Laurie Spiegel

Laurie Spiegel, 2023
©Laurie Spiegel, Foto: Enrico Ferorelli

Biografie

Laurie Spiegel ist eine der seltenen Komponist:innen, bei denen Kopf und Herz, linke und rechte Gehirnhälfte, Logik und Intuition miteinander verschmelzen und sogar die Rollen tauschen. Obwohl sie zu den Hightech-Computerkomponist:innen in Amerika zählt, ist Spiegel auch Lautenistin sowie Banjospielerin und sieht den Computer als eine neue Art von Volksinstrument. Ihre am intuitivsten klingende und melodischste Musik macht sie aus mathematischen Algorithmen, ihre komplexesten computerisierten Texturen nach Gehör und auf der Suche nach einer gewünschten Stimmung. Form und Emotion sind in ihrer Musik ebenso wenig zu trennen wie in der ihres Idols Johannes Sebastian Bach.

Spiegel wurde in Chicago geboren, wo sie als Teenagerin Gitarre, Banjo und Mandoline spielte und dadurch eine hingebungsvolle Philosophie des Amateurmusizierens kultivierte. Nach einem Abschluss in Sozialwissenschaften kehrte sie zur Musik zurück. Nachdem sie sich die Notation selbst beigebracht hatte, studierte sie in London privat klassische Gitarre und Komposition, dann Barock- und Renaissancelaute an der Julliard School und Komposition bei Jacob Druckman und Vincent Persichetti.

Nachdem sie seit 1969 mit analogen Synthesizern gearbeitet hatte, suchte sie nach der größeren kompositorischen Kontrolle, die digitale Computer bieten konnten, und schrieb von 1973 – 79 interaktive Kompositionssoftware bei Bell Labs. Später gründete sie das Computer Music Studio der New York University und wurde in Rockmusikkreisen für ihre Musiksoftware für Personal Computer, insbesondere »MusicMouse«, bekannt. Die in »MusicMouse« eingebaute musikalische Logik ermöglicht es selbst ungebildeten Musikern, Musik in tonalen oder atonalen Stilen zu erzeugen, indem sie die Tasten des Computers drücken und die Maus bewegen. Die statistischen Möglichkeiten von »MusicMouse«, die sich aus jahrhundertelanger musikalischer Praxis ergeben haben, sind enorm und geben auch Laien das Gefühl, plötzlich die Kontrolle über unzählige Elemente zu haben. Der Schlüssel zum Erfolg von »MusicMouse« liegt jedoch in dem, was man jenseits der Software tut, sowohl bei der musikalischen Performance als auch bei der elektronischen Orchestrierung.

Trotz ihrer innovativen Auseinandersetzung mit der Technik wurde die Komponistin Spiegel nie von der Computertechnikerin Spiegel dominiert. Ihre Musik aus den 70er Jahren verwendet kompositorische Algorithmen (in einem Fall eine Umsetzung von Keplers »Harmony of the Planets«, die auf dem Album »Sounds of Earth« der Raumsonde Voyager zu hören ist), um Musik in einer zugänglichen, minimalistischen Art und Weise zu erzeugen. Ein Teil dieser Musik wurde auf ihrem Album »The Expanding Universe« (Philo) festgehalten, das Werke aus den Jahren 1974 – 6 enthält.

In den frühen 80er Jahren distanzierte sich Spiegel jedoch von der New Yorker Downtown-Szene, die sie mitbegründet hatte, und beklagte, dass die neue Musikszene generell auf eine »Ausweitung der Sammlung von Werkzeugen und Techniken, die zum Musizieren zur Verfügung stehen (nützlich, aber nicht als zentraler Inhalt eines Werks)« ausgerichtet sei. »Für mich«, so erklärte sie kürzlich, »ist Musik eine Möglichkeit, mit der extremen Intensität der bewussten Existenz von Augenblick zu Augenblick umzugehen.« Seit ihrem Ausstieg lebt Spiegel als eine der unabhängigsten Musiker:innen New Yorks, die sich dank ihrer Software selbst finanziell trägt und ihre Musik privat verbreitet.

Diejenigen, die sich in die volkstümlichen Melodien und frühen Algorithmen von »The Expanding Universe« verliebt haben, werden vielleicht überrascht sein zu hören, wie viel dunkler und komplexer Spiegels jüngste Musik geworden ist. ‘Minimalismus‘ mag die langsame Bewegung der Tonhöhen in diesen Stücken (»Unseen Worlds«) immer noch treffend beschreiben, aber es gibt keinen Hinweis auf deren komplexe Klangfarben, eisige Dynamik und kathartische Höhepunkte. Solch lebendige, ausdrucksstarke Musik konnte nur von einer Komponistin stammen, die ihre Intuition und Vorstellungskraft an die erste Stelle setzte und gleichzeitig über das immense technische Know-how verfügte, das für die Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen erforderlich war.

- Kyle Gann

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