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Einführung in die Ausstellung »net_condition«

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Peter Weibel

Kunst / Politik im Online-Universum

Eine neue Welt wird konstruiert. Die Welt geht online. »net_condition« will mit all ihren Ausdrucksformen als Versuch und Angebot verstanden werden, diese neue Welt, Online-Präsenz und -Partizipation innerhalb eines Museumsraumes zu artikulieren.

Die Online-Kommunikation schafft neue technische Voraussetzungen für die Globalisierung. Eine neue Ökonomie entsteht, die nicht mehr vorwiegend produktbasiert, sondern zeitbasiert ist. Das Netz ermöglicht eine Umstellung der Ökonomie, wobei nicht mehr das Produkt bezahlt, sondern sein Gebrauch nach Zeiteinheiten verrechnet wird. Dadurch verschieben sich die zentralen Kräfte der wirtschaftlichen Entwicklung von der primären Sphäre der Produktion in den sekundären und tertiären Sektor der Vertriebs-, Dienst- und Kommunikationsleistungen. Vom Wissensmanagement bis zum „e-commerce“ wird die Verschlüsselung des Informationsflusses zur eigentlichen Quelle des Kapitals. Die historischen Begriffe von Arbeit, Information, Eigentum und Urheberschaft werden im Online-Universum durch kryptographische Codes stabilisiert und verschärft. Netzbasierte Ökonomie erfordert eine Umwälzung unserer historischen Vorstellungen von Gesellschaft und Subjekt. Fragen der sozialen wie privaten Sphäre, von der Politik einer telematisch geformten Gemeinschaft bis zur Identitätspolitik der Geschlechter, werden durch das Netz auf neue Weise gestellt. Der Aufstieg der Netzgesellschaft (»The Rise of the Network Society«, Manuel Castells, 1996) im Informationszeitalter hat nicht nur neue ökonomische und soziale Dynamiken, sondern auch neue kulturelle Kommunikationsformen erzeugt. Die Gesellschaft vernetzt sich, um sich als Informationsgesellschaft auszudifferenzieren. Es gibt also gesellschaftliche Bedingungen, welche die Entwicklung des Netzes erfordern und fördern. Das Netz wiederum liefert die Möglichkeiten und Bedingungen, mit denen die Informationsgesellschaft sich weiterentwickeln kann. In diesem Sinne ist der Titel der Ausstellung zu verstehen: als soziale wie technische Bedingung, die von der Kunst reflektiert wird. Diese Ausstellung heißt nicht net.art, sondern »net_condition«, weil sie die sozialen Bedingungen thematisiert, die das Netz erzwingen, und gleichzeitig die neuen Bedingungen erforscht, die das Netz selbst der Gesellschaft und der Kunst aufzwingt. Das globale Netz ist der Motor einer radikalen ökonomischen, sozialen und kulturellen Umwälzung zu Beginn des nächsten Milleniums, dessen Konturen in der Ausstellung erstmals sichtbar werden.

Die Netzkunst, von physischen lokalen Installationen bis zu weltweit vernetzten Spielen, ist das Forum geworden, in dem viele der Sozialrevolutionären Hoffnungen der historischen Avantgarden und Aufklärungsbewegungen, wie Vertragsfreiheit, Chancengleichheit und interkulturelle Emanzipation, neu artikuliert werden. Netzbasierte Installationen prägen nach der videobasierten Skulptur der 80er Jahre und der computerbasierten interaktiven Installation der 90er Jahre den aktuellen Mediendiskurs. Das Interesse dieses Ausstellungsprojektes gilt der Untersuchung, welche neuen Bedingungen das Netz den historischen Medien und den historischen sozialen Kommunikations- und Wirtschaftsformen aufzwingt. Jedes neue Medium verliert und gewinnt gegenüber den vorhergehenden Medien einige Eigenschaften. Daher kommt es durch das Entstehen neuer Medien nicht zur Auslöschung der alten Medien, sondern vielmehr unterwerfen die neuen Medien die alten Medien ihren Bedingungen. Die von Rosalind Krauss definierte „photographic condition“ hat die Malerei verändert, Video hat den Film verändert, die digitale Technologie hat Film und Video verändert etc. Das Netz verändert als technisches Dispositiv die Musik, die visuelle Kultur und die Literatur. Das Netz im virtuellen Raum steuert die Abfolge von Ereignissen im realen Raum und die Ereignisse im realen Raum steuern die Abfolge von Ereignissen im virtuellen Netzraum. So werden Brücken zwischen den realen und virtuellen Räumen geschlagen. Verteilte virtuelle Realität, „shared Cyberspace“, nicht-lokale Kommunikation, „multi user environments“ und Netzspiele bilden daher die Schwerpunkte dieser multilokalen vernetzten Ausstellung, die zugleich in Karlsruhe (ZKM), Graz (steirischer herbst), Tokyo (ICC Intercommunication Center) und Barcelona (MECAD Media Centre d'Art i Disseny) stattfindet. Vor Ort wird dabei die »netz_bedingung« nicht nur in Hinblick auf die Bildmedien, sondern auch auf die Klangmedien untersucht, und so formt netzbasierte Musik einen weiteren wichtigen Aspekt.

Auf den Nachweis spezifischer Produktionsprozeduren der interaktiven Online-Kommunikation im Netz wird in einer von Walter van der Cruijsen kuratierten Lounge fokussiert. Hier werden die Vielfalt der virtuellen Nachbarschaften, der zahllosen urbanen Projekte, sozialen Interventionen und Meinungsforen anhand von Vorträgen oder Performances vorgestellt. In einem News-Room hat der Besucher zusätzlich die Möglichkeit, sich umfassend über Kunst und Politik im Online-Universum zu informieren.
 
Benjamin Weil, Begründer von äda'web und Netzkurator am ICA London, präsentiert eine Anzahl von historisch wichtigen Beispielen der Netzkunst, die zeigen sollen, welche Bandbreite diese Kunstgattung innerhalb ihrer kurzen Geschichte entwickelt hat. Diese Positionen schaffen einen Rahmen für Vergleichsmöglichkeiten und die Entwicklung ästhetischer Kriterien für die netzbasierten Kunstwerke. Zudem fordern Kunstwerke, die direkt zwischen Graz, Barcelona, Tokyo und Karlsruhe verbunden sind, zu einer kooperativen Interaktion mehrerer Besucher auf.

Die moderne Kunst schuf als Reaktion auf die maschinengestützte industrielle Revolution das ästhetische Objekt als geschlossenes System. Die Nachmoderne schuf als Reaktion auf die postindustrielle Revolution der Informations-Gesellschaft eine Kunst der offenen Zeichen- und Handlungsfelder. Netzkunst ist im Augenblick die treibende Kraft, welche das geschlossene System des ästhetischen Objekts der Moderne am radikalsten in das offene System der Handlungsfelder der Nachmoderne transformiert.
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Jeffrey Shaw, Institut für Bildmedien

Radical Software

Die Geschichte der Netzkunst ist die von Werken, deren konstituierendes Element ebenso wie ihre Schwäche die Besonderheiten der derzeitigen technischen Bedingungen sind. Die Einzigartigkeit der Technologie hat neue Modalitäten der Interkommunikation hervorgebracht, getrieben von einer Notwendigkeit, die Evolution dieses Mediums mit der Evolution neuer kultureller Erfahrungen und Werte zu synchronisieren. Es scheint, als würde das Internet tatsächlich zu dem ubiquitären Informationsraum, der alles mit allem verbindet. Sämtliche Medien werden durch diese Konvergenz in einer einzigen Technologie zusammengefaßt, die beliebig konfiguriert werden kann. Die sich immer wieder verändernde Struktur der Interkommunikation wird nicht länger die Folge ihrer technischen Beschränkungen sein, vielmehr werden die Inhalte die Gestaltung bestimmen. Diese Hyper-Verbindung befindet sich derzeit noch in einem Stadium der Entwicklung, kann aber bereits durch Intra-Netz-werk -Modelle mit überzeugenden Inhalten die Viabilität der verschiedenen Richtungen künstlerischer Aktion im Bereich des „distributed computing“ aufzeigen.
 
Die Arbeiten in »net_condition«, die am Institut für Bildmedien produziert wurden, sind Beispiele hierfür. An ihnen lassen sich die Voraussetzungen des kommenden Netz-Verkehrs prüfen, in dem unverbindliche Intimitäten erfahrbar sind. Shane Coopers »Remote Control« nutzt die Nachrichtenströme des Internet und setzt die Texte, die von einem virtuellen Nachrichtensprecher gesprochen werden, auf poetische Weise neu zusammen. Ken Feingolds »Seance Box No. 1« ist eine orakelhafte Modellbühne für die Interaktionen zwischen unseren diversen Verkörperungen in realen, virtuellen oder in Ersatz-Welten, wie wir sie schonbald erleben werden. Knowbotic Research entwirft mit »10_dencies« ein vernetztes Kommunikationsmedium, das Stadtplanern eine einzigartige Umgebung für Austausch und Reflexion bietet. Masaki Fujihatas »lmpressing Velocity« ist eine beispielhafte Untersuchung der Bedingungen von Teleoperationen und Telepräsenz. Jeffrey Shaws »Distributed Legible City« erlaubt Radfahrern, die sich an entfernten Orten befinden, sich in einer künstlerisch definierten, virtuellen Umgebung zu treffen und zu unterhalten. Und Blast Theorys »Desert Rain« verbindet Körper-Theater mit vernetzter Virtualität, um eine interaktive, polemische und erzählerische Erfahrung zu vermitteln. Es ist bezeichnend für den veränderten Stellenwert künstlerischer Forschung, daß viele dieser Arbeiten im Rahmen von ESPRIT, dem EU-Forschungsprogramm zur Informationstechnologie, entstanden sind.
 
Netzbedingung ist ein Zustand, eine Möglichkeit und ein Dilemma. Sie hat vor unsere Monitore ein Gitter gespannt, das das Terrain der sich entwickelnden intelligenten Informationsräume zugleich verbirgt und enthüllt. Diese gemeinsamen Umgebungen, die Verkörperungen auf allen Ebenen erlauben, sind vor allem soziale Räume, in denen ein Werk nicht mehr nur reine Darstellung ist, sondern in denen es die Struktur und die Kosmologie dieser Räume ebenso bestimmen kann wie die Aktivitäten, die in ihnen stattfinden.
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Hans-Peter Schwarz, Medienmuseum

Netzwerkkunst im Museum

Weg mit den High-End Animationen, ins Depot mit der Silicon-Graphics World! Die Onyx-Maschinen sind die Saurier einer untergegangenen Cyberworld.
Dies könnte das Motto sein, mit dem eine radikale Gruppierung von Medienkünstlern sich anschickt, Schluß zu machen mit der High-Tech Faszination der 90er Jahre, als der Zugang zu Reality Engines Voraussetzung für die erfolgreiche künstlerische Arbeit mit Medien war.

Unter dem Label Net.art konstituiert sich diese Strömung als erste (?) Avantgarde des 21. Jahrhunderts. Als Diskurs zwischen den einzelnen Gruppierungen der Medienkünste versucht sie sich, einer eigenen Geschichte zu versichern, um diese Attitüde als notwendige Grundhaltung der Medienkunst insgesamt zu legitimieren: Net.art bezieht sich, nicht ganz zu Unrecht, auf die frühe Videokunst, die mit ihrem Aggressionsakten gegen das Medium Fernsehen zwar gescheitert, aber grandios gescheitert ist.

Es gibt Parallelen. Allerdings sind selbst die radikaleren Vertreter der Netzkunst, die dadaistischen Hacker oder Gruppen wie JODI, an einer eher spielerischen Dysfunktionalisierung der Software interessiert, mit der durchaus politischen Implikation allerdings, daß hierdurch die gesellschaftliche Determination der Browser und Plug-ins, der sozial geregelte Zugriff auf die Cyberwelt in Frage gestellt werden könnte. Auf jeden Fall wird ein gemeinsames Interesse am Content deutlich, daß heißt hier an den kommunikativen Strukturen und Möglichkeiten des Mediums.

Was für den Beitrag des Medienmuseums zur »net_condition« Ausstellung weiterhin von Bedeutung ist: Trotz aller legitim verständlichen, notwendigen Ausbruchsversuche aus dem Betriebssystem Kunst ist das Museum in unserer Gesellschaft immer noch das Experimentierfeld für die Querdenker und Neuerer. Allerdings muß dieser Ort immer wieder neu entwickelt und erobert werden. Und deswegen habe ich Arbeiten ausgewählt, die auf jeweils eigensinnige Weise den Ort des Museums erweitern.

Da ist zum einen die Arbeit »The Tables Turned« von Paul Sermon, die gewissermaßen eine Theatralisierung des virtuellen Raumes darstellt. Sie ermöglicht, innerhalb des Museums neue Kommunikation und Verhaltensweisen zu erproben und steht damit in ganz besonderer Weise in der Tradition der von unter anderem Roy Ascott initiierten Communication-Art. »Difference Engine #3« von Lynn Hershman, ist zusammen mit den frühen allerdings etwas esoterischen Experimenten von Knowbotic Research einer der ersten künstlerischen Mixed-Reality Installation überhaupt. Und das »Humbot« Projekt von Pocock, Noll, Wenz, Burckhardt, Cabot, Staehle u.a. geht aus von einem aktualisierten Interesse an den Forschungen des Universalisten Alexander von Humboldt, und nutzt dessen Arbeiten zu einer besonderen Instrumentalisierung der Vernetzungsstrukturen im Bereich der sprachlichen Internet-Kommunikation. Alle drei Projekte loten auf ganz eigensinnige Weise die »net_condition« aus, nicht nur im virtuellen Raum sondern dort, wo sie uns alle besonders angehen: im Grenzbereich zwischen realen und virtuellen Welten,
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Johannes Goebel, Institut für Musik und Akustik

Das Netz und music_condition

Mit den Computernetzwerken sind wir noch auf der Suche nach etwas 'Netztypischem' für die Musik in der Gegenwart: Welche Bedingungen stellt das Netz und welche Bedingungen stellen wir dem Netz - was fordern wir der neuen Technologie in einer 'realen Utopie von Kunst' ab?
„Im Mittelpunkt eines kreativen Lernprozesses steht die Verlagerung von funktionellen Bedingungen im Wahrnehmen, Denken und Handeln auf mobile Methoden, die zur Selbsttätigkeit und Selbstentdeckung führen. Diese implizieren ein produktives Denken und Handeln, das nicht auf Resultate eingestellt ist, sondern auf operative Prozesse...". Dieses Zitat aus dem Jahr 1972 bezog sich nicht auf Computer, sondern auf Musik. Die Diskussion über 'Individuum und Kollektiv' im Zusammenhang mit 'Demokratisierung und Freiheit' hat in diesem Jahrhundert zu neuen künstlerischen Produktions- und Rezeptionszusammenhängen geführt. In den 60er und 70er Jahren standen 'operatives Handeln' und 'Kreativität aller' im Mittelpunkt vielfältiger künstlerischer Richtungen. Die 90er stellen das Computernetz bereit. Wieder begegnen uns heute ähnlich lautende Ansätze. Man könnte betrachten, wo des Kaisers neue Kleider geschneidert werden oder ein erhofftes Sinnvolles aufgetan wird.

Die von Golo Föllmer ausgewählten Musikprojekte bei net_musician lassen exemplarisch Richtungen erforschen, die den Musik Spielenden im Netz bereitgestellt werden. • Die drei Installationen des Instituts für Musik und Akustik setzen verrückende Akzente: In »Truth in Clouds« wird Kontakt zu Netzen einer anderen, magischen Art aufgenommen. Die »Musiktruhe Rheingold« schleust als Zeitmaschine Radiostationen des Internet in ein Wohnzimmer der 50er Jahre, »capital magnetic« verwandelt einen Bankautomaten in einen der persönlichen Kreditkarte angepaßten Musikautomaten. • Eine Cyber-Session zwischen Kalifornien und Baden verbindet Musiker direkt über das Internet. Dagegen filtert sich Scanner das Ausgangsmaterial für seine Musik aus den Datenströmen des Internet und aus den uns umschwebenden Netzen der drahtlosen Kommunikation. • In einem Konzert wird das interne ZKM-Audionetzwerk wesentlicher Teil der Aufführungen: Eine neuartige Version des Live-Elektronik-Klassikers »l Am Sitting In a Room« von Alvin Lucier verwendet Räume des ZKM simultan als Resonatoren. Beim »Fiber Jelly« remixen sich sechs Live-Elektroniker in separaten Studios verbunden über das Glasfasernetz. • Zur Eröffnung von »net_condition« werden The User in ihrer »Symphony #2 for Dot Matrix Printers« ein vernetztes Ensemble von Computern und Nadeldruckern zum Drucken und Tönen bringen, und Mark Trayle erbittet Ihre Kreditkarten für eine Performance von »capital magnetic«.  Zur Zeit hat das Netz für die Musik hauptsächlich auf dem Gebiet der Distribution tiefgreifende Folgen. Daraus ergeben sich Veränderungen der ökonomischen und kulturellen Bedingungen von Produzenten und Hörern. Es ist wohl nur sehr leise abhörbar, wie das Netz eine spezifische Musik hervorlockt.
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Walter van der Cruijsen, ZKM-online

»theLounge«

»theLounge«, Treffpunkt für Öffentlichkeit, Künstler und Kulturaktivisten, spielt in der Ausstellung »net_condition« eine wichtige Rolle. In diesem Mixed-Media-Environment kann das Publikum im Netz browsen, suchen, interagieren, an Online-Foren teilnehmen, mit Web-Cams entlegene Orte besuchen und Informationen über Internet-Projekte abrufen, die im Rahmen der Online-Kultur bei »theLounge« präsentiert werden. Trotzdem ist dieses Environment nicht ausschließlich der Kunst im Netz (net.art) gewidmet, sondern präsentiert auch Arbeiten, die in einem größeren Zusammenhang gesehen werden wollen, nämlich der kulturellen und politischen Auswirkungen der Telekommunikations- und Informationstechnologie auf unser Alltagsleben - insbesondere auf die Wahrung der Informationsfreiheit und den Schutz der Privatsphäre.
 
Um »theLounge«, angesiedelt in der Mitte des Ausstellungsraums, mit Leben zu füllen, wurden Künstler und unabhängige Medialabs eingeladen, in diesem Environment ihre Werke, Programme und Online-Aktivitäten vorzustellen. Man kann hier nicht nur im Web surfen oder an einem Chat-Channel teilnehmen, sondern auch richtig arbeiten, sich am ZKM-online-Forum beteiligen, Printouts anfertigen und Bilder einscannen. Neben den technologischen Aspekten bietet »theLounge« aber auch eine Ruhezone, in der man einfach nur sitzen und zuschauen, lesen oder mit anderen Besuchern über Kunstwerke diskutieren kann.

Ein wichtiges Element von »theLounge« ist der work space, der den eingeladenen Medialabs zur Verfügung steht. Diese Labs veranschaulichen, wie Künstler und Kulturaktivisten die Internet-Technologie einsetzen und wie diese die Kunst beeinflußt hat. Im Abstand von zwei Wochen wird »theLounge« verschiedene Events präsentieren, die jeweils von einem Medialab und einer der eingeladenen Künstlergruppen moderiert werden wird. Das Programm wird in der Regel aus Künstlerpräsentationen, Performances, Workshops oder Podiumsdiskussionen bestehen. Einige der Beiträge werden sich mit der Manipulation von Informationen auseinandersetzen, andere mit Alternativen zu gängigen Web-Browsern. Die Syndicate Mailinglist, ein Forum für Künstler und Kulturkritiker in Osteuropa, präsentiert ihr jüngstes Buch und organisiert einen Workshop.

Es gibt gute Gründe dafür, neue und alte Computer, gute und schlechte Verbindungen, digitale und analoge Medien zu verwenden. Künstler benutzen das Web nicht nur zur (Selbst-)Darstellung, sondern auch als ein Observatorium. Der Code ist ihr Material, das Netz ihr Arbeitsplatz. Die mit »theLounge« assoziierten Künstlerprojekte zeigen zum Beispiel in einen bewegten ASCII-Text konvertierte Videobilder; Vorschläge, was man mit einem defekten Computer machen kann, sowie Entwürfe für ein Business-Modell zur Lösung des Y2K-Problems. Um das ZKM wird ein Roboter streifen und Texte, die von »theLounge«-Usern eingegeben worden sind, auf den Boden sprühen. Ab 0.00 Uhr im Jahr 2000 wird »theLounge« - oder zumindest ein Teil der Installation - dann definitiv vom Netz gehen.
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Benjamin Weil

Plain.html: Anmerkungen zum Blick auf die netz.geschichte

Mit einer gehörigen Prise Humor kann ein Versuch unternommen werden, einen Blick auf die Geschichte der Online-Kunst zu werfen. Denn wie soll man Kategorien für die Beurteilung einer künstlerischen Praxis finden, die noch keine fünf Jahre alt ist?

Die ersten künstlerischen Experimente im Netz dürften inzwischen ähnlich überholt wirken wie ein Film der Brüder Lumiere, doch wie diese besitzen auch die digitalen Werke schon historische Bedeutung und haben nichts von ihrer Relevanz eingebüßt. Das hat damit zu tun, daß sie sich der im Entstehen begriffenen Netz-Kultur auf kritisch-distanzierte Weise nähern und zu Gedanken über die zahlreichen durch dieses Medium ausgelösten Veränderungen auffordern: den Wissenstransfer, die Konsumgewohnheiten, die Sorge, 'unternehmenseigene' Bürger zu werden. Auch untersuchen sie, wie traditionelle narrative Strukturen in Frage gestellt werden. Sie entwickeln eine Repräsentationsstrategie jenes Technoscapes, in dem wir uns zunehmend bewegen. Durch den bewußt einfachen Code erinnern diese Projekte daran, daß die Hypermedia-Struktur noch immer ihrer Erkundung harrt, statt, dem allgemeinen Trend folgend, zu einem senderartigen, kontrollierten Environment zu transformieren.

Eine Auswahl von Websites (H. Bunting, C. Closky, V. Cosic, H. Friese, 0. Lialina, A. Muntadas, M. Napier, M. Samyn, V. Selbo, A. Shulgin, J. Tilton, M. Wisniewski) anläßlich einer Museumspräsentation wirft zwangsläufig Fragen hinsichtlich der Integrität des Werkes auf: Die Veränderung der "natürlichen" Sehbedingungen, das Vergrößern der Monitorproportionen und das Browsen als öffentlicher Vorgang schaffen ein neues Paradigma für
das Erleben dessen, was ursprünglich für den Monitor und als 1:1 -Verhältnis zwischen Projekt und Benutzer konzipiert war. Darüber hinaus wird indirekt ein Präzedenzfall für Museumsstrategien geschaffen, soweit die Integration dieser neuen Kunstform davon betroffen ist.

Indem das Museum Werke, die es selbst für gute Kunst erachtet, konserviert, sammelt und präsentiert, begründet es eine Hierarchie und stellt Kategorien bereit, mittels derer sich das Werk in einem bestimmten Kontext verorten läßt. Eine recht schwierige Aufgabe, wenn es um vernetzte Medien geht! Bei der Produktion der Werke wird kaum Rücksicht auf ihre Konservierung genommen, und die Tatsache, daß die meisten Arbeiten mit derselben kommerziellen Soft- und Hardware produziert und rezipiert werden, hat ihre zunehmende Abhängigkeit von der sich ständig weiterentwickelnden Technologie zur Folge. Net.art wird durch dieselbe Technologie gefährdet, die ehemals von den net.artists als Alternative zu den von ihnen abgelehnten Distributionswegen der Kunst ins Auge gefaßt worden war. Sollte das Museum daher als Hüter dieser dezidiert profanen Werke fungieren? Sollten online tätige Künstler darüber nachdenken, wie sie ihr Projekt dem spezifischen Kontext der Institution entsprechend „umfunktionalisieren“ können? Diese Fragen müssen ebenso überdacht werden, wie die nach Sehbedingungen, Konservierungsbemühungen und Sammelstrategien, damit diese Kunst ohne Verzerrung ihrer ursprünglichen Konzeption integriert werden kann.
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Golo Föllmer, Universität Halle, Berlin

net_musician

Der Computer ist mit seiner Vernetzung zum musikalischen Kreativitätsfeld vieler geworden: Experimentatoren aus der Techno-Szene und systemisch denkende Software-Spezialisten treffen hier auf den klassischen Komponisten. Über das Netz werden Musiksoftware, Audiodateien und Know-How ausgetauscht, verbinden sich Menschen zum weltweiten Musikmachen, werden Laien ad hoc zu musikalischen Interpreten - jeder Haushalt ein potentielles Tonstudio. Im net_musician-Raum wird die Frage laut: Werden Mensch-Maschine-Interaktion, Hypertext-Prinzip, telematische Intimität und neue soziale Strukturen des Netzes unsere Vorstellungen von Musik verändern?

Peter Traubs automatische Kompositionssoftware »Bits & Pieces« grast täglich das Netz nach Audiodaten ab und produziert so unablässig kleine musikalische Abbilder des 'Archiv Internet'. DJ Spookys spirituoses Techno-Game »AbsolutDJ« verlangt musikalisches Talent und nüchternes Kombinationsvermögen. Klaus Gasteier überträgt mit »Dumb Angel« das Hypertext-Prinzip auf den interaktiven Kompositionsprozeß der nie veröffentlichten Beach Boys-Hinterlassenschaft SMiLE. Im virtuellen Studio des öffentlichen Midi-Pools von Res Rocket Surfer vernetzen sich Musiker zu interkontinentalen Jam Sessions. Sergi Jordäs FMOL (F@ust Music Online) läßt kleine Musikstücke in einer vernetzten Datenbank austauschen und weiterentwickeln. Föllmers Link-Seite »hudba 3000« schließlich öffnet mit »summer 99« von sha und führt durch musikalische Aktivitätszonen des Netzes.

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