Beschreibung
Joseph Vogl, Humboldt-Universität Berlin:
Wie kein anderer hat Gilles Deleuze eine Verteidigung des Ereignisses unternommen, vergleichbar darin vielleicht nur Heidegger in seinen späten Schriften. »In all meinen Büchern«, sagt Deleuze, »habe ich die Natur des Ereignisses gesucht«, und an anderer Stelle: »Es stimmt, ich habe meine Zeit damit zugebracht, über diesen Begriff des Ereignisses zu schreiben« - Sätze, die den Titel einer deleuzianischen ‚Ereignisphilosophie’ gerechtfertigt haben. 1 Es geht also um eine Verteidigung von Ereignis und Ereignishaftigkeit; und es scheint, als habe Deleuze damit - zumindest oberflächlich - eine doppelte Grenzziehung, eine doppelte Abgrenzung vollzogen. Denn einerseits hat eine alte Ereigniswissenschaft, die Geschichte, schon seit geraumer Zeit die narrative, historiographische Nutzlast des Ereignisbegriffs bezweifelt und ihre Gegenstände eher mit Konzepten wie Serie, Bruch, Struktur und Prozess transportiert. Und andererseits haben vor allem Marketing und Dienstleistungsökonomie eine Konjunktur ausgelöst, die diesen Begriff mit einem Betrieb von Events kolonisierte. Gegen die Geschichte einerseits und gegen den Ereignismarkt andererseits - mit dieser doppelten Abgrenzung mag das Insistieren auf DEM Ereignis einen geradezu anachronistischen Anspruch mobilisieren.
Es kommt aber ein Weiteres hinzu. Je näher man nämlich der Art dieser Verteidigung bei Deleuze kommt, desto mehr muss man bemerken, dass eben diese Frage - die Frage »Was ist ein Ereignis?« - als eine falsch oder missverständlich gestellte Frage erscheint, als eine Frage jedenfalls, die dem Ereignis selbst nicht auf die Spur zu kommen vermag. Mehr als andere Fragen [die Deleuze immer wieder aufgeworfen hat: Was ist Philosophie? oder: Was ist ein Begriff?] zeichnet sich die Frage nach dem Ereignis gerade dadurch aus, dass sie in dieser syntaktischen Form weder gestellt noch beantwortet werden kann. Es regt sich der Verdacht, dass die Frage »Was ist ein Ereignis?« nur dann eine Antwort erhält, wenn diese Frage selbst kapituliert, wenn ihr Charakter und ihre Form durchgestrichen, ab- oder zurückgewiesen werden. »Was ist ein Ereignis?« greift den Referenzbereich des Erfragten an, stellt das Unterstellte infrage und scheint eine Frageform zu sein, die das Ereignis nicht erreicht; es scheint eine Frageweise zu sein, der das Ereignishafte am Ereignis eben entgeht.
Man sollte nämlich daran erinnern, dass Deleuze selbst an verschiedenen Stellen ein tiefes Misstrauen gegen die Interrogationsformel »Was ist« geäußert hat. Während die Frage »Was ist« mit einer onto-theologischen Schwere beladen ist und seit Platon kaum anders kann, als sich auf Wesenheiten zu beziehen, muss sie umgekehrt alle anderen, empirischen Fragen in das Reservat räsonierender Geschwätzigkeit vertreiben und eben damit zum Schweigen bringen. Es herrscht eine tiefe Verschwiegenheit in dieser Frage »Was ist«, und darum hat Deleuze das Schicksal seines eigenen philosophischen Parcours’ mit ganz anderen, beredten Fragen verknüpft, mit Fragen, die ihre wesenhafte Fessel abstreifen und einen konkreteren Aktionsradius behaupten. Nicht »Was ist«, sondern: »wie«, »wie viele«, »in welchem Fall« oder »welches«. Gegen die Frage nach dem Wesen wird hier eine Vielstimmigkeit von Fragen präsentiert, die sich auf das Akzidens, auf das Mannigfaltige und schlicht auf das »Ereignis« beziehen. 2 Die Frage nach dem Ereignis zielt also nicht auf Antwort und Lösung, sondern auf ihr Problematisches selbst. Und das bedeutet eine Korrektur von Titel, Thema und Frage: »Was ist ein Ereignis?« wird nur dann ein Antwort erhalten [oder überhaupt eine passende Frage sein], wenn darin ein konditionales Echo mitschwingt, ein Echo, das etwa lautet: »Wann ist ein Ereignis?«, wie, in welchem Fall und unter welchen Umständen? Die Philosophie - so hat Deleuze einmal gesagt - operiert in dieser Hinsicht nach der Art eines Kriminal- oder Detektivromans 3, der sich durch ein Dickicht aus W-Fragen schlägt. Und gerade das wird der Sog oder der Fall des Ereignisses zu sein: Mit ihm gerät die Philosophie in eine Recherche, die an die Grenze ihres Diskurses, an die Grenze ihrer Gattung und ihres Gegenstandsbereichs führt. Um diese Grenzen, um das Ereignis als Grenzbegriff der Philosophie soll es im folgenden gehen; dabei stehen wenigstens vier Thesen oder Fragestellungen zur Diskussion.
Eine erste These wurde bereits vorweggenommen. Das Ereignis ist demnach kein Objekt, kein Referent und kein Gegenstand; oder genauer: Es ist eher ein ästhetisches, ein poetisches Ding. Damit ist eine besondere Art von Gegenständlichkeit gemeint, eine Gegenständlichkeit ohne Gegenstand, die sich nicht dem Feld von Erkenntnis und Rekognition zuschlagen lässt. Dieser Gegenstand kennt keine Dauer, wird nicht durch das Zusammenwirken von Gemeinsinn und gesundem Menschenverstand festgestellt und liegt somit - kantisch gesprochen - vor jeder Synthesis der Wahrnehmung. An ihm kapituliert eine figürliche Synthese der Anschauung unter der Herrschaft der Einbildungskraft ebenso wie eine intellektuelle Synthese des Erkennens unter der Herrschaft des Verstandes. 4 Ein poetischer Gegenstand: das sind verstreute Sinnesreize und Daten, das ist eine Mannigfaltigkeit, die sich noch nicht zur Konsistenz von dauerhaften, empirisch erfahrbaren Objekten angeordnet hat. Eher als der Anschauung oder der Erkenntnis muss man ‚Objekte’ dieser Art einer gewissen Phantastik zuschlagen, und man könnte auch behaupten, dass in der Reflexion auf das Ereignis die Philosophie selbst zu einem Zweig der phantastischen Literatur wird. So jedenfalls hat es Jorge Luis Borges einmal getan, dessen theoretische Erzählungen hier die philosophische Begriffsbildung bei Deleuze inspirieren.
In einer Borges-Erzählung aus dem Jahre 1941 ist für diese Gegenständlichkeit ohne Gegenstand ein entrückter, ein dritter Erdkreis zuständig, orbis tertium oder Tlön genannt. Die entsprechende Geschichte aus den Fiktionen heißt »Tlön, Uqbar, Orbis Terium« und erzählt von einer anonymen, ohne Orts- und Jahresangabe erschienenen Enzyklopädie, die auf 1001 Seiten ein phantastisches Universum entwirft. In diesem anderen Erdkreis sind die Dinge, so heißt es, von zweifelhafter Festigkeit, sie sind flüchtig und wolkig, sie sind unbeständig und wenig konsistent. Sie mögen wohl - alle zusammen - eine Welt oder einen Kosmos ergeben, eine Welt allerdings, die eher aus Flüssen und Strömen, aus abrupten Wechseln und fortlaufenden Modulationen besteht. Alles fließt, alles schwärmt, und wenn es hier überhaupt Gegenstände gibt, so lassen sich diese kaum mit den erprobten, alteuropäischen Begriffen von Form und Materie, von Substanz und Attribut fassen. 5
Diese Dinge und Phänomene sind also durchaus manieristischer, exzentrischer Art. Das zeigt sich insbesondere in der Sprache, die man dort spricht und die sich seit Urzeiten dadurch auszeichnet, dass sie keine Substantive enthält und sich darum anders und auf umständliche Weise behilft. Wenn man etwa an einem lauen Sommerabend sagen will: »der Mond ging über dem Fluss auf«, so lautet das wörtlich: »empor [upward] hinter dauerfließen mondet es«, oder: »upward, behind the onstreaming, it mooned«. Alles das, was im landläufigen Sinn Objekte bestimmt, ist hier nichts als eine flüchtige Konstellation von Adjektiven und Verben, eine Konstellation, die da und im nächsten Augenblick schon aufgelöst ist. Entsprechend sagt man nicht etwa »Mond«, sondern »luftighell und dunkelrund« oder »orange-zart-himmlisch«. Und entsprechend sind die Objekte und Dinge so singulär, so mannigfaltig wie ihre Situationen und Umstände. Die »Farbe des Sonnenaufgangs kombiniert mit dem fernen Schrei eines Vogels«; oder: »die Sonne und das Wasser vor der Brust des Schwimmers, das vage pulsierende Rosa, das man bei geschlossenen Augen sieht, das Gefühl eines Menschen, der sich von einem Strom und auch von einem Traum davontreiben läßt« - all das ergibt nichts anderes als eine Konstellation, eine Kombination, eine Begegnung. So wenig es hier also Substantive gibt, oder genauer: so wenig man hier an die Realität, an den Referenzbereich von Bezeichnungen glaubt, so sehr wuchern die Dinge und Objekte ins Unendliche und zeugen nur davon, dass die Dauerhaftigkeitsform eines Objekts oder einer Welt nicht existiert. Es ist nicht dieselbe Welt, in der man schläft oder wacht; es ist nicht dasselbe Objekt, das man sieht oder hört, erinnert oder träumt. Statt ‚Gegenständen’ also nur ‚Umstände’; und statt Prädikaten nur losgelöste Attribute. Und eben das, dieses referenzlose Erscheinen, so heißt es bei Borges, macht ein »poetisches Objekt«. 6
Zwei Dinge scheinen dabei - mit Blick auf Deleuze - bemerkenswert zu sein. Erstens entsprechen diese phantastischen oder poetischen Objekte dem, was bei Deleuze mit der Reichweite von Begriffen koinzidiert. Philosophische Begriffe zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie nichts bezeichnen und von nichts abstrahieren, sondern eine Vielzahl heterogener Komponenten zusammenziehen. Der Begriff des Vogels etwa, so heißt es bei Deleuze und Guattari, liegt nicht in Klassifikationen, nicht in Gattung oder Art, sondern »in der Zusammensetzung seiner Haltungen, seiner Farben und seines Gesangs«. Der Begriff ist intensional, von allen Extensionen abgezogen, er generiert eine endliche, aber nicht formalisierbare Menge von Variationen und Modulationen. Und zweitens: das heterogene Zusammenspiel dieser intensionalen Komponenten unterscheidet sich von einer bloßen Synästhesie gerade dadurch, dass es nicht die Prädikate von Sachverhalten und Wahrnehmungen umschließt, sondern eher eine »Syneidesie«, eine Zusammenziehung von Ideen ergibt. 7 Der Begriff versammelt demnach keine Prädikationen, die die Qualität eines Dings ausdrücken und sein Wesen bezeichnen; alle Prädikate sind vielmehr als losgelöste Ereignisse zu verstehen, als ebenso gegenstandsloses wie singuläres Geschehen. Deleuze und Guattari sagen: Der Begriff ist »ein reines Ereignis schlechthin« 8, keine statische, sondern eine ekstatische Konstellation, die vom Begriff mit einem Mal, mit »unendlicher Geschwindigkeit« durchlaufen wird. Mit Bezug auf die Lehre von den unkörperlichen Wirkungen der Stoiker hat Deleuze das als die Geltung absoluter oder »noematischer« Attribute beschrieben, als Attribute, die kein Prädikat und keine syntaktische Zuschreibung realisieren, nicht ein bestimmtes Sein kennzeichnen, sondern bestenfalls als infinitive oder partizipiale Verbform ausdrückbar sind: nicht der aufgehende Mond, sondern das Monden; nicht das scharfe Messer, sondern ein Schneiden, nicht ein gleißendes Licht, sondern das Gleißen oder Gleißende, oder - wie Deleuze es mit einem weiterem Exemplar phantastischer Literatur und einem Paradox von Lewis Caroll sagt - ein Grinsen ohne Katze. 9 Anders als die wissenschaftlichen Begriffe lokalisiert der philosophische Begriff also keine Sachverhalte in einem Referenzsystem, in raum-zeitlichen Koordinaten; er konstituiert sich vielmehr über den Bezug zu jenen poetischen, phantastischen Objekten. Und in dieser Hinsicht kann Deleuze behaupten, der Begriff löse die logische Satzstruktur auf, entmachte die Kopula »ist«, durchkreuze die Prädikation und sage schließlich nichts als ideelle Ereignisse aus: Er ist das Ereignis als reiner Sinn, der sich in Sachverhalten, in Dingen und Objekten nur verkörpert. Diese Korrespondenz von Begriffen und poetischen Objekten wäre also ein erster Aspekt des Ereignisses, ein Aspekt, der sich überdies der Zuschreibung von Subjekten entzieht und stets auf ein vor-subjektives Geschehen verweist.
Diese reinen Ereignisse haben darum auch eine besondere ontologische Qualität, sie sind zwar real und wirklich, aber nicht aktuell; in ihnen lässt sich bestenfalls eine Tendenz zur Aktualisierung in einem Sachverhalt erkennen. Man könnte in einer Konfiguration dieser Art bei Deleuze - aber auch bei Borges - einen gewissen Leibnizianismus 10 erkennen, einen Leibnizianismus allerdings, der eine besondere Wendung oder Modernisierung erfahren hat. Und das wäre eine zweite These zum Ereignis bei Deleuze: Das Ereignis umfasst eine Konstellation, eine interne Beziehung von inkompossiblen Elementen.
Immer wieder und in verschiedenen Zusammenhängen hat Gilles Deleuze auf den Schluss der Theodizee von Leibniz verwiesen und diesen Schluss überdies als einen Grundtext modernen Erzählens, als Basisprogramm moderner Erzählpoetik begriffen. Es handelt sich dabei um eine Geschichte aus dem Dialog De libero arbitrio des Laurentius Valla, auf die sich Leibniz bezieht. Sextus Tarquinius, der vom delphischen Orakel gerade sein künftiges Schicksal erfahren hat - er wird nach Rom gehen, alles in Verwirrung stürzen, die Frau seines Freunds schänden und elend sterben -, dieser Sextus ist unzufrieden mit der Auskunft, geht zum Tempel des Jupiters in Dodona, beklagt sich und bekommt eine ebenso unbefriedigende Antwort. Theodorus, der Oberpriester dieses Tempels, beginnt sich für diesen seltsamen Fall zu interessieren, wird aber von Jupiter an den Tempel der Pallas in Athen verwiesen. Er begibt sich dorthin, schläft vor dem Tempel ein und wird im Traum von der Göttin schließlich vor ein ungeheures Gebäude, vor eine riesige Pyramide geführt, die sich »Palast der Lose des Lebens« nennt. Und dort sieht Theodorus folgendes: Er sieht in dieser Pyramide nicht nur verschiedene Gemächer, sondern in jedem dieser Zimmer auch eine andere Welt. Er sieht etwa den Sextus, der der Warnung des Orakels folgt, nicht nach Rom, sondern nach Korinth geht und dort als reicher, beliebter und angesehener Mann stirbt. Er sieht - in einem weiteren Zimmer - einen anderen Sextus, der sich nach Thrakien begibt, die Tochter des Königs heiratet, kinderlos bleibt und Thronfolger wird. Und Theodorus sieht schließlich voller Wonne an der Spitze der Pyramide die strahlende Wohnung der wirklichen Welt, in der der wirkliche Sextus voller Zorn den Tempel des Jupiter verlässt, in Rom eintrifft, Unordnung stiftet, Lukretia vergewaltigt und sein Leben unglücklich beschließt. In einem einzigen Überblick wird in diesem Traum des Theodorus die unabschließbare Folge von Variationen desselben Ereignisses vorgeführt, eine Vielfalt, die sich von der Spitze der Wirklichkeit aus in eine Pyramide ohne Basis öffnet. 11 Die Geschichte des Sextus Tarquinius ist damit in der Kontingenz ihrer Realität erfasst und in zweifacher Weise unendlich geworden: durch den Eintritt in eine unendlich teilbare und verzweigte Welt, in der sich die Kette der Ereignisse in weitere, kleine und immer kleinere Begebenheiten zerlegen lässt und eine infinitesimale Ausweitung der Erzählung nahe legt; und durch die Vervielfältigung jeder Begebenheit, die stets die offene Pyramide ihrer unendlichen Möglichkeiten mitführt. Diese Pyramide, so heißt es bei Leibniz, enthält also nicht bloß die Darstellungen dessen, was wirklich geschieht, sondern auch alles dessen, was ungeschehen bleibt und bloß möglich ist. In dieser Hinsicht ist der von Theodorus gesehene Palast ein Katalog, eine vollständige Aufzählung aller möglichen Welten: ein Traum von der Kontingenz des Ereignisses und seinen Varianten.
Leibniz hat mit dieser Erzählung eine originelle Lösung für das Problem der kontingenten Zukünfte und für die Zähmung des Chaos, der reinen Zufälligkeit vorgeschlagen. Wenn es nämlich zutrifft, dass jedes Ereignis der Welt auch anders möglich ist, wenn es stimmt, dass das, was geschieht, bestimmbar und damit notwendig und zugleich eine Variante aus dem Reservoir des Möglichen ist, so sind zwar der folgsame und der zornige, der zufriedene und der unglückliche Sextus gleichermaßen möglich, aber nicht zusammen möglich, d.h. »kompossibel«. Sie sind möglich nur in strikt voneinander geschiedenen Welten, die selbst wiederum nicht gemeinsam in Raum und Zeit möglich und also »inkompossibel« sind. Mit dieser Vielfalt möglicher Welten - die nicht zusammen möglich sind - ist das Chaos gefiltert, der Zufall begrenzt. Die ägyptische Architektur des Palastes führt, wie Giorgio Agamben bemerkte, in eine »barocke Hölle der Potenz«, in der sich das Auge des Demiurgen nicht nur an der besten, d.h. wirklichen Welt, sondern auch an der Opferung der un- und halbgeborenen Dinge, Wesen und Welten erfreut. 12 Und gerade hier setzt die Wendung von Deleuze [aber auch von Borges] ein, die sich von der Leibnizschen Theologie, von der Leibnizschen Providenz entfernt. Denn die Wirklichkeit des Ereignisses ist - wie Deleuze schreibt - nicht vom Typ »ein Mensch wird überfahren« oder »Sextus geht nach Rom«; vielmehr wird das Ereignis von der Gesamtheit der großen Pyramide gestellt, die für jedes Datum die Totalität seiner Verzweigungen bereithält. 13 Sextus, der nach Thrakien, Korinth oder Rom geht - alle inkompossiblen Sextusse sind hier gleichermaßen enthalten, und das Ereignis selbst besteht in der Eröffnung divergenter [und nicht: konvergenter] Reihen: eine »disjunktive Synthese«, wie sie Borges in der Erzählung vom »Garten der Pfade, die sich verzweigen« eingeführt hat: Man kann gleichzeitig töten, getötet werden, gemeinsam davon kommen oder gemeinsam sterben. 14
[...]
[1] Gilles Deleuze, Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt/M. 1993, 206, 232. - Vgl. François Zourabichvilli, Deleuze. Une philosophie de l’événement, Paris 1994; Mirjam Schaub, Gilles Deleuze im Wunderland. Zeit- als Ereignisphilosophie, München 2003. ^
[2] Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992, 239-240. ^
[3] Ebd., 13. ^
[4] Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, in: Werke, hg. v. W. Weischedel, Wiesbaden 1965, Bd. 2, 147 ff. [§ 24]. ^
[5] Jorge Luis Borges, Tlön, Uqbar, Orbis Tertium, in: Fiktionen [Ficciones]. Erzählungen 1939-1944, Frankfurt/M. 1992, 15-34. ^
[6] Ebd., 22. ^
[7] Gilles Deleuze / Félix Guattari, Was ist Philosophie?, Frankfurt/M. 1996, 28-28. - Vgl. Elisabeth Weber, Fragment über die Wissenschaft reiner Ereignisse, in: Friedrich Balke / Joseph Vogl [Hg.], Gilles Deleuze - Fluchtlinien der Philosophie, München 1996, 199. Siehe auch den Beitrag von Henning Schmidgen in diesem Band. ^
[8] Deleuze / Guattari, Was ist Philosophie?, a.a.O., 27. ^
[9] Ebd., 147; Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Frankfurt/M. 1993, 19 ff., 29 ff., 48 ff., 260; Differenz und Wiederholung, a.a.O., 202. ^
[10] Vgl. den Beitrag von Raymond Bellour in diesem Band. - Mit Leibniz hat Deleuze etwa die Seinsweise eines Dings über die Ereignishaftigkeit seiner Prädikate bestimmt [Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt/M. 1995, 90]. ^
[11] Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee, in: Philosophische Schriften, Frankfurt/M. 1966, Bd. 2/2, 259 ff. ^
[12] Giorgio Agamben, Bartleby oder die Kontingenz, gefolgt von Die absolute Immanenz, Berlin 1998 62. ^
[13] Gilles Deleuze, Die Falte, a.a.O., 126 ff. ^
[14] Ebd., 103; Borges, Der Garten der Pfade, die sich verzweigen, in: Fiktionen, a.a.O., 77-89. - Zur disjunktiven Synthese vgl. Deleuze / Guattari, Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie 1, Frankfurt/M. 1974, 19-23.