierstückchen befestigt sind. Auf jedem Stückchen Papier ist eine Lichtprojektion zu sehen. Die Installation steht in einem dunklen Raum. Auf den Wänden des Raums sind ebenfalls

I

Es ist das Bild einer Unbehaustheit, das Walter Benjamin in dem Aufsatz »Der Erzähler« (1936) für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beschreibt: »Eine Generation, die noch mit der Pferdebahn zur Schule gefahren war, stand unter freiem Himmel in einer Landschaft, in der nichts unverändert geblieben war als die Wolken und unter ihnen, in einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen, der winzige, gebrechliche Menschenkörper.«[1] Derart ausgesetzt waren die Leute verstummt vom Feld heimgekehrt. Mit dem Krieg verloren gegangen war das Erzählen – als eine Weitergabe von Erfahrung und damit als ein Wissen, wie es sich seit Jahrtausenden in der mündlichen Tradierung herausgebildet hatte, so etwa in den Handwerks- und Handelskulturen des Mittelalters.

Das Erzählen wurde hierbei zu einer Kunst, die dem Leser praktischen Rat zu geben weiß, in der Form landwirtschaftlicher Ratschläge oder kleiner naturwissenschaftlicher Unterweisungen. So besteht das Erzählen eben nicht in einer mystischen Überhöhung des Daseins auf der Erde. Mit Verweis zu Figuren wie dem russischen Dichter Nikolai Lesskow sagt Benjamin: »Er sieht das Vorbild in dem Mann, der sich auf der Erde zurechtfindet, ohne sich allzutief mit ihr einzulassen.« Dergestalt gleicht es sich vielmehr den Rhythmen der Natur an; einer Naturgeschichte gleich lehrt das Erzählen, sich auf ihre Gesetze einzulassen.

II

Benjamins Essay mutet wie ein Vorbote der von Bruno Latour gestellten Frage an, wie wieder auf der Erde gelandet werden könnte.[2] Die Zeit der beiden Weltkriege, der beginnenden Wettläufe zwischen den politischen Systemen von links und rechts, kann daher als historischer Schauplatz betrachtet werden, zu dem sich die Umrisse dieser Frage nicht nur bereits abzeichnen.[3] Mehr noch, es ist zuvorderst die Industrie, die sich der Herausforderung annimmt. Denn mit den wachsenden transnationalen Unternehmen entsteht nichts Geringeres als eine zweite Umwelt, »social environments«, die die unter der Isolation leidenden Menschen wieder einbinden soll.[4]

Die Frage, wie das Landen auf der Erde zu bewerkstelligen sei, handelt insofern weniger davon, wie die Distanz zur Erde zu überwinden wäre, wie etwa durch die Aufhebung einer in der modernen Wissenschaft eingeführten Subjekt-Objekt-Trennung, die eine Hierarchie zwischen dem Menschen und seinen Objekten, inklusive der Natur, impliziert. Vielmehr gälte es zu erkennen, dass unser Dasein immer schon von Kooperationen und Verbundenheit bestimmt ist, wofür neben vielen anderen die Mikrobiologin Lynn Margulis und der Biophysiker James Lovelock plädiert haben.[5] Dazu würde jedoch auch gehören, die bereits bestehenden Verbindungen und Relationen zu überprüfen, gegebenenfalls aufzulösen und neu zu bestimmen.

III

Bereits die Soziologen des 19. Jahrhunderts, darunter Émile Durkheim und Georg Simmel, haben erkannt, dass die Verstädterung zu einer gefahrvollen Vereinzelung geführt hat.[6] Um die Jahrhundertwende wird das soziologische Wissen von Seiten der Unternehmen aufgegriffen, um ein in dieser Zeit entstehendes Problem zu bewältigen: das der industrial fatigue. Die Mechanisierung der Arbeit hat die Menschen auf ihre Körper zurückgeworfen, die einer Maschine gleich an die Anforderungen der technischen Verhältnisse anzupassen sind. Das Phänomen der fatigue erhält einen neuen Namen; als stress syndrome rückt es immer mehr ins Bewusstsein und schmückt seit den 1970er Jahren die Cover internationaler Lifestyle-Magazine.[7]

An seiner Erforschung haben Mediziner wie Walter Cannon und Industriepsychologen wie Elton Mayo teil. Cannon prägt den Ausdruck des fight or flight, womit er ein Anpassungsverhalten an als gefahrvoll eingestufte Umweltbedingungen beschreibt. Das automatisch ablaufende Stressverhalten betrachtet er als Modell einer systemischen Interaktion, das er auch auf die Frage übertragen will, wie moderne, demokratisch gelenkte Gesellschaften mit der zunehmenden Komplexität umgehen könnten.[8]

Für die Arbeitsbelastungen sieht Mayo die Ökonomie in der Kritik. Konzepte wie der self interest seien eine bloße Fiktion von Intellektuellen, die fernab von der Realität ersonnen wurden. Das menschliche Verhalten sei vielmehr von einem Gruppeninstinkt geleitet – von einer Gemengelage aus nur halb bewussten Gefühlen und Glaubensüberzeugungen sowie dem Bedürfnis, diese einander mitzuteilen.[9]

Es sind die in der Stressforschung entstehenden Konzepte, die nun von Seiten der Industrie aufgegriffen und hier zu wirkmächtigen Narrativen für die Ausrufung eines veränderten ökonomischen Denkens und Handelns werden. Wallace Donham, der die neu gegründete Harvard Business School leitet, bezieht sich nicht nur auf Mediziner wie Cannon und Industriepsychologen wie Mayo; auch beruft er sich auf die Arbeit des Philosophen Alfred North Whitehead und dessen von der Biologie beeinflusstes Verständnis einer Umwelt, die vom Leben mit erschaffen wird.

In einer Rede, die Donham 1927 hält, wenige Monate vor dem Crash an der Wall Street, appelliert er an die Industrie, sich ihres gesellschaftlichen Leaderships bewusst zu werden.[10] In Folge der Industrialisierung seien starke Veränderungen in der Umwelt zu beobachten, die zudem irreversibel seien und sich immer mehr beschleunigten. Um das Gleichgewicht zwischen dem Menschen und seiner Umwelt zu wahren, seien Techniken der Anpassung zu entwickeln, die nicht nur die Anpassung an eine veränderte Situation bedeuteten, sondern das Erlernen, mit steter Veränderung umzugehen.

Die hier entstehenden Ansätze begründen einen neuen ökonomischen Spirit, den des Managements, der über die Revolutionen der 1960er Jahre, wie der Operaismus, bis heute anhält, mit der Verbreitung von Methoden agiler Führung.[11] In Folge wird das Unternehmen – ähnlich wie das Verhalten des Organismus gegenüber seiner Umwelt – als System aus Teilsystemen betrachtet, die sich wechselseitig aneinander anpassen. Hierarchische Strukturen, wie sie in der Bürokratie entstanden waren, werden durch relationale ersetzt, die auf der Kooperation und der Kommunikation von Meinungen und Gefühlen basieren. Ansätze des team work ersetzen den Gedanken des self interest und dienen der Ausrufung einer neuen Ära der Zusammenarbeit.

Managementgurus wie Chester Barnard sprechen fortan von einer Komplexität des Unternehmensgeschehens, sodass eine allzu genaue Planung im Vorfeld kaum noch möglich sei. Führung basiert aus seiner Sicht auf einem aus der Biologie kommenden Modell: Der Gruppe seien nurmehr Werte vorzugeben, an die sich der Einzelne qua wechselseitigem Austausch von alleine anpasse. Auch Manager sollten in der Lage sein, sich situativ verhalten zu können. Von ihnen seien intuitive Fähigkeiten zu erwarten, wie sie Künstler beherrschten. Die Werte des Unternehmens könnten nicht direktiv über den Verstand vermittelt werden, sondern der Manager habe diese qua seiner gesamten Erscheinung, seines Auftretens, vorzuleben.[12]

 

IV

Es ist diese zweite, ökonomisierte Arbeitsumwelt, die das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen des 20. Jahrhunderts zu einem wesentlichen Grad bestimmt und damit die Verbindungen zu dem kappt, was Benjamin die Erde nennt. Die Zeit der 1920er mag nicht nur als Vorspiel heutiger Wirtschaftsformen wie dem platform capitalism verstanden werden, der sich die Eigenarten sozialer Netzwerke zunutze macht. Auf die vom Affekt gesteuerten Dynamiken stützen sich zudem vermehrt autoritäre politische Systeme. Um das richtige Verhältnis zur Erde zu finden, sind demnach die bestehenden Verbindungen zu überdenken. Wir sind keinesfalls getrennt; wir sind vielmehr eingebunden in machtvolle Netze, die unsere psychischen und sozialen Systeme adressieren und jenseits der Schwelle des Bewusstseins operieren.

Ein Wissen um die Erde, so schreibt Benjamin in »Der Erzähler« weiter, umfasst wiederum ein Wissen um die Endlichkeit. Heute bedeutet dies: ein Wissen um die Endlichkeit der energetischen Ressourcen nicht nur des Planeten, sondern ebenso unserer Psychen und Körper, mit denen die Herausforderungen der klimatischen Veränderungen zu meistern sind.

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[1] Walter Benjamin: Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows, in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007.

[2] Bruno Latour: Das terrestrische Manifest. Berlin: Suhrkamp, 2018.

[3] McKenzie Wark: Molekulares Rot. Theorie für das Anthropozän. Berlin: Matthes & Seitz, 2017.

[4] Elton Mayo: The Social Problems of an Industrial Civilization. Boston: Graduate School of Business Administration, 1945.

[5] Lynn Margulis: Der symbiotische Planet. Frankfurt am Main: Westend Verlag, 2018. James Lovelock: Gaia. A new Look at Life on Earth. Oxford University Press, 1979.

[6] Mayo: The Social Problems.

[7] Patrick Kury: Der überforderte Mensch: Eine Wissensgeschichte vom Stress zum Burnout. Frankfurt am Main: Campus, 2012.

[8] Jakob Tanner: »‚Weisheit des Körpers‘ und soziale Homöostase. Physiologie und das Konzept der Selbstregulation«, in: Physiologie und industrielle Gesellschaft, hrsg. von Philipp Sarasin und Jakob Tanner. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1998. S. 129-169.

[9] Elton Mayo: The social problems.

[10] Garet Garrett: The American Omen. New York: E. P. Dutton & Co., 1928.

[11] Dirk Baecker: Organisation und Management, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003.

[12] Chester I. Barnard: The Functions of the Executive. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1938.