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Oper reloaded – Peter Weibel im Interview

© ZKM, Foto: ONUK
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Kopiert die Oper das Musical? Wie klingt Molekulare Musik? Und warum sind die, die die Welt retten wollen, in der Minderheit? Ein Interview mit Peter Weibel, Medienkünstler und Leiter des ZKM, über den Amazonas und die Oper im Jahr 2009.

Das Interview führte Verena Hütter im November 2009 für das Online-Magazin des Goetheinstituts »Amazonas. Musiktheater in drei Teilen«.
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Herr Weibel, das „Amazonas-Musiktheater“ wird eine multimediale Oper sein, die die klassischen Elemente einer Oper – Sprache, Musik, Tanz und Bild – durch die Neuen Medien ergänzt. Welche Möglichkeiten tun sich dadurch auf?

Die Oper ist seit ihrer Geburt bei Claudio Monteverdi immer schon ein Multimedia-Werk gewesen. Seither beinhaltet sie drei verschiedene Medien: Bild, Text und Musik. Hinzu kommen der Tanz und das Theater. Man hat das Wesen der Oper häufig verkannt; immer dann, wenn man sie nicht multimedial definiert hat. Mit dem Amazonas-Musiktheater versuchen wir, den ursprünglichen Gedanken der Oper, mehrere Medien zu verbinden, wieder aufzunehmen.

Seit Monteverdi hat sich die Welt weiter entwickelt, und ich bin der Meinung, dass die Kunst sich von der Neuzeit nicht ausschließen sollte. Wenn wir zeitgenössische Kunstwerke machen wollen, dann sollten wir mit den Mitteln der Zeit arbeiten. So haben das auch die Impressionisten formuliert: „Wir möchten Kunst machen zur Zeit mit den Mitteln der Zeit“. Wenn uns heute neue audiovisuelle Medien zur Verfügung stehen, bewegte Bilder, erweiterte Licht- und Computermöglichkeiten, dann sollten wir diese nutzen, um die Tradition der Oper weiterzuführen und zu aktualisieren.

Werden diese Möglichkeiten in aktuellen Opernproduktionen hinreichend genutzt?

Ganz und gar nicht. Die Oper macht sich freiwillig obsolet. Sie schließt sich freiwillig von der Neuzeit aus. Das einzige, was man derzeit im Theater und in der Oper häufig anwendet, sind Videoprojektionen, die gewissermaßen als immaterielle Bühnenbilder eingesetzt werden. Das ist viel zu wenig. Heute haben die berühmten Zirkusse, wie zum Beispiel der Cirque du Soleil, das klassische Stadttheater und die klassischen Opernhäuser in puncto Bühnen- und Lichttechnik und Requisite weit überflügelt. Sogar das berüchtigte Musical ist der klassischen Oper darin einen Schritt voraus. Ich denke da zum Beispiel an Starlight Express, wo die Protagonisten auf Rollerblades herum rasen, und dann sehe ich, wie unsere Opernstars mit einem Mal auch anfangen, sich zu bewegen. Die Oper versucht, sich auf sehr sanfte Weise der Dynamik eines modernen Musicals anzupassen. Deshalb muss die arme Frau Netrebko auf der Bühne zuerst auf einem Tisch stehen und sich danach auf einem Sofa räkeln. Das ist eine biedermeierliche Anpassung an das zeitgenössische Musical.

Beim Amazonas-Musiktheater kehren wir zu der ursprünglichen Frage an eine Oper zurück: Was ist ein Chor? und antworten: Das Publikum ist der Chor. Der Chor wiederum stellt den Wald dar. Das Publikum ist also der Wald. Und wenn wir den Wald umbringen, bringen wir uns selber um.

Wie kann aus dem Publikum der Chor werden?

Durch die technischen Möglichkeiten der Neuen Medien. Mehr möchte ich noch nicht verraten.

Was ist Ihr Part beim „Amazonas-Musiktheater“?

Ich mache eine Konferenz auf der Bühne. In der Oper spielen seit jeher zwischenmenschliche Beziehungen die Hauptrolle. Es gibt eine Tote oder einen Toten, die beklagt werden. Seit Eurydike und Orpheus ist das das Motiv. Und auch beim Amazonas-Musiktheater ist es nicht anders. Allerdings ist der Tote hier kein einzelner Mensch, sondern der Tote ist der Amazonas. Es kommt auch zu der für die Oper üblichen Debatte – Liebst Du mich, liebst Du mich nicht – nur debattieren keine Liebhaber, sondern Ökonomen, Politiker, Wissenschaftler und Schamanen.

Wenn man wissen möchte, wie viel Luft und wie viel Wasser der Amazonas erzeugt, wie viele Menschen davon leben, und was passiert, wenn Luft und Wasser weniger werden, findet man keine befriedigenden Angaben darüber. Am Konferenztisch des Amazonas-Musiktheaters werden zu diesen Themen wissenschaftliche Argumente geführt. Die Ökonomen etwa werden sagen: „Wir müssen Sojabohnen anpflanzen, und wir müssen Bäume fällen“. Jeder wird nacheinander seine Gründe vorbringen. Und am Ende wird man sehen, dass es keine Lösung geben wird.

Und dem Publikum wird die Gefahr bewusst, in der sich der Amazonas befindet. Ist ihr Ziel eine Katharsis des Publikums?

Das Ziel ist eine Katharsis. Ich versuche, diese Katharsis jedoch nicht durch Emotionen zu erzeugen, sondern mittels Erkenntnis, mittels Informationen. Wenn der Vorhang fällt, soll das Publikum sagen: „Jetzt verstehen wir endlich, was im Amazonas eigentlich passiert“. Denn es ist doch so: Wenn wir das Amazonas-Problem nicht lösen, dann werden wir in den nächsten 50 Jahren kein einziges Klimaproblem lösen.

Sie haben einmal den „europäischen Blick“ kritisiert, die Orientierung an der westlichen Moderne. Dass man von außen auf etwas blickt, anstatt die Stimmen von innen zu Wort kommen zu lassen. In die Amazonas-Opernproduktion werden die Yanomami, ein indigener Stamm des Amazonas, als Koproduzenten eingebunden. Wie arbeiten Sie mit den Yanomami zusammen?

Am Konferenztisch auf der Bühne wird ein Vertreter der Yanomami die Argumente seines Stammes vorbringen. Falls er sagt: „Wir hören aus den Bäumen die Stimmen von Geistern“, dann werden wir nicht antworten: „Das ist 2.000 Jahre altes Schamanentum und zählt nicht“. Wir werden die Argumente der Yanomami ernst nehmen und lassen sie mit dem gleichen Gewicht auftreten wie die Ökonomen, wie die Politiker und wie die Wissenschaftler.

Außerdem wollen wir zeigen, dass die Yanomami so etwas wie virtuelle Welten entwickelt haben. Jeder Raum ist voll von Botschaften. Die Yanomami haben durch die dosierte Einnahme von Drogen eine Technik entwickelt, mit der sie diese Botschaften hören können. Wir brauchen dazu ein Telefon und können Stimmen nur mithilfe einer Antenne empfangen. Die Yanomami hingegen können diese Antenne innerlich herstellen.

Im dritten Teil des Musiktheaters, den Sie gemeinsam mit dem Komponisten Ludger Brümmer gestaltet haben, wird Molekulare Musik zu hören sein. Wie klingt Molekulare Musik?

Wenn sich ein Komponist fragt, wie die Natur klingt, dann denkt er normalerweise an das Rauschen der Bäume oder des Flusses und komponiert seine Musik danach. Ich aber gehe davon aus, dass die Sprache der Natur die Mathematik ist. Es gibt mathematische Rechentechniken, die man „game of life“ oder „Spiel des Lebens“ nennt. Ihnen liegen genetische Algorithmen zugrunde, durch die in Echtzeit Wachstum simuliert werden kann. Molekulare Musik entsteht, wenn diese genetischen Algorithmen auf das Notensystem übertragen werden. Die Noten schreiben sich also nicht durch kompositorische Vorstellung, sondern nach mathematischen Gesetzmäßigkeiten fort. Ob das dann gut oder schlecht klingt, ist eine andere Frage. Daran bin ich, ehrlich gesagt, auch gar nicht interessiert. Mein Interesse liegt allein darin, eine andere Musik zu finden.

Warum ist die Gruppe von Leuten, die die Welt retten möchte, eine Minorität?

Was hat Sie am meisten an dem Projekt gereizt? Warum haben Sie sich daran beteiligt?

Aus zwei Gründen. Zum einen bin ich schon lange auf der Suche nach Gesprächspartnern und habe in Peter Ruzicka, dem Leiter der Münchener Biennale, einen gefunden, der, wie ich, die Oper durch die Neuen Medien erneuern möchte. Viele Geisteswissenschaftler beschäftigen sich derzeit mit dieser Frage – Slavoj Žižek, Peter Sloterdijk oder Friedrich Kittler etwa. Im Amazonas-Musiktheater habe ich die Möglichkeit gefunden, einige meiner Überlegungen zu realisieren.

Zum anderen plane ich Ende 2011 ein großes Projekt zum Thema Kunst und Klima. Wir hatten dazu schon eine Ausstellung in Paris mit der Fondation Cartier und auch für den G12-Gipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen machen wir eine Installation zu dem Thema. Warum ist die Gruppe von Leuten, die die Welt retten möchte, eine Minorität? Das ist mir ein großes Rätsel. Die Freunde der Erde müssten doch eigentlich eine Majorität sein. Wir müssen versuchen, aus der Minorität eine Majorität zu machen. Das ist mein zweites Interesse.

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