Beschreibung
Interview mit Thomas Feuerstein im Rahmen der Ausstellung »Infosphäre«
Die Ausstellung bietet einen Überblick über die Kunst im Zeitalter der Digitalen Revolution und deren soziale Folgen. Darüber hinaus gibt sie einen Einblick in die neue Datenwelt, deren Existenz durch die NSA-Affäre endlich in das allgemeine Bewusstsein vorgedrungen ist.
Thomas Feuerstein: Manifesto
Eine überlebensgroße, in Stein gehauene Hand bewegt sich auf scheinbar magische Weise über eine Wand und hinterlässt dabei eine Holzkohlespur. Die genaue Gestalt dieser unendlichen Linie ergibt sich aus den Handelsdaten großer Rückversicherer wie etwa Lloyd’s of London, die von einem Computerserver, der die Form eines Containerschiffs hat, an die Hand übertragen werden. Im Gegensatz zur üblichen Darstellung von Bulle-und-Bär-Tabellen sind diese Daten jedoch einer neuen Topologie unterworfen. Die Ereignisse am Markt schaffen beständig neue Überschreibungen, die dicker und dicker werden und sich als dunkle Wolken manifestieren: Vernetzte Systeme und globale Kapitalströme werden zu meteorologischen Kategorien, die die Wirtschaft in einen Wetterbericht unserer Zivilisation verwandeln. Die Hand provoziert natürlich Assoziationen zu Adam Smiths unsichtbarer Hand, doch diese Hand scheint abgeschlagen zu sein, amputiert von Körper und Hirn, und sie wird von etwas gelenkt, was eher wie eine okkulte Tafel zur Beschwö- rung höherer Mächte wirkt.
Das Containerschiff (DAIMONIA) fungiert als Server, ist aber zugleich auch eine Allegorie auf die Verteilung von Waren und Wohlstand sowie ein Engel des Schicksals, ein Bote oder Dämon der Wirtschaft. Wo im antiken Griechenland der Daimon als Zuweiser und Verteiler des Schicksals galt, bestimmt heute die Wirtschaft über unser Schicksal, wenn sie Waren, Ressourcen, Energie und Informationen zuweist und verteilt. Da das Schicksal eine risikobehaftete Variable ist, verlangt es seit jeher einen angemessenen Umgang, ungeachtet dessen, ob dabei nun rituelle Opferungen, Fonds zur Streuung von Risiken oder Versicherungsfirmen zum Einsatz gelangen. Der Gedanke einer Versi- cherung als kollektive Übernahme von Risiken stellt eine Säkularisierung der Magie und des Glaubens an den Kapitalismus dar; der Name Lloyd’s rückt eine historische Tiefe in den Vordergrund, denn dieses Unternehmen versi- cherte in der Vergangenheit Expeditionen in die Kolonien. Entsprechend sei- ner künstlerischen Methode der „Konzeptnarration“ hängt Thomas Feuerstein großformatige Zeichnungen und Plakate auf, die ironisch das Wirtschaftliche und Systemische mit dem Surrealistischen der Écriture automatique oder dem Sagenumwobenen des Acheiropoieton verbinden, einem Kunstwerk, das nicht von Menschenhand geschaffen wurde. Wirtschaft und Kapitalismus, Glaube und Schicksal, Kybernetik und Klassenkampf gehen überraschende Verbindun- gen ein und werden zu einer räumlichen Geschichte, auf die unterschiedliche Hände Einfluss zeigen: Die Hand (lat. manus) wird zum Manifest.
Eva M. Kobler
Videodokumentation:
ZKM | Institut für Bildmedien
Kamera: Sarah Binder, Jonas Denzel, Martina Rotzal, Christina Zartmann
Schnitt: Martina Rotzal
Interview: Regina Hock