Florian Rötzer: Die Schönheit eines brennenden Autos
Bilder als Waffen
- Erstellungsdatum
- Dauer
- 36:35
Beschreibung
Florian Rötzer, Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis:
Bei jedem großen Ereignis der letzten Zeit konnten wir damit rechnen, dass wir in kürzester Zeit Bilder sahen, die von sogenannten Amateuren stammen und über das Fernsehen, vor allem über das Internet verbreitet wurden. Uns spätestens seit den Anschlägen vom 11.9. und dem Krieg im Irak wissen wir, dass Bilder von Drohnen, Satelliten, Raketen, Kameras und anderen Sensoren ebenso wie Simulationen nicht nur für den unmittelbaren Kampf unverzichtbar wurden, sondern dass sie direkt als Waffen wirken und eingesetzt werden, mit denen Schlachten gewonnen und verloren werden.
In den letzten Jahren gab es zwei ineinandergreifende technische Trends, die einen neuen Bildraum eröffnet haben. Die Digitalkameras sind besser und billiger geworden und haben sich besonders mit den Kamerahandys weit verbreitet. Digitale Fotografien sind sofort verfüg- und versendbar, billig zu speichern oder auch sofort wieder zu löschen. Das steigert die Bereitschaft, mehr Bilder spontan und »undiszpliniert« - »just for fun« - zu machen. Anlass ist dazu keiner notwendig, Sinn oder Bedeutung sind nicht mehr erforderlich, das Bild erzeugt selbst den Sinn oder es wird sofort in das digitale Nirwana versenkt. Wir nähern uns mit der permanenten Aufmerksamkeit des Bilder-Schießenden damit noch ein Stück weiter der Haltung an, die Welt zu ästhetisieren, sie durch ein Objektiv zu sehen und damit Bildausschnitte zu selektieren oder auch zufällige Impressionen zu erzeugen. Die Flut der Bilder, mit der wir die Welt vervielfältigen und uns ihr zugleich nähern und entfernen, hat mit den Digitalkameras und Kamerahandys noch einmal eine explosive Steigerung erfahren.
Neu aber ist auch die Möglichkeit, die Bilder sofort vom Handy aus zu verschicken oder sie in das Internet zu posten, gleich ob auf die eigene Website oder auf einen eigenen Blog, auf irgendwelche Foren oder auf Photo-Sharing-Seiten wie flickr.com, auf denen sich die eigenen Bilder über tags mit denen von anderen vernetzen lassen. Überdies können digitale Bilder problemlos kopiert, verändert und weiter verbreitet werden. Damit wird das globale Bewusstsein oder die globale Wahrnehmung permanent erweitert und aktualisiert, zudem können sich einzelne Bilder mit hoher Geschwindigkeit viral ausbreiten und die Wahrnehmung von vielen Menschen wie ein Mem infizieren, was vor dem Internet und den Handy-Netzen praktisch nur über den Durchlauf durch den Flaschenhals der Massenmedien möglich war.
Der Effekt von diesen beiden ineinandergreifenden und verstärkenden Techniken und Tendenzen ist ein zunehmender Verlust der Kontrolle des globalen Bilderstroms, in den von immer mehr Quellen Bilder in den öffentlichen virtuellen Bildraum eingespeist werden. Dazu gehören natürlich auch die Bilder, die von nicht durch Menschen bedienten Kameras und anderen optischen Sensoren stammen. Zu diesem Kontrollverlust gehört, dass auch immer Bilder in Umlauf geraten, die entweder mangels Chance oder herrschender Moral nicht gemacht wurden oder nur heimlich in kleinen Kreisen zirkulierten. So zirkulieren immer mehr Bilder, die wir früher nicht in den Medien gesehen hätten. Bilder von Misshandlungen von Abu Ghraib, von den Schrecken von Terroranschlägen und Exekutionen, von den blutigen Folgen des Kriegs, von grausamen Handlungen, von obszönen Darstellungen, von der Schönheit der Zerstörung oder auch von alltäglicher Banalität. Wir befinden uns mitten in einer Revolution der Bild- und Wahrnehmungswelt, die natürlich auch uns und die reale Welt verändert.