Beschreibung
Cornelius Borck, McGill University Montreal:
Visualisierung ist für die Neurowissenschaften weder neu noch spezifisch. Die modernen Bildgebungsverfahren in der Hirnforschung haben sich jedoch über die Massenmedien bemerkenswert weit und schnell verbreitet und genießen die Aufmerksamkeit einer besonders breiten Öffentlichkeit. In verschiedener Hinsicht scheinen diese Darstellungen perfekte Bilder zu sein; sie stellen die Topographie des menschlichen Gehirns mit außergewöhnlicher morphologischer Schärfe am lebenden Objekt dar und heben gleichzeitig Zentren funktioneller Aktivität hervor. Stellen von besonderem Interesse können mit bisher unbekannter Genauigkeit dargestellt werden und beeindrucken als beispielloses Beweismaterial. Obwohl sie Ergebnis fortgeschrittener Datenmanipulationsverfahren sind, sehen diese Bilder dennoch bemerkenswert natürlich aus und scheinen die Natur des menschlichen Geistes zu offenbaren. Historisch betrachtet teilen jedoch die modernen Bildgebungsverfahren dieses Potenzial, die Faszination der Öffentlichkeit zu entfachen, mit früheren Fortschritten in den Neurowissenschaften, und besonders mit früheren Strategien, das Gehirn in seiner funktionellen Organisation zu visualisieren. Von Paul Flechsigs anatomischer Demonstration der Bahnen des Denkens über Oskar Vogts Identifizierung des Zellsubstrats für Lenins intellektuelle Akrobatik bis hin zur Online-Beobachtung des arbeitenden Gehirns durch die Elektroenzephalographie gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie neue Visualisierungsverfahren Perioden vermeintlicher Durchbrüche in der Geschichte der Neurowissenschaften markiert haben. In dieser Perspektive scheint ein Zoom-in-Effekt, der mit jeglicher neuen Technologie einhergeht, die Maschinenbilder mit einer besonderen Glaubwürdigkeit für weitreichende Ansprüche aufzupolieren. Dies wiederum erfordert eine sorgfältige epistemologische Bewertung visueller Beweismaterialien.