Nach der Zukunft wird alles blendend. Ein Nachruf auf den Videokünstler Ira Schneider (1939–2022)

2. März 1939 – 17. August 2022

Das ZKM trauert um den Videokünstler, der am 17. August im Alter von 83 Jahren verstarb.
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Ira Schneider begegnete der Welt, die er unablässig auf Film, Video und Fotos festhielt, mit sanfter Ironie. Am 17. August 2022 verstarb der Videokünstler, Fotograf, Autor und Dichter in Greenwich Village, New York, im Alter von 83 Jahren.

Ira Schneider gehörte zu den ersten Künstlern, die in den späten 1960er Jahren mit der Videotechnik zu experimentieren begannen. Zu dieser Zeit hatte Schneider bereits acht experimentelle Kurzfilme auf 16-mm-Film realisiert. Durch seine Bekanntschaft mit dem Maler Frank Gillette und dem Philosophen und Medientheoretiker Paul Ryan erhielt er 1969 Zugang zu einer tragbaren Videoausrüstung, dem Sony Portapak, der kurz zuvor auf den Markt gekommen war.

Im Januar 1969 führten Schneider und Gillette am Antioch College in Yellow Springs, Ohio, ihr erstes gemeinsames Videoprojekt durch – »Media Overload«, ein psychologisches Experiment, bei dem vier Studenten in einem geschlossenen Raum nur mit Hilfe von Video miteinander kommunizieren konnten. Dass Ira Schneider sich für Verhaltensstudien interessierte, war kein Zufall. Er hatte 1964 an der University of Wisconsin einen Master-Abschluss in Neuropsychologie und Wissenschaftsgeschichte erworben.

"Der wichtigste Aspekt von »Wipe Cycle« war die Frage der Informationspräsentation und der Integration des Publikums in die Informationen." – Ira Schneider, 1970

In die Kunstgeschichte gingen Schneider und Gillette jedoch durch die Videoinstallation »Wipe Cycle« ein, die sie 1969 für die legendäre Ausstellung »TV as Creative Medium« in der New Yorker Howard Wise Gallery entwickelten. Es war eine der komplexesten Closed-Circuit-Videoinstallationen dieser Pionierzeit. Neun Bildschirme überfluteten die Betrachter mit einem raffiniert choreografierten Wechsel von Videobildern: Aufnahmen, in denen sie sich selbst sahen – live und zeitversetzt –, Live-Fernsehbilder und voraufgezeichnete Videos. "Der wichtigste Aspekt von Wipe Cycle war die Frage nach der Präsentation von Informationen und der Integration des Publikums in die Informationen", erklärte Ira Schneider 1970.

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Ira Schneider schloss sich bald der Raindance Foundation an, die 1969 in New York von Frank Gillette, Paul Ryan, Michael Shamberg, Louis Jaffe und Marco Vassi als alternativer Think Tank gegründet worden war. Die Raindance Foundation, die von 1970 bis 1974 auch die Zeitschrift »Radical Software« herausgab, hatte das Ziel, alternative Informationsstrukturen zum Massenmedium Fernsehen zu entwerfen und aufzubauen. 

Ira Schneider, von 1972 bis 1993 Präsident der Raindance Foundation, kümmerte sich um das Erbe der Videoaktivisten. Durch Schneiders Vermittlung kam das Archiv der Raindance Foundation 2009 an das ZKM. Im Jahr 2017 beriet er das ZKM bei der Konzeption der Ausstellung »Radical Software. Die Raindance Foundation, Medienökologie und Videokunst«.

Neben »Wipe Cycle« realisierte Ira Schneider weitere Videoinstallationen, darunter »Manhattan is an Island« (1974), »Echo« (1975) sowie »Time Zones« (1980) und »Datenraum Deutschland« (1995). Zu Schneiders bekanntesten Videobändern gehören seine Aufnahmen vom Woodstock-Festival und der Dokumentarfilm »A Weekend on the Beach with Jean-Luc Godard« (1984) mit Wim Wenders, Jean-Luc Godard und Heiner Müller. 2006 erhielt Ira Schneider den Hannah-Höch-Preis (2006) der Kulturverwaltung des Berliner Senats für sein künstlerisches Lebenswerk. 

Doch Ira Schneider war nicht nur Fotograf und Videokünstler. Gemeinsam mit Beryl Korot, mit der er bereits mehrere Ausgaben von »Radical Software« herausgegeben hatte, veröffentlichte er 1976 eine der ersten Übersichten zur Videokunst: »Video Art. An Anthology«. Und in Berlin, wo er über 30 Jahre lang – von 1993 bis 2021 – lebte, hatte er sich den Ruf eines exzellenten Kochs erworben. Er kochte für Freunde, Clubs, Galerien und Filmproduktionen.

"Die Zukunft sieht nicht so gut aus, aber nach der Zukunft wird alles blendend", sagte Schneider vor ein paar Jahren am Rande. Wahrscheinlich wird er Recht behalten.

– Margit Rosen

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