Aby Warburg – Biographie

Ebreo di sangue, Amburghese di cuore, d'anima Fiorentino.

Titelbild der Ausstellung zu »Aby Warburg. Mnemosyne Bilderatlas«

Jude von Geburt, Hamburger im Herzen, im Geiste ein Florentiner. Aby Warburg wird 1866 in Hamburg ge­boren, gut zwanzig Jahre vor jener Gene­ration, aus der die treibenden Kräfte der Moderne hervorgehen werden. Er ist der erste Sohn einer jüdischen Familie, die ein bedeutendes Bankhaus führt, kann sich jedoch weder mit einer Zukunft als Ge­schäftsmann noch mit dem religiösen Reg­lement seiner Familie anfreunden und bie­tet seinem ein Jahr jüngeren Bruder Max das Recht des Erstgeborenen, die Bank zu übernehmen, zum Tausch an. Seine For­derung: Ihm solle zeitlebens jedes Buch bezahlt werden, das er für seine Studien braucht. Aus dieser Vereinbarung wird die Warburg-Bibliothek hervorgehen.

Porträt von Aby Warburg: Warburg lesend
Aby Warburg, um 1900
© gemeinfrei / Wikipedia, Fotograf: unbekannt

Warburg studiert Kunstgeschichte und legt 1892 eine Doktorarbeit über Sandro Botticellis »Geburt der Venus« und »Primavera« vor, das erste Beispiel für eine moderne Auffassung dieser Wissenschaft. Die „grenzpolizeiliche Befangenheit" sei­ner Fachkollegen treibt ihn zunächst aus seinem Forschungsgebiet; er überlegt, ein zweites Studium zu beginnen.

Als er 1895 bei einer Reise in die USA die Hopi besucht und deren Bräuche studiert, zerstreuen sich jedoch seine Zweifel. Die kompakte, nahezu plakative Anschaulichkeit der indigenen Kultur, ihre unmittelbare Verbindung von Mythen, Bildern und Riten, bringt ihn zu sei­nem Hauptforschungsthema zurück: dem Nachleben der Antike in der Renaissance, vorwiegend untersucht für die Zeit des Kon­flikts, die Mitte des 15. Jahrhunderts, also lange bevor die anerkannten großen Meis­terwerke der Hochrenaissance entstehen.

Warburg wird im Hamburger Kulturleben außerordentlich aktiv und baut seine Bücher­sammlung aus. In einem Vortrag über »Dürer und die Antike« prägt er den Begriff „Pathos­formel"; bald spricht er auch von „Bilder­fahrzeugen", den beweglichen Trägern wie Teppichen, Druckgrafiken oder Ölbildern, mit denen die Bilder mobil werden und auf den „Wanderstrassen der Kultur" – eine weitere seiner Begriffsprägungen – die internationale Kommunikation bestimmen. Er stößt auf die Schriften von Franz Boll, die ihm das Gebiet der Astrologie eröffnen und die weiten Wege durch die arabische Welt aufzeigen, die das Wissen der Antike durchlaufen hatte, bevor es wieder in den europäischen Kulturraum eintrat. Auf dieser Grundlage kann Warburg 1912 das Rätsel der Fresken im Palazzo Schifanoia (Ferrara) entschlüsseln. Niemand hatte zuvor erkannt, dass für diese Malerei ein detailliertes Programm vorgelegen haben muss, mit einer Beschreibung aller Figuren: den Göttern und Helden der griechischen Mythologie, nach ihrer Rückübersetzung aus arabischen Quellen.

Die Bibliothek in seinem Haus in Hamburg ist in dieser Zeit schon eine Institution, die anderen Forschern zur Verfügung steht und von Fritz Saxl betreut wird. Vor dem Ers­ten Weltkrieg nimmt Warburg mit großer Besorgnis wahr, wie massiv die Menschen in der Krise vom Aberglauben erfasst wer­den. In einer Publikation über den Refor­mator Martin Luther und dessen Umgang mit der Astrologie stellt er das Problem ex­emplarisch dar.

Seit seiner Jugend wird Warburg von Depressionen geplagt; der Krieg bringt ihn nun zunehmend aus dem Gleichgewicht. Er verwandelt sein Haus in eine Beobach­tungsstation der Kriegspropaganda, plant sein Material in einem „Museum der Lüge" zu zeigen und erleidet, als der Krieg mit der Kapitulation Deutschlands endet, einen psychischen Zusammenbruch. Sechs Jahre hält ihn diese Krise in verschiedenen ge­schlossenen Anstalten fest. Seit 1921 wird er im Sanatorium Bellevue therapiert, das von Ludwig Binswanger in Kreuzlingen am Bodensee geführt wird. Dort gewinnt er langsam seine Stabilität zurück, wobei er selbst einen wesentlichen Schritt geht, als er 1923 im Sanatorium einen Vortrag über das »Schlangenritual der Hopi« hält. Dieser später legendär gewordene Versuch, sich selbst in die Rolle des Wissenschaftlers zurückzubringen, ist zum einen die Beschrei­bung und Vergegenwärtigung einer doch ziemlich ungewöhnlichen – um nicht zu sagen beängstigenden – Zeremonie, eine Bestimmung ihrer Funktion im Kontext der indigenen Kultur; zum anderen eine Selbst­analyse und Rückerinnerung seiner eigenen Expedition zu den Hopi.

Ebenso hilfreich für seine Genesung sind die Besuche von Fritz Saxl, der die Warburg-Bibliothek in diesen Jahren zu einer bedeutenden Einrichtung ausbaut. Warburg selbst erlebt den Austausch mit dem Philosophen Ernst Cassirer als entscheidende Ermutigung. Cassirer, seit 1919 Inhaber des Lehrstuhls der Philosophie an der Hamburger Universität, bestätigt seine Forschung und liefert insbesondere für seine Einschätzung der Bedeutung von Johannes Kepler wichtige Hinweise.

Mit schwarzem Stoff überzogene Tafel mit Bildreproduktionen.
Rekonstruktion der Tafel 32 (Sommer/Herbst 1929) mit den Originalen aus der Photographic Collection des Warburg Institute, London.

1924 kann Warburg nach Ham­burg zurückkehren. Er übernimmt die Lei­tung der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (K.B.W.), die inzwischen zu einer bedeutenden Institution der Wissenschaft geworden ist, und beginnt eine dichte Reihe von Vorträgen, die er mit der Präsentation von „Bilderreihen" verbindet. Auf der Basis dieser „Technik" formt er sein letztes großes Projekt, den Mnemosyne Bilderatlas.

1926 wird neben seinem Wohn­haus ein hochmodern ausgestattetes Ge­bäude eröffnet, in dem die K.B.W, unterge­bracht wird. In den nächsten Jahren entsteht in der Bibliothek eine „Forschungsgemein­schaft", die später als Hamburger Schule in die Geschichte eingehen wird: Erwin Panofsky, Edgar Wind, Fritz Saxl, Gustav Pauli, Raymond Klibansky, Ernst Cassirer, und Gertrud Bing – um nur die Bekannteren und den inneren Kreis zu nennen. In der Mitte ihrer Diskussionen konstruiert War­burg den Mnemosyne Bilderatlas, den er dort regelmäßig im praktischen Test prüft, erweitert und präzisiert. In einer umfangrei­chen Publikation soll er der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Im Frühjahr 1928 wird eine erste Version des Atlas mit 43 Tafeln fotografisch dokumentiert, im Herbst eine zweite mit über 70 Tafeln. War­burg reist nach Rom, um in der Bibliotheca Hertziana die Generalprobe dieses Projekts durchzuführen. Im Sommer 1929 entsteht eine dritte Version des Atlas; sie ist noch nicht endgültig durchgestaltet, als Warburg am 26. Oktober des Jahres einem Herzin­farkt erliegt.

________________________________

Text: Axel Heil, Margrit Brehm und Roberto Ohrt