Die Erneuerung des sozialen Aktivismus
NGOs und Hilfsorganisationen richten ihre Förderrichtlinien auch weiterhin an Projekten aus, die nach Lösungen für soziale Unruhen suchen oder diese anbieten – insbesondere für die Bereiche Krieg, Sexismus, Geschlechterunterschiede, Menschenrechte und alle anderen Formen von Rechten.
VON EMEKA OKEREKE
Dieses Vorgehen fußt jedoch in erster Linie auf der Formel vom Helfer und Geholfenen, die wiederum postuliert, die westliche Welt solle wenigstens genügend Anstand besitzen, um für das Leid der restlichen Welt sensibilisiert zu sein. Diese Formel impliziert allerdings auch, dass Armut und andere Formen des sozialen Elends lediglich in einem unbedeutenden Ausmaß existieren (eine Hypothese, die ich einzig aus Gründen der Argumentation an dieser Stelle überhaupt erwähnen möchte), wodurch dem Westen eine Vorrangstellung bei der Festlegung der moralischen Standards in der Welt verschafft wird – und zwar dergestalt, dass deren Umsetzung von der Verwirklichung aufrichtig guter Vorsätze bis hin zur kruden Unterjochung und Ausbeutung von Entwicklungsländern reichen kann.
Das Paradoxe hierbei liegt darin, dass durch exakt diese Hilfskanäle sowie das Eintreten für soziale Gerechtigkeit die Menschenrechte überhaupt erst am schlimmsten verletzt werden. Um der Gefahr vorzubeugen, noch weiter abzuschweifen, ehe ich auch nur einen richtigen Anfang gefunden habe, lasse ich nun von diesem Argumentationsstrang ab und hoffe, später wieder an ihn anknüpfen zu können.
Vor etwa vier Jahren fand sich eine Gruppe nigerianischer Künstler zusammen, um ein Projekt ins Leben zu rufen, das als The Invisible Borders Trans-African Project [Das transafrikanische Projekt Unsichtbare Grenzen] bekannt wurde. Diese Künstler – vor allem Fotografen – zielten darauf ab, die vielen Risse auf dem Antlitz Afrikas, die während des gierigen Ansturms der Europäer vor 129 Jahren entstanden, zum Gesprächsstoff zu machen.
Das Ziel der Künstler war nicht, lang und breit über die immer gleichen Diskurse zu schwadronieren oder mit dem Finger auf die Täter des Kolonialismus zu zeigen, sondern vielmehr sollte über das Lernen aus der Vergangenheit ein Weg in die Zukunft beschritten werden. Das Invisible Borders Project beruht auf der Grundannahme, dass die Bande zwischen den Stämmen und Völkern des Kontinents durch besagten Ansturm zerrissen wurden, was wiederum jene Abwärtsspirale in Gang setzte, die bis heute noch andauert. Daher müssen wir erst diese Risse ansprechen und Wege finden, die durch sie entstandenen Einschränkungen zu überwinden, wenn wir den möglichen Fortschritt des Kontinents in auch nur ansatzweise pragmatischen Begrifflichkeiten diskutieren wollen.
Als „Bildermacher“ glauben die Künstler von Invisible Borders, über ihr jeweiliges Medium eine bewusste Rekonstruktion der Wahrnehmung des Kontinents und seiner Menschen anstoßen zu können. Eines sollte man dabei nicht vergessen: Auch wenn das Leid in Afrika sehr wohl real und ehrlich gesagt auch mehr als tragisch sein mag, ist die Darstellung dieses Leids durch den Westen über dessen schärfste Waffe – die Medien – so strukturiert, dass sie den Westen beständig mit der erforderlichen moralischen Unterfütterung versorgt, sich mit Afrika ausschließlich als Negation des Westens auseinanderzusetzen.
Solange Afrika sich auf die Mildtätigkeit des Westens verlässt, wird Afrika die nützliche Antithese des Westens bleiben. Afrika wird weiterhin ein Ort sein, an den der Westen kommt, um die Grenzen seiner Schuld auszuloten und herauszufinden, wie weit seine Menschlichkeit reicht – und natürlich auch, um weiterhin blühende Landschaften und Fischgründe auszubeuten. Es ist ebendieses Phänomen, das dafür sorgt, dass zu viel Gewicht auf das Unglück Afrikas gelegt wird. Die Geschichte der gelungenen Leistungen und positiven Ereignisse, die im alltäglichen Leben der Menschen in Wahrheit sehr oft auftreten, wird so verschleiert. Dies hat zu jenen Einschränkungen geführt, von denen Afrika heute bestimmt ist.
Bedenkt man all das eben Gesagte, wäre es eine neue Herangehensweise an den sozialen Aktivismus, wenn man – also die Afrikaner selbst – den Blick nach innen richten und damit beginnen würden, jene zügellose Energie zu nutzen, die die derzeitige Generation verströmt, um den Schwerpunkt auf ihre positiven Eigenschaften zu legen. Wir müssen den immensen Einfallsreichtum stärker betonen, mithilfe dessen zahlreiche ganz gewöhnliche Menschen die Einschränkungen in ihrem Alltagsleben überwinden, anstatt diese Beschränkungen ständig über Gebühr hervorzuheben, ja regelrecht zu zelebrieren. Zwischen dem Kampf für soziale Gerechtigkeit und der Vollendung des Unglücks anderer verläuft immer nur ein schmaler Grat. Man muss sich stets darüber im Klaren sein, auf welcher Seite man steht.
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Anmerkungen
Übersetzung aus dem Englischen von Christiansen & Plischke
Porträt: Emeka Okerere in Accra, Juli 2013, © Emeka Okerere
Über den Autor
Emeka Okereke ist ein 1980 geborener nigerianischer Fotograf, der oft zwischen Afrika und Europa pendelt, was Leben und Arbeit anbelangt. 2001 kam er erstmals in Kontakt mit der Fotografie und ist heute Teil des Kollektivs Depth of Field (DOF) [Schärfentiefe], einer Gruppe aus insgesamt sechs nigerianischen Fotografen.
Derzeit oszillieren seine Werke zwischen Fotografie, Poesie, Video und kollaborativen Projekten, die sich mit Fragen der Koexistenz (jenseits der Begrenzungen vordefinierter Räume), der Andersheit und der Selbstfindung auseinandersetzen. Er organisierte die ersten Projekte zum Austausch von Fotografien zwischen Schulen in Frankreich und Nigeria, genauer zwischen der École des Beaux-Arts in Paris und dem Yaba College of Arts and Technology Lagos. Er ist Gründer und künstlerischer Leiter des Invisible Borders Trans-African Photography Project [des transafrikanischen Projekts Unsichtbare Grenzen], eines alljährlich umgesetzten Fotografieprojekts, das bis zu zehn afrikanische Künstler zu einem gemeinsamen Road-Trip durch den Kontinent zusammenbringt. Die fünfte Durchführung dieses Projekts wird vom 2. Juni bis zum 31. Oktober 2014 stattfinden: ein transkontinentaler Road-Trip von Lagos nach Sarajevo durch 21 Länder.
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