Neue Kartografie der Kunst

© ZKM | Karlsruhe, Foto: Joe Miletzki

1989 war ein Jahr der weltweiten Umbrüche, die auch in der Kunst eine neue Periode einleiteten (Alexander Alberro). »Globalisierung« löst als Begriff die alte »Internationale« der Kunst ab, die unter westlicher Flagge stand, und bietet vielen KünstlerInnen erstmals die Chance zur Partizipation.

Versucht man unter diesen veränderten Vorzeichen eine neue Weltkarte der Kunst zu zeichnen, ist damit auch die Frage der Bezeichnungen gestellt. Die Rede von Zentrum und Peripherie hat sich überholt. Im Wettbewerb um das »Mapping« drängen Regionen, die bislang nicht im Mittelpunkt standen, auf neue Zuschreibungen. So klingt der Begriff »Dritte Welt« heute nicht nur antiquiert, sondern diffamierend; »Global South« als Alternative zu pauschal und nichtssagend. Bei der Suche nach neuen Begrifflichkeiten hoben die Australier in den 1990er-Jahren die »Pacific-Asian Art« als Kunstregion aus der Taufe, um sich angesichts ihrer Probleme mit einer nationalen Kultur neu zu positionieren. Sind Ländergrenzen überhaupt maßgeblich? Ist Kunst aus dem Maghreb afrikanisch oder könnte man sie eher dem Mittelmeerraum zurechnen? Ist der Iran ein Teil des Nahen Ostens oder eine eigene Region? Unstrittig ist hingegen, dass der monolithische Eurozentrismus aufbricht und durch die »Provinzialisierung« Europas (Dipesh Chakrabarty) Beziehungen und Zusammenhänge in der Welt der Kunst neu gedacht werden können.

Im Zuge der Globalisierung verliert das Migrationsthema an Bedeutung. Die heutigen Techniken wie Video und Installation ermöglichen eine globale Verbreitung von medialer Kunst. Das potenzielle Publikum wächst, und die Frage ist nicht mehr, wo ein Künstler tatsächlich lebt, sondern wo und wie er sein Publikum findet.

Der globale Prozess hat sich in der Kunst zeitlich parallel zum Siegeszug des World Wide Web vollzogen, das seit 1994 als Technologie mit dem Versprechen des freien Zugangs existiert, das jedoch weder im Inhalt noch im Gebrauch universal ist. Es ist polyzentrisch und wird von privaten UserInnen bevölkert. Daher kann es Unruhe im öffentlichen Raum erzeugen und politische Regimes bedrohen, sodass sie es zensieren wollen. Ähnliche Probleme gelten für die Aktivität von KünstlerInnen, die ohne Schutz einer anerkannten Kunstszene arbeiten. Sie lösen politische Konflikte überall dort aus, wo Kunst keine professionelle Freiheit genießt oder keine eigene Tradition vorweisen kann. Dort scheinen KünstlerInnen durch ihre Aktionen das Monopol der lokalen Massenmedien zu unterminieren. Das World Wide Web hat die Verbreitung der Global Art in vielerlei Hinsicht beschleunigt, zumal es eine Kommunikation ohne den Visa-Zwang auf Reisen erlaubt.  

Nirgendwo ist die Globalisierung der Kunst so evident wie auf den Kunstmärkten. Die New Economy hat eine neue Klientel der Milliardäre hervorgebracht, die zeitgenössische Kunst als Symbol eines globalen Lifestyles sammeln. Die alten Zentren des Kunsthandels New York, London und Paris werden heute von neuen Zentren wie Hongkong, Singapur oder Dubai herausgefordert. Der Boom zeitgenössischer Kunst lässt sich auch an der weltweiten Verbreitung des MOCA (Museum für zeitgenössische Kunst) ablesen, das das Modell des MoMA (Museum für moderne Kunst) abgelöst hat.

Ein weiteres Phänomen der Entstehung neuer Kunstwelten ist eine regelrechte Biennalisierung. Wurden bis 1989 knapp zwei Dutzend dieser periodisch angelegten Ausstellungen gegründet, kamen bis zum Jahr 2000 weitere 40 hinzu. Heute gibt es über 200 Biennalen. Die neuen Austragungsorte liegen vornehmlich in Schwellenländern, die im Zuge der Globalisierung wirtschaftlich aufblühen und eine internationale Vernetzung anstreben. Durch die Verbreitung/Aufstellung des Biennalen-Formats sind zwischenzeitlich viele verschiedene Diskurse und Konzepte entstanden, die sich auch mit einer neuen Kartografie der Kunst jenseits nationaler Grenzen auseinandersetzen.

Autorin: Andrea Buddensieg

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