Stephan Schwan: Sozial und digital
Potenziale von Web 2.0 in naturwissenschaftlichen Museen
- Erstellungsdatum
- Dauer
- 35:38
Beschreibung
Prof. Dr. Stephan Schwan
IWM | KMRC Institut für Wissensmedien Tübingen
Naturwissenschaftliche Museen haben ihren Status als (An‐)Sammlung von technischen Geräten, Instrumenten, Artefakten und Naturalien im Geiste der Kunst‐ und Wunderkammern schon lange aufgegeben und sich über die Jahrzehnte hinweg zu einem multimedialen Gesamtensemble entwickelt. Dabei reflektieren sie in der Art und Weise, wie sie ihre Ausstellungsthemen gestalten und ihre Exponate präsentieren, immer auch den Stand der jeweils aktuell verfügbaren medialen Möglichkeiten. Dies lässt sich beispielhaft im Deutschen Museum in München nachvollziehen: Ein Gang durch die verschiedenen Abteilungen – von den Maschinen über die Chemie, die Physik und die Pharmazie bis zum Zentrum für Neue Technologien – verdeutlicht nicht nur das Spektrum der verschiedenen naturwissenschaftlich‐technischen Gebiete, sondern ist gleichzeitig auch ein Gang durch mehrere Generationen museumsdidaktischer Konzepte einer besucherbezogenen Wissensvermittlung. Bei diesem Trend macht auch die unmittelbare Vergangenheit keine Ausnahme: Technische Entwicklungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die unser Verhältnis zu Medien neu definiert haben – beispielsweise Digitalisierung und Vernetzung – haben ihren Niederschlag auch in der Gestaltung von Ausstellungen gefunden (vgl.
Schwan et al. 2008). Mittlerweile verfügt fast jedes Museum über eine Homepage im Internet und auch aus den Museen selbst sind digitale Medien, beispielsweise Computerterminals mit ergänzenden und vertiefenden Informationen, nicht mehr wegzudenken. Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts lässt sich schließlich als eine umfassende Transformation des Internets hin zu einem ,Sozialen Medium‘ beschreiben, in dem Nutzer im Netz stabile digitale Identitäten ausbilden, sich virtuelle Gemeinschaften
konstituieren, in denen sich die Nutzer aus ihrer Rolle als Rezipienten emanzipieren und in immer stärkerem Maße eigene Ideen und Produkte in das Netz einspeisen – von Blogs über Einträge in Wikipedia bis zu selbst gestalteten Videos auf YouTube.
Auch diese aktuelle Entwicklung wird im Museums‐ und Ausstellungsbereich zunehmend aufgegriffen (vgl. Knipfer et al. 2009). Gegenwärtig prägt insbesondere das Konzept des ,partizipatorischen Museums‘ die Diskussion (siehe Simon 2010). Es führt die im angloamerikanischen Raum mittlerweile weitverbreitete Auffassung fort, dass sich Museen von der traditionellen Vorstellung von Besuchern als (ungebetenen) Fremden (strangers) oder (zu belehrenden) Gästen (guests) verabschieden und hin zu einer stärkeren Besucherorientierung entwickeln sollten. Besucher werden als Kunden (clients) verstanden, die eine Ausstellung mit verschiedenen individuellen
Bedürfnissen, von Erholung und Unterhaltung bis zu Lernen, Verstehen und
Wissenserwerb, aufsuchen (vgl. Doering 1999). Museen sollten so gestaltet sein, dass sie die Befriedigung dieser verschiedenen Bedürfnisse angemessen unterstützen.
Eine solche Neuorientierung hat eine Reihe von Konsequenzen. Erstens erfordert sie, dass Besucher Gelegenheit haben, ihre Bedürfnisse zu artikulieren und dadurch unmittelbar an der Gestaltung einer Ausstellung partizipieren. Dies setzt wiederum voraus, dass Foren geschaffen werden, durch die Besucher und Museumsleitung bzw. Kuratoren miteinander in Kontakt kommen. Zweitens haben die Besucher eine aktive Rolle bei der Auseinandersetzung mit den Ausstellungsinhalten. Dies findet seinen Niederschlag in Ausstellungskonzeptionen, die verstärkt mit explorativen, experimentellen und spielerischen Elementen arbeiten. Und drittens
wird das Museum nicht mehr primär als Medium der Präsentation von Exponaten und Informationen, sondern als sozialer Raum aufgefasst, in dem Besucher miteinander interagieren und kommunizieren sowie Lernen und Wissenserwerb als ein Prozess der sozialen Aushandlung und Bedeutungszuweisung verstanden wird (vgl. Bell et al. 2009).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter überraschend, dass digitale Technologien in Ausstellungen mittlerweile nicht nur zur Präsentation von Informationen, sondern zunehmend auch zur Unterstützung von Kommunikation und sozialem Austausch Verwendung finden (vgl. Knipfer et al. 2009). Gegenwärtig liegt das Augenmerk der Diskussion um Web 2.0 und Museen hauptsächlich auf der Frage, wie das Internet als Plattform für eine Erweiterung des Museums genutzt werden kann, beispielsweise indem Besucher die Sammlungen eines Museums in digitaler Form einsehen und kommentieren oder verschlagworten können (sog. Tagging), oder indem sie ihren Ausstellungsbesuch von zu Hause aus ,nachbereiten‘ und dadurch mit anderen Besuchern oder auch den Kuratoren und Ausstellungsmachern in Kontakt kommen (vgl. Vogelsang/Minder/Mohr 2011).
Im Folgenden soll aber eine andere Perspektive gewählt werden, indem diskutiert wird, welche Möglichkeiten die Verbindung von Digitalem und Sozialem und damit die Web 2.0‐Technologien während eines Ausstellungsbesuchs und somit innerhalb des Museums bieten.