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Anne-Marie Duguet: Werkzeuge und Gesten

Der Siemens-Stipendiat Eric Lanz

© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
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Anne-Marie Duguet, "Gastkünstler am ZKM. Werkzeuge und Gesten. Der Siemens-Stipendiat Eric Lanz", in: »Mediagramm«, Nr. 16, Juli 1994, S. 9
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Gemeinsam mit Bill Seaman, der im letzten Mediagramm [1994] vorgestellt wurde, teilt sich Eric Lanz das Siemens-Stipendium im ZKM-Institut für Bildmedien, das im Zusammenhang mit dem Medienkunstpreis vergeben wird.

Video ist das bevorzugte Instrument der Arbeiten von Eric Lanz, der seit 1983 Bänder und Installationen realisiert, und der Mittelpunkt einer Befragung von Technik und Technologie. Mit einem gewissen Humor und einer leichten Ironie beobachtet er letztere, indem er sie inszeniert, und macht sie sich zu eigen, indem er sie beschreibt. Es entsteht dabei eine Reihe von einzigartigen Versuchen, die er mit Eigensinn, Sorgfalt und System vorantreibt. Sie haben mit der klassischen Erzählung des Kinos nichts zu tun, und man könnte ihnen eher Verwandtschaften und Berührungspunkte beim experimentellen Film oder in der Ethnologie und sicherlich in der bildenden Kunst finden. Ich erwähne nur, daß Eric Lanz eine Abhandlung über das Buch des französischen Archäologen André Leroi-Gourhan »Le Geste et la Parole« geschrieben hat.

Seine ersten Arbeiten können den am Anfang der achtziger Jahre aufkommenden „neuen Fiktionen" zugeordnet werden; ihre Struktur beruht auf den Logiken und Prinzipien der Musik oder der Poesie, in denen der assoziative Modus über den kausalen Vorrang hat. Einige erzählerische Elemente bleiben darin bestehen, um mythologische Gestalten herum, die dem Künstler als Vorwand, als „imaginäre Anordnung" dienen. Die Titel dieser Arbeiten sind in ein Alphabet gefaßt: »S/Sisyphe«, »P/Pygmalion«, »V/Vénus«, »O/Orphée«, »E/Echo«, usw., reduzieren sich später auf einzelne Buchstaben: »T«, »I«, »Y«, um dann gar »ohne Titel« oder auch »Triptyque«  zu heißen, als der schon dünne Faden eines narrativen Aufbaus vollends verschwindet.

1990 beginnen die Reihen »Les Matières« (Die Materien), »Les Outils« (Die Werkzeuge), »Les Gants« (Die Handschuhe), »Les Gestes« (Die Gesten), die sich eher der Form eines Anschauungsunterrichts annähern. Eine zentrale Idee wird aufgestellt, ein Prinzip wird im vorhinein definiert, dessen Erkundung die verschiedenen Handlungen bestimmt. Der Bildschirm wird alsdann zum Ort eines Inventars - wie diese Tafeln aus Gegenstandskatalogen, die Max Ernst faszinierten - , zu einer Stätte des Experiments, wo sich Dinge vergleichen und ähnliche Vorgänge gegenüberstellen lassen, die je nach verwandter Form oder Funktion mit scheinbarer Strenge gruppiert sind, deren genaue Anordnung sich auf ein Raster bezieht. Die Quadrierung der Fläche bestimmt den Blick und die Bewegung. Die taxonomische Tätigkeit aber, welche sich das Ziel setzt, Ordnung in die Welt der Dinge einzubringen, wird ständig überholt und überfordert.

Nie wird das Werkzeug benannt, es wird in seiner Funktion beschrieben, und seine Bestimmung läßt sich nur im spezifischen Gebrauch erkennen oder verdeutlichen: schälen, graben, schneiden, usw. „Das Werkzeug existiert erst mit der Geste, die es wirksam macht", sagt André Leroi-Gourhan. Es kommt allein auf die Veränderung an, die es erlaubt. Genauso ist es die Bewegung der Hand gegen oder in einer Materie, die uns ihre Eigenschaften wahrnehmen läßt. Die Hand steht am Anfang aller Technizität.

Unter vertrauten Gegenständen wie Handschuhen oder Werkzeugen sind manche gebräuchlich und andere selten, ihrer Überspezialisierung wegen in Vergessenheit geraten, in ihrer Art extravagant. Ihre Beförderung in die elektronische Nahaufnahme, die Herausfilterung ihres Geräusches im Einsatz tragen dazu bei, sie außergewöhnlich und sehenswürdig zu machen. Die Handbewegung wird auch isoliert und genau auf die Ausführung einer spezifischen Funktion beschränkt. Da ist kein Platz für Unbestimmtheit.

Diesen Sammlungen, diesem aus Werkzeugen und Gesten zusammengetragenen Gedächtnis der modernen Zeit gilt es, einen Zugang zu verschaffen, und da setzt Eric Lanz ein zweites Inventar an, nämlich eines von interaktiven Prozessen und Systemen. Er stellt ihre Abruf-, Navigations-, oder besser: Abdriftvorgänge in Videobändern nach, die sich endlos aneinanderketten können. Ein ebenso fiktives Programm regelt diese Übergänge, ist aber nicht leicht nachzuvollziehen; es stellt jedoch schnell den Eindruck von mehrfachen Schichten her, die es gilt, zum Erscheinen zu bringen und zu durchwandern. Somit s(t)imuliert Eric Lanz die Verwicklung des Betrachters/Benutzers in einen Datenraum auch am Ort der Ausstellung. Die Kommandos mit der Hand (in den ersten Reihen wird das Prinzip eines Berührungsbildschirmes zitiert) oder mit der Stimme lösen einen Erkundungsprozeß aus, lassen uns Gattungen wechseln, von der Art zum einzelnen Werkzeug und von ihm zur Verrichtung, die es bestimmt, übergehen. Auswählen, fortfahren, stoppen, zurückkommen, die Geschwindigkeit beeinflussen, das sind elementare Funktionen, sie bilden die Grundlage der Interaktivität. Aber der Reiz an dieser Arbeit von Eric Lanz ist, daß er die Hand zeigt, die ausführt, aber auch die Hand, die bestimmt. Die Hand selbst ist zur Schnittstelle geworden.

Während seiner Zeit als Stipendiat am ZKM führt Eric Lanz seine Untersuchungen der Handbewegungen und deren virtuellen Simulationen weiter. »Dictée« ist eine erste daraus entstandene Arbeit. Dabei wandelt sich der Monitor von der (Berührungs-)Fläche zu einem handtiefen Raum, in dem mit der Idee von Gestenerkennung und -ausführung experimentiert wird. Von den zwei Händen, die anscheinend in diesem dreidimensionalen Raum koexistieren, obwohl sie auf zwei unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind, befiehlt die eine der anderen über ein hypothetisches Einlese-, Übertragungs- und Motoriksystem. Die ausgeführte Bewegung findet trocken, ohne Gegenstand statt, so daß allein der Ton uns die imaginierte Handlung bestätigen kann. Indem Eric Lanz simultan den Befehl und seine Ausführung konfrontiert, die vorschreibende und die bewirkende Geste, setzt er seine ironische Aneignung der letzten technologischen „Neuigkeiten" fort, wie gewisse Zugriffs- und Manipulationsinstrumente zur Fernsteuerung im virtuellen Raum.

Eine solche Arbeit, welche die kritischen Eigenschaften der Simulation ausnutzt, ist weit davon entfernt, den Betrachter zu  frustrieren, indem er ihm nur in übertragener Weise Eingriff gewährt, ganz im Gegenteil gibt sie dem spielerischen Umgang, welcher diesen Technologien zugrunde liegt, neuen Aufschwung. Die Spannung und die Überraschung werden bei der schrittweisen Entdeckung dieser Arbeiten, die sich in ziemlich freien und doch strikt gehaltenen Assoziationen aneinandergliedern, stets erneuert. Dies ist eine wesentliche Nuance im Geist dieses Werkes und weitgehend verantwortlich für das Vergnügen, was es bereitet.

 

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