Holger Czukay

Videoarchiv

Jahresrückblick 1982 (Ausschnitt / excerpt)

Dass der bekannte Musiker Holger Czukay, Mitbegründer der Band Can, auch als Videokünstler tätig war, zeigt sein Nachlass im Umfang von 600 Videobändern, der seit 2019 im Archiv des ZKM bearbeitet wird.

Holger Czukay wurde am 24. März 1938 in Danzig geboren und wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg in Duisburg auf. Als Jugendlicher arbeitete er in einer kleinen Radiowerkstatt, reparierte Radio- und Fernsehgeräte und brachte sich autodidaktisch das Gitarrespielen bei.

„Diese Tüftelei, das liegt nur daran, dass man natürlich möglichst alles selber machen will. Also ich bin eigentlich neugierig, so wie ein Tier neugierig sein kann, und ich versuche da einfach dran zu kommen. Selbst als kleines Kind direkt nach dem Krieg hatte ich also schon zwei Volksempfänger und zwei deutsche Kleinempfänger und mit einem roten Rücklicht… Irgendwie hatte ich schon immer von Anfang an auch diese Vision von einem Studio gehabt, das ich mal eines Tages bei mir zu Hause haben werde. So ist es auch gekommen.“

Ab 1963 studierte er bei Karlheinz Stockhausen in dessen Kompositionsklasse für Neue Musik an der Kölner Musikhochschule. Die Band Can, die er im Frühjahr 1968 zusammen mit seinem Kommilitonen Irmin Schmidt gründete, verstand sich in erster Linie als eine Gruppe, die experimentieren und vieles anders machen wollte.

„Ich bin bei Can gestartet als jemand, der eigentlich alles verlernen wollte, was er gelernt hatte, und damit konnte ich auch nichts, damit war ich ein universaler Dilettant.“

Die Bandmitglieder kamen aus den unterschiedlichsten Musikrichtungen. So vermischten sie nicht nur die Genres Rock, Jazz, Neue Musik und elektronische Musik, sondern erweiterten und veränderten auch die bis dahin üblichen Aufnahme- und Produktionsmethoden. Repetitive Klangstrukturen und ausgedehnte Improvisationsteile zeichneten die musikalische Eigenart der Gruppe aus, wobei Czukay eine besondere Rolle zukam, da er nicht nur den E-Bass spielte, sondern auch sämtliche Recorder, Sampler und Schnittgeräte bediente und als Toningenieur fungierte. Bekanntheit erlangte die Band 1970 durch mehrere Filmmusiken, unter anderem für »Das Millionenspiel« von Tom Toelles und »Deadlock« von Roland Klick. Es folgten acht Jahre mit insgesamt 12 Studio- und vier Live-Alben und Auftritten in der ganzen Welt.

Kurz vor der Auflösung verließ Czukay 1977 die Band, um in den folgenden Jahren als Assistent des Produzenten Conny Plank mit zahlreichen international bekannten Musikern wie den Eurythmics, David Sylvian oder Brian Eno zu musizieren. Czukay spielte nun nicht mehr nur Bass, sondern auch Gitarre, Klavier, Schlagzeug, aber auch Waldhorn und viele andere Instrumente. Es folgten Soloalben mit Songs wie »Cool in the Pool« (1979), Kollaborationen mit Jah Wobble (»Full Circle«, 1982) und Air Liquide (»Clash«, 1997).

Czukays Arbeit mit Video begann ebenfalls in der Zeit nach seinem Engagement bei Can. Wie schon in der Musik schuf er auf experimentelle, minimalistische und humorvolle Weise Musikvideos (zu »Cool in the Pool«, 1978), Trickfilme (»Hoolah Hoolah«, 1990) und sogenannte „Videoansprachen“. Beispielhaft dafür ist das Video »Jahresrückblick 1982« (1982): In seinem Tonstudio, zwischen vielerlei Geräten und Synthesizern, wendet Czukay sich direkt an die Zuschauer und sinniert auf ironische Weise über das 20. Jahrhundert. Das Video erschien 1983 in der zweiten Ausgabe des Videomagazins »Infermental«, das Teil der Videosammlung des ZKM ist.

„Ich bin der Meinung, dass das Video so was ist wie ein Zweikomponentenkleber zwischen Bild und Ton. Die Bilder haben erstmal einen rhythmischen Ablauf und sie vermitteln auch eine bestimmte Stimmung. Dass sie große Storys erzählen, ist mir nicht so wichtig. Beim Video ist die Logik nicht so wichtig, als wie zum Beispiel Farbe und Rhythmus.“

Seine Rolle als universaler Dilettant reflektierte Czukay wiederum im Kinofilm »Krieg der Töne« von Michael Meert (1987), in dem er sich selbst als erfolglosen Musiker spielt, der ein ungezogenes Kind zur Musik bringt. Die Kameraoriginale des Kinofilms befinden sich ebenfalls in Czukays Nachlass im ZKM. 

„Ich selber sehe mich als Doktor, nämlich Doktor Frankenstein des digitalen Zeitalters. Und zwar: alles, was ich eigentlich tue, läuft nach der Methode eines siegreichen Eroberers, so wie die Römer das gemacht haben. Sie haben erstmal ein Land erobert und dann haben sie gesagt: teile und herrsche. Das ist eigentlich meine Technik. Ich gehe hin und schneide alles auseinander und teile praktisch Dinge und verpasse ihnen ein Anfang und ein Ende. Und mit diesen abgeteilten Dingen herrsche ich, musikalisch wie auch im Bild. Und daraus baue ich eigentlich die Sachen zusammen.“

Nach Czukays Tod am 5. September 2017 wurde der gesamte Videonachlass dem ZKM übergeben, um im Labor für antiquierte Videosysteme restauriert und digitalisiert zu werden.

Text: Christian Haardt

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