Meditationen auf dem Boden
Ein Beitrag von Johanna Ziebritzki
Unsere Häuser wachsen nicht aus dem Boden wie Pflanzen, sondern stehen auf ihm. Die Baustoffe, die wir für Häuser benutzen, werden oftmals nicht im nahen Umfeld des zu bauenden Hauses gesammelt oder geerntet.
Unsere Häuser sind so gebaut, dass, selbst wenn sie stoffliche Gemeinsamkeiten mit dem Boden haben, auf dem sie stehen, der Boden selbst, und alles was in ihm wächst und krabbelt, nicht in das Haus gelangen kann. Dafür gibt es gute Gründe: Unsere Häuser sollen nicht nur andere Lebewesen, sondern auch Hitze, Kälte und Wasser draußen halten, während sie uns Sicherheit, Wärme oder Kühle, und Gemütlichkeit spenden. Wir wollen kein schlammiges Wasser im Keller, keine Ameisenstraße auf der Küchentheke und keine Schimmelpilze im Bad. Diejenigen, die unserer Gesundheit und unseren Sachen schaden, sollen draußen bleiben. Für uns ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass wir Menschen mit unseren Küchen, Betten und technischen Geräten in Häusern leben, die vor dem Einfall der Mikroben, Larven und des Myzels geschützt werden müssen.
Sieben Generationen
Einige Steinstufen – nein, bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass es Betonstufen sind – führen vom Haus in den Garten. Ich gehe raus, stehe im Garten. Wie ist der Boden unter meinen Füßen beschaffen? Ist er sandig, lehmig, locker, dicht, trocken, feucht? Spüre ich Erde, Gras, Kieseln? Für welche Pflanzen ist er Nährboden? Verlaufen in größerer Tiefe womöglich Rohre und Kabel? Ist er von Mikroplastik und Schadstoffen durchsetzt? Für die allermeisten von uns wird es weder möglich noch wünschenswert erscheinen, aus diesem Boden und den Pflanzen, die aus ihm wachsen, eine Behausung zu bauen. Vielleicht können wir kleiner anfangen. Vielleicht wäre es möglich, aus ungebrannter Tonerde wasserlösliche Einwegbecher herzustellen, die mit dem nächsten Regen wieder in Nährboden verwandelt werden. Vielleicht ließe sich aus Lehm ein Ofen bauen. Vielleicht findet noch unsere Generation eine massentaugliche Bauweise für Wohnraum, die unseren Weg durch das öko-soziale Schlamassel, in dem wir uns befinden, ebnet, ohne dabei die Wege der kommenden sieben Generationen in eine Müllkippe inklusive Massengrab zu verwandeln.
Siebzig Generationen
Vielleicht wuchs aus dem Boden, auf dem jetzt wir in unseren Häusern, umgeben von Städten, Felder und Forstwälder leben, vor langer, langer Zeit ein wilder Wald. Ich stelle mir vor, dass der Ort – das Wohnzimmer und Sofa, der Gartenstuhl und Garten oder die Bushaltestelle und Straße, wo auch immer ich gerade sein mag – langsam von Waldboden, von mächtigen Baumstämmen mit einem regennassen, tropfenden Blätterdach und moosigen Felsbrocken überwachsen wird. Ohne, dass ich mich bewege, versetzt meine Vorstellung mich um siebzig Generationen in die Vergangenheit. Ich sitze auf dem Waldboden und stehe schnell auf, bevor mein Hosenboden durchnässt wird und unbekannte Viecher in meine Hosenbeine krabbeln. Die Abenddämmerung bricht an und bringt die Wesen des Waldes zum Erwachen. Blüten schließen sich, als die Temperatur mit der sinkenden Sonne sinkt. Vögel rufen, Tiere rascheln im Unterholz. Meine Augen suchen den Boden nach der Geräuschquelle ab. Sie bleiben an einer runden, gelbliche Pilzkappe, so groß wie die Faust eines 3-jährigen Kindes, hängen. Einige Schritte von der Pilzkappe entfernt bewegt sich etwas. Dort, am Fuß eines breiten Stammes, tollen Schatten herum, deren Augen blitzen, wenn sie das Licht des aufgehenden Mondes einfangen. Die Schatten zeigen kein Interesse an mir. Sie erscheinen mir katzenartig. Unruhe lenkt meinen Blick durch den unbekannten Wald, ausgelöst durch die abnehmende Sehfähigkeit meiner Menschenaugen mit zunehmender Dunkelheit. Meine Ohren wachsen zu Elefantenohren, um jedes Geräusch einzufangen. Ich bin kein Gewächs dieses Waldbodens und beschließe, meine Vorstellungskraft auszuschalten, um wieder nach Hause zu kommen.
Ein Beitrag von Johanna Ziebritzki.